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»Machste Sahne drauf und alles ist schön«

Regisseur Sebastian Mandla über Schlager-Kleckse und inklusives Theater

  »Machste Sahne drauf und alles ist schön« | Regisseur Sebastian Mandla über Schlager-Kleckse und inklusives Theater

Seit 20 Jahren macht Sebastian Mandla inklusives Theater. Mit dem Ensemble 23 kleckst der Regisseur nun »Schlagersahne« hin. Im Gespräch auf dem Feinkosthof spricht er über das Stück und seine Motivation. ABBA dudelt die erste Frage einleitend im Hintergrund.

Warum ist Schlager Ihr Soundtrack?

Bei der ersten Produktion nach drei Corona-Jahren sollte Spaß im Vordergrund stehen – für uns und das Publikum. Wir entschieden uns für Musik, da ist Schlager das Naheliegendste. Wenn man die Klassiker anmacht, sind alle Spieler:innen dabei, auch wenn sie vorher ablehnend reagierten. So sind wir in die Szenen gestartet, haben Songs geschrieben. Ein professioneller Musiker setzt dafür die Ideen der Spieler:innen um und wir bringen zum Stück gleichzeitig unser Schlageralbum heraus.


Es geht ums Übertünchen?

Schlagsahne deckt in einer scheinbar heilen Welt alles zu. Ist ein Kuchen angebrannt, machste Sahne drauf und alles ist schön. Wir übertünchen auch, weil wir die Geschichte einer Familie erzählen, die über mehrere Generationen erfolgreich mit Schlagermusik ist. Da steht das inszenierte Bild im Vordergrund und daran kratzen wir.


Sie erarbeiten alles gemeinsam?

Ja. Ich gebe meine Ideen als einen Rahmen hinein und dann entwickeln wir das Inhaltliche. Vieles entsteht aus Improvisationen. Es hat sich als Weg entwickelt, dass wir uns vor thematischen Vorlagen nicht mehr zurückhalten müssen, sondern die eigenen Sichten der Spieler:innen einbringen. Da sind ein paar Aspekte dabei, auf die man so nicht kommen würde, wenn man nicht mit Menschen mit Behinderung arbeitet.


Zum Beispiel?

Nehmen Sie die Arbeitssituation. Da gibt es den Wunsch, mehr Möglichkeiten zu haben, als die Werkstätten anbieten können. Es wird oft vom ersten Arbeitsmarkt gesprochen. Für Menschen mit Behinderung ist es wirklich schwierig, sich etwas individuell zu suchen. (s. kreuzer 07/23) Schaut man sich im Alltag um, findet Inklusion ja nur in gewissen Bereichen statt. Die Gesellschaft könnte da mehr vertragen. Das Arbeitsthema ist immer präsent, weil wir intensiv an den Stücken arbeiten. Da ist bei manchen auch Frust da, weil die Möglichkeit fehlt, nach eigenen Interessen zu arbeiten. Die Werkstätten sind wichtig, aber die Werkstattpflicht ist für viele schwierig. Es gibt einige unter den Spieler:innen, die sich nur in der Kunst arbeitend bewegen würden, wenn sie könnten.


Wie reagieren die Einrichtungen auf Ihre Anfragen?

Das sind Aushandlungsprozesse. In den ersten Jahren war es schwierig, da galt Theaterspielen bloß als Hobby. Und nach wie vor findet viel Arbeit in der Freizeit statt. Das ist für die Spielenden anstrengend, nach der Werkstatt noch zu proben. In der nächsten Produktion werden die Spieler aber tagsüber arbeiten können, das ist ein enormer Fortschritt. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu den Werkstätten, aber es war ein Findungsprozess über 15 Jahre. Die mussten ja auch erst mal merken, dass ich es ernst meine.


Wie haben Sie angefangen?

Ich habe Schauspiel und Theaterpädagogik studiert in Graz und dort das Mezzanin-Theater kennengelernt. Die haben damals als ein Vorreiter in Österreich Theater mit Behinderten gemacht. Als ich dazukam, entstanden gerade die ersten inklusiven Produktionen. Da habe ich gemerkt, dass ich in diesem Bereich etwas kann. Als ich zurück nach Leipzig kam, gab es das hier nicht. Also dachte ich: Fange ich mal an. Dann dauerte es, bis ich einen Fuß in der Tür bei den Eirichtungen hatte und wir als Ensemble nach und nach zu der künstlerischen Qualität fanden, die wir heute haben.


Sie legten einfach los?

Ich dachte, Leipzig kann so eine Compagnie vertragen. Das Tanzlabor entstand dann ja später auch, das Lofft kam dazu. Das ist schön zu sehen. Wir haben uns aber auf Schauspiel und Menschen mit geistiger Behinderung spezialisiert.


Es geht auch um Repräsentanz?

Auch. Aber ich bringe Menschen nicht auf die Bühne, weil sie behindert sind, sondern weil sie etwas können. Da ist ein Talent und ich biete ihnen die Möglichkeit, das Talent zu erkennen und auszuleben. Durch die Arbeit mit den anderen professionellen Künstler:innen erfahren sie, dass das keine Grenzen haben muss. Und das Ausleben auf der Bühne ist natürlich ein großer Genuss und Anerkennung, der Applaus eine immense Bestätigung.

 

> »Schlagersahne«, 6.7., 20 Uhr (Premiere), 7./8.7., 20 Uhr, Zimmt (Zentrum für immersive Medienkunst, Musik und Technologie), Torgauer Str. 80, 04318 (Sellerhausen-Stünz)


Foto: Christiane Gundlach.


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