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Politik

Keine Kommunikationshauptstadt

Chemnitz wird 2025 europäische Kulturhauptstadt – noch allerdings scheitern die Verantwortlichen daran, interessierte Kulturschaffende einzubinden

  Keine Kommunikationshauptstadt | Chemnitz wird 2025 europäische Kulturhauptstadt – noch allerdings scheitern die Verantwortlichen daran, interessierte Kulturschaffende einzubinden

Das Kulturzentrum Weltecho ist brechend voll. Sogar die Stehplätze sind knapp. Der Titel der Veranstaltung: »Chemnitz – eine Kulturhauptstadt für alle?!« Die Besucherinnen und Besucher sind hier, um mit den Verantwortlichen auf dem Podium über die bisherige Umsetzung des Projekts zu sprechen. Dass so viele Menschen an diesem Abend gekommen sind, zeigt, dass Redebedarf besteht. Warum eigentlich?

Chemnitz wird »Kulturhauptstadt Europas 2025«. Dem Projekt, das von der Europäischen Kommission begleitet wird, steht insgesamt ein Budget von 91 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesem Geld sollen Kultur und Demokratie in der Stadt und den umliegenden Kommunen gefördert werden, es fließt in Gebäudesanierungen, Infrastruktur und in ein Kulturprogramm, das die Menschen in der Region Chemnitz selbst gestalten. Rund drei Millionen Gäste aus aller Welt werden im Kulturhauptstadtjahr erwartet. Die öffentliche Aufmerksamkeit und das Budget sind eine einmalige Chance für jede Stadt. Insbesondere für Chemnitz, das vor drei Jahren zur Stadt mit den europaweit ältesten Bewohnerinnen und Bewohnern gekürt wurde – und vor knapp fünf Jahren wegen rechter Ausschreitungen weltweit in den Medien war.

Einer, der an diesem Abend im Weltecho aus dem Publikum aufsteht und das Wort ergreift, ist Kim Dudek vom Verein Spinnerei. Dieser ist aktuell mit dem künstlerischen Bildungsprojekt der »Garage der Autodidakten« Teil des Kulturhauptstadtprogamms. Doch das war nicht immer so, erzählt Dudek später im Interview. Das Projekt war zwar im Bewerbungsbuch der Stadt aufgelistet, im Dezember vergangenen Jahres wurde den Beteiligten allerdings mitgeteilt, dass Einsparungen getroffen werden müssten. Dudek kritisiert dabei vor allem die Art, wie mit den Menschen im Verein kommuniziert wurde: »Wir haben per Mail erfahren, dass wir nicht mehr Teil der Kulturhauptstadt sind. Ohne mit uns genau zu besprechen, was wir 2025 vorhaben, wurden wir rausgeschmissen.« Mittlerweile gehört die »Garage der Autodidakten« wieder zum geplanten Programm dazu. Die Kommunikation mit den Verantwortlichen der Kulturhauptstadt sei aber für alle grundsätzlich schwierig, findet Dudek.


Bewerbung nach den rechtsradikalen Hetzjagden 2018

Dabei hat sich Chemnitz als Kulturhauptstadt hohe Ziele gesteckt, für die eine gute Kommunikation mit sämtlichen Beteiligten unerlässlich ist. Als sich die Stadt 2019 um den Titel bewirbt, sind die Ereignisse des Sommers 2018 sehr präsent. Zu dem Zeitpunkt ist es knapp ein Jahr her, dass es auf Chemnitzer Straßen nach dem tödlichen Angriff auf Daniel H. zu rechtsradikalen Hetzjagden gekommen ist. Die Ausschreitungen hat die Stadt in den Mittelpunkt ihrer Bewerbung gestellt. Man wolle mit dem Projekt die sogenannte »stille Mitte« aktivieren, also diejenigen, die sich politisch nicht positionieren. So steht es im Bewerbungsbuch der Stadt. Ulf Bohmann, Soziologe an der Technischen Universität Chemnitz, sagt dazu: »Es gibt hier eine Mehrheitsgesellschaft, die daran gewöhnt ist, dass Rechtsextreme da sind, und sich nicht in aller Deutlichkeit abgrenzt.« Das führe dazu, dass rechtsradikale Kräfte ungestört weiter existieren könnten. Daher sieht Bohmann die Kulturhauptstadt als »hervorragendes Vehikel«, um gegen eine dauerhafte rechte Mobilisierung aktiv zu werden.

Im Dezember 2021 hat die Bürgerbewegung Pro Chemnitz, die der sächsische Verfassungsschutz als rechtsextremistisch einstuft, im Chemnitzer Stadtrat gedroht: Man werde im Kulturhauptstadtjahr dafür sorgen, dass Chemnitz es wieder europaweit in die Schlagzeilen schaffe. Bohmann findet: »Damit will sich eine Gruppierung deutlich stärker machen, als sie ist.« Trotzdem sei die Gefahr real.

Das bereitet vor allem den migrantischen Communitys in Chemnitz Sorge. Auch Etelka Kobuß, die Migrationsbeauftragte der Stadt, hält es für realistisch, dass rechtsextreme Kräfte 2025 stören werden. Trotzdem: »Angst war noch nie ein guter Ratgeber«, sagt sie. Wichtiger wäre es jetzt, Strategien gegen Rassismus und rechte Mobilmachung zu entwickeln. Das gelte vor allem, wenn bald Menschen aus den verschiedensten Ländern anreisen werden. Nach dem Gespräch mit Kobuß wurde Ende März eine internationale Reisegruppe, die für eine Kulturkonferenz in Chemnitz war, von einer rechten Schlägertruppe angegriffen.


