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Kultur

Armutszeugnis

Die Uraufführung von »Ein Mann seiner Klasse« widmet sich ohne Scham dem Thema Kinderarmut und Bildungsferne

  Armutszeugnis | Die Uraufführung von »Ein Mann seiner Klasse« widmet sich ohne Scham dem Thema Kinderarmut und Bildungsferne  Foto: Mathias Schaefer

Armin Zarbock, Jeniffer Demmel, ein Doppelstockbett auf Rädern, einige Kissen und der Live-Musiker Jakob Seidel: Mehr braucht Regisseur Christian Hanisch (Das Üz) nicht, um den Roman »Ein Mann seiner Klasse« zu erzählen, und zwar als Uraufführung. Christian Barons Roman ist eine eindringliche, biografisch motivierte Geschichte über das Aufwachsen in einem armen Haushalt, das frühe Auftauchen von Armutsscham und die Notwendigkeit von Impulsen von außen, um das Blatt zu wenden.

Die Mutter ist begabt, aber depressiv, der Vater Möbelpacker, unbeherrscht und ein Musterbild toxischer Männlichkeit, wie man heute intellektuell sagen würde. Mit Intellektuellen aber haben die Kinder der beiden nichts am Hut und so bleibt zunächst eine vordergründig naive Schilderung zwischen Schimmel an den Wänden, leeren Kühlschränken und alkoholinduzierten Gewaltausbrüchen des Familienoberhaupts. Aber es ist auch die Geschichte von Menschen, die an die Kinder geglaubt haben. Denn ohne die Unterstützung einzelner Lehrer oder der später erziehungsberechtigten Tante hätten die Entwicklungsperspektiven trüb ausgesehen.

Hanisch und seine Crew setzen bei der Inszenierung auf prosaische Nacherzählung mit wechselnden Figurationen. Zarbock und Demmel geben vor allem die Brüder, aber eben auch alle anderen Figuren. Wobei Vieles nicht (nach-)gespielt, sondern spielerisch erzählt wird, was durch die Kinderperspektive noch verstärkt wird. Die Zuschauer sitzen im Quadrat um die Bühne, und das Duo muss einige Energie aufbringen, um alle mitzunehmen. Das aber gelingt. Es ist eine wahre Freude, den Bühnentollereien zuzusehen, wenn sie beiden eine Höhle bauen oder zur großen Kissenschlacht blasen und dabei immer wieder das alte Bundeswehrbett über die leere Bühne saust.

Zwischen großer Mimik und starker Zurückgenommenheit changierend, treffen sie meist den richtigen Ton. Mit ihrer Flucht in die Kindergestik und das scheinbar naive Kinderspiel umschiffen sie gekonnt die Gefahr des Sozialkitsches und lassen sich auch nicht von den analysierenden Gedanken der älteren Autorenstimme davontragen, auch wenn sie als Kontrapunkt mehr als notwendig sind.

Die Bühnenfassung von Hanisch und Johann Christoph Awe baut geschickt Spannungen auf, vertraut aber vor allem der Geschichte, die sich aus den knapp verbundenen Einzelepisoden ergibt. Den richtigen Ton trifft auch Jakob Seidel, der mit allerlei Rock- und Pop-Anleihen dem Ganzen atmosphärisch den Stempel aufdrückt und emotional starke Punkte zu setzen weiß, wenn er etwa Nirvana-Songs anspielt. Doch auch er kann den Spaßmacher und stellt sich mit Lautspielereien dem scheinbar kindlichen Gesamtkonzept zur Verfügung.

So ist Hanisch mit dieser Inszenierung eine kleine Perle gelungen, die vor allem durch ihre unprätentiöse Direktheit ihr Publikum zu begeistern weiß und sich auch vorm Vergleich mit großen Häusern nicht zu verstecken braucht. Der Abend macht ohne große Effekte großen Eindruck und ist gleichzeitig inhaltlich so stark ist, dass er dringend gesuchten Diskussionsstoff zur gesellschaftlichen Lage der nicht-privilegierten Schichten in Deutschland liefert.

> »Ein Mann seiner Klasse«: 12.–14.9., 20 Uhr, Werk 2


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