Es ist Dezember 2021. Der Stadtrat tagt nach coronabedingten Video-Ratsversammlungen inzwischen wieder in der Kongresshalle; Schulkonferenz-Atmosphäre. CDU-Stadtrat Michael Weickert, studierter Geschichtslehrer, tritt ans Mikrofon und schiebt seine FFP2-Maske in seinen schwarzen Dreiteiler: »Die Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dürfen durch so eine Entscheidung, wie wir sie hätten treffen sollen, nicht legitimiert werden.« Was war passiert?
Bei der Entsendung eines Kandidaten der AfD in den Stadtbezirksbeirat Alt-West hatte bis auf die nominierende Fraktion der gesamte Stadtrat sein Veto eingelegt. Normalerweise werden Kandidaten und Kandidatinnen für Stadtbezirksbeiräte einfach durchgewinkt, auch die der AfD. Doch AfD-Kandidat Kai Günther hatte mit rechtsextremen Inhalten in den sozialen Medien auf sich aufmerksam gemacht.
Zahlreiche Beispiele für Zusammenarbeit
In seiner Generalkritik an der AfD wirft Weickert der Partei vor, für die Radikalisierung in der Gesellschaft mit verantwortlich zu sein, erinnert die Ratsversammlung an ihre Verantwortung gegenüber den Toten und Hinterbliebenen des Rechtsextremismus. Klare Worte, die den Eindruck vermittelten, die Brandmauer zwischen CDU und AfD, sie steht im Leipziger Stadtrat. Doch so einfach ist es nicht.
Anfang August sitzt Steven Hummel im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Lindenauer Markt und schlürft eine Cola. Der Politikwissenschaftler ist ein gefragter Interviewpartner, seit CDU-Chef Friedrich Merz im Sommerinterview mit dem ZDF erklärte, der Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei mit der AfD gelte nicht für Kommunalparlamente und nach Kritik aus den eigenen Reihen einen Tag später zurückruderte. Hummel zeigt sich etwas irritiert über die Diskussion um die Brandmauer: »Aus meiner Sicht gab es diese so nie, weil es zahlreiche Beispiele von Kooperationen und Zusammenarbeiten gibt.«
Für das Jahrbuch »Demokratie in Sachsen«, herausgegeben vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Uni Leipzig, recherchierte Hummel im Freistaat 21 Fälle im Zeitraum zwischen Mai 2019 und Ende 2022, in denen demokratische Parteien mit solchen der extremen Rechten kooperierten. Es ergibt sich ein Bild. Die meisten Kooperationen beziehen sich auf gemeinsames Abstimmungshalten, in der überwiegenden Zahl zwischen CDU und AfD.
Pragmatischer Umgang
Polemik, die der AfD in die Karten spielt
Dass Weickert diese Gefahr nicht sieht, passt zur Linie, die ihm für seine Fraktion und Partei vorschwebt: »Also, eines muss doch mal allen Beteiligten klar werden: Mit Angst vor der AfD gewinnt man keine Wahlen mehr. Das ist vorbei.« Der Fraktionsvize beschreibt sein Weltbild als Mischung aus Thatcherismus und katholischer Kirche, retweetet auch mal Posts von Julian Reichelt. Für die CDU wünscht er sich ein klar bürgerlich-konservatives Profil. Den Hauptgegner dieser Politik sieht Weickert bei den Grünen. Beim Landesparteitag der CDU im November 2022 mahnte er, dass es mit der Meinungsfreiheit vorbei wäre, holten die Grünen absolute Mehrheiten. Sein Satz, »Wer das Vaterland nicht liebt, darf es auch nicht regieren«, provozierte damals über Tage Entrüstung in den sozialen Medien. Darauf angesprochen, leuchten Weickert die Augen.
»Eine klare konservative oder auch bürgerliche Politik darf keine Angst davor haben, wenn sie von Grünen und Sozialdemokraten angegriffen wird«, sagt Weickert, der den Grünen attestiert, auf Basis ihres Weltbildes genaue Pläne für Leipzig zu haben. »Und dieses Weltbild bekämpfe ich, ganz klar.« Einen Vorgeschmack darauf lieferte die CDU in den vergangenen Monaten. Bei der Debatte um die Fahrradspur vor dem Hauptbahnhof polemisierte die Fraktion gegen das vom Grünen Thomas Dienberg geführte Baudezernat, warf der Verwaltung eine ideologiegetriebene, paternalistische Verkehrspolitik vor – und stand damit nicht allein. Auch aus den Fraktionen der Linken, SPD und Freibeuter gab es Kritik an fehlender Bürgerbeteiligung.
Hummel beobachtete ebenfalls die Debatte und kritisiert, dass sich die Fraktionen damals an Formalia aufhingen, anstatt das große Ganze, die klimagerechte Umgestaltung der Stadt, im Blick zu haben. Polemik, die der AfD in die Karten spielt. »Ich nehme nicht wahr, dass die anderen Fraktionen ein gutes Konzept haben, das der Öffentlichkeit bekannt ist. Das wäre ja im Zweifel schon eine totale Abgrenzung zur AfD.«
Der bevorstehende Kommunalwahlkampf wird in Zeiten einer AfD im Umfragehoch somit zum Lackmustest für die Fraktionen des Stadtrats, inklusive der CDU.
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