Kommnikationsschwierigkeiten und Schuldzuweisungen

Eigentlich bietet der Kulturhaupstadt-Titel Chemnitz Gelegenheit, ein anderes öffentliches Bild von der Stadt zu schaffen. Es sei allerdings essenziell, die migrantischen Communitys einzubeziehen, so Kobuß. »Wir gehören zu dieser Stadt und gestalten sie mit. Jede Stimme müsste gehört werden.« Viele migrantische Initiativen möchten sich mit ihren Ideen einbringen, doch ähnlich wie Kim Dudek vom Verein Spinnerei berichtet Kobuß davon, dass sich diese noch nicht in den Organisationsprozess eingebunden fühlen. Dudek erklärt sich das so: Es seien zu Beginn des Prozesses Erwartungen aufgebaut worden, die die Kulturhauptstadt nicht bremsen konnte. Das liege zum Teil aber auch daran, dass die Struktur um die Kulturhauptstadt in den vergangenen beiden Jahren erst aufgebaut werden musste.

»Die« Kulturhauptstadt gibt es in dem Sinne nicht. Zwei Institutionen betreuen das Projekt. Um die Stadtraumplanung und das Marketing kümmert sich die Stadtverwaltung. Für die Organisation des Kulturprogramms ist vor zwei Jahren ein eigenes Unternehmen gegründet worden: die Kulturhauptstadt GmbH. Sie soll Kulturschaffenden dabei helfen, die Ideen aus dem Bewerbungsbuch in konkrete Projekte umzusetzen. Daher richten sich viele Beschwerden der Chemnitzerinnen und Chemnitzer vor allem an diese GmbH.

Als deren Geschäftsführer musste sich Stefan Schmidtke in den vergangenen Monaten oft eine intransparente und unzuverlässige Kommunikation vorwerfen lassen. Er sagt, die Stadtgesellschaft missverstehe, wie die Umsetzung abläuft: »Im Bewerbungsbuch zu sein, ist eben keine Garantie, am Ende auch im Programm zu landen. Und das will immer keiner hören.« Ob ein Projekt auch wirklich umgesetzt wird, beurteile sowohl die Europäische Kommission als auch eine Fachjury in mehreren Runden. Die Projekte müssen dabei bestimmte Kriterien erfüllen. Schmidtke selbst agiere dabei nur als Koordinator und sei kein inhaltlicher Entscheider. Das endgültige Programm werde erst im Herbst 2024 bekannt gegeben.

Für die mangelhafte Kommunikation sei er nicht verantwortlich, da er erst mit der Gründung der GmbH zum Prozess dazugestoßen sei. »Dieses Bewerbungsbuch haben Leute vor mir angefertigt. Ich bin im Dezember 2021 gekommen. Dann hat man mir dieses Buch in die Hand gedrückt.« Dass so viele Menschen enttäuscht vom Ablauf sind, schreibt Schmidtke der Stadtverwaltung zu: »Man hat irgendwie verpasst zu sagen: Nein, mit dem Titelgewinn beginnt nicht das Programm-Machen. Also schreien jetzt alle vor meiner Tür: ›Ich will mein Projekt in die Kulturhauptstadt einbringen!‹.«

Dieses Durcheinander hätte sich die Stadt laut Schmidtke ersparen können, »wenn sie den Prozess um den Titelgewinn und das weitere Vorgehen transparenter und offensiver kommuniziert hätte«. Auf Nachfrage betont die Stadtverwaltung, dass sie mit der GmbH in regem Austausch stehe. Angesprochen auf die im Weltecho geäußerte Kritik an der Kommunikation rund um die Kulturhauptstadt verweist die Pressestelle der Stadt auf eine Informationsveranstaltung für Projektausschreibungen Ende Februar dieses Jahres. Die Stadtverwaltung erklärt außerdem, wer vor der Gründung der GmbH für das Kulturhauptstadtprojekt verantwortlich war: Für den Bewerbungsprozess sei ein Vorbereitungsteam unter der Leitung des Kulturamts und der damaligen Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig eingerichtet worden. Dieses Team sei nach dem Titelgewinn im Oktober 2020 aufgelöst worden. Bis zur Gründung der GmbH im Dezember 2021 verging mehr als ein Jahr.


Und nun?

2023 ist entscheidend für das Kulturhauptstadt-Projekt. Schmidtke nennt es »das neuralgische Jahr«, das heikle Jahr: Jetzt werde geprüft, welche der Ideen im Bewerbungsbuch auch wirklich Realität würden. Es werden die Weichen für 2025 gestellt. Kim Dudek erzählt im Gespräch, er sei mit seinen Ansprüchen an das Projekt mittlerweile vorsichtig geworden, resignierter. »Die Erwartungen der Freien Szene sind einfach, dass es nicht verkackt wird.«

Aktuell laufen neue Ausschreibungen, für die sich Akteure und Initiativen mit ihren Ideen und Projekten bewerben können. Auch Kim Dudek entwickelt gerade mit seinem Verein ein zweites Projekt. Er erzählt, dass sich »einige Knoten gelöst haben«; die ersten Treffen mit dem Projektentwickler liefen gut. Trotzdem betont er, froh darüber zu sein, von Beginn an nicht zu viele Erwartungen und Hoffnungen in die Kulturhauptstadt gesteckt zu haben. 

 

> Dieser Text erschien in Kooperation mit dem Recherche-Seminar des Master-Studiengangs Journalismus an der Universität Leipzig in der Juni-Ausgabe des kreuzers.


Foto: Thomas Witzgall.


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