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Gretchenfrage im Rathaus

Die Brandmauer-Debatte macht auch vor dem Leipziger Stadtrat nicht Halt.

  Gretchenfrage im Rathaus | Die Brandmauer-Debatte macht auch vor dem Leipziger Stadtrat nicht Halt.  Foto: Stefan Ibrahim

Es ist Dezember 2021. Der Stadtrat tagt nach coronabedingten Video-Ratsversammlungen inzwischen wieder in der Kongresshalle; Schulkonferenz-Atmosphäre. CDU-Stadtrat Michael Weickert, studierter Geschichtslehrer, tritt ans Mikrofon und schiebt seine FFP2-Maske in seinen schwarzen Dreiteiler: »Die Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dürfen durch so eine Entscheidung, wie wir sie hätten treffen sollen, nicht legitimiert werden.« Was war passiert?

Bei der Entsendung eines Kandidaten der AfD in den Stadtbezirksbeirat Alt-West hatte bis auf die nominierende Fraktion der gesamte Stadtrat sein Veto eingelegt. Normalerweise werden Kandidaten und Kandidatinnen für Stadtbezirksbeiräte einfach durchgewinkt, auch die der AfD. Doch AfD-Kandidat Kai Günther hatte mit rechtsextremen Inhalten in den sozialen Medien auf sich aufmerksam gemacht.


Zahlreiche Beispiele für Zusammenarbeit

In seiner Generalkritik an der AfD wirft Weickert der Partei vor, für die Radikalisierung in der Gesellschaft mit verantwortlich zu sein, erinnert die Ratsversammlung an ihre Verantwortung gegenüber den Toten und Hinterbliebenen des Rechtsextremismus. Klare Worte, die den Eindruck vermittelten, die Brandmauer zwischen CDU und AfD, sie steht im Leipziger Stadtrat. Doch so einfach ist es nicht.

Anfang August sitzt Steven Hummel im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Lindenauer Markt und schlürft eine Cola. Der Politikwissenschaftler ist ein gefragter Interviewpartner, seit CDU-Chef Friedrich Merz im Sommerinterview mit dem ZDF erklärte, der Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei mit der AfD gelte nicht für Kommunalparlamente und nach Kritik aus den eigenen Reihen einen Tag später zurückruderte. Hummel zeigt sich etwas irritiert über die Diskussion um die Brandmauer: »Aus meiner Sicht gab es diese so nie, weil es zahlreiche Beispiele von Kooperationen und Zusammenarbeiten gibt.«

Für das Jahrbuch »Demokratie in Sachsen«, herausgegeben vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Uni Leipzig, recherchierte Hummel im Freistaat 21 Fälle im Zeitraum zwischen Mai 2019 und Ende 2022, in denen demokratische Parteien mit solchen der extremen Rechten kooperierten. Es ergibt sich ein Bild. Die meisten Kooperationen beziehen sich auf gemeinsames Abstimmungshalten, in der überwiegenden Zahl zwischen CDU und AfD.


Pragmatischer Umgang

Auch im Leipziger Stadtrat lassen sich vereinzelt derartige Beispiele finden. Insbesondere bei der Verkehrspolitik gaben Teile der CDU-Fraktion Anträgen der AfD ihre Stimme. Dass die Christdemokraten nichts mit der AfD machen würden, wie CDU-Stadtrat und Bundestagsabgeordneter Jens Lehmann gegenüber T-online erklärte, stimmt so also nicht.

Dass es punktuell gemeinsame Abstimmungen seiner Fraktion mit der AfD gebe, daraus macht Michael Weickert kein Geheimnis, als er sich während der Sommerpause des Stadtrats im Fraktionszimmer der CDU im Neuen Rathaus mit dem kreuzer zum Interview trifft. »Das praktizieren wir hier seit 2014, solange ich im Stadtrat bin«, sagt Weickert und stimmt Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer zu, der sich für einen pragmatischen Umgang mit der AfD aussprach. »Wenn die AfD sinnvolle Vorschläge bringt oder auch die Linkspartei, der Unvereinbarkeitsbeschluss gilt ja dann doch noch irgendwo für beide, haben wir dem in der Vergangenheit immer zugestimmt.« Die sinnvollen Anträge der AfD seien jedoch selten.

 

Woanders hat die AfD mehr Handlungsspielraum

Eine regelmäßige Zusammenarbeit mit CDU oder anderen Fraktionen im Stadtrat, die auch über gemeinsame Abstimmungen hinausgeht, beobachtet auch Steven Hummel nicht. Vielmehr versuche die AfD, die Brandmauer ihrerseits zu unterlaufen. »Die AfD in Leipzig behauptet, dass es ständig Kooperationen gebe. Ich glaube, das ist eine totale Übertreibung.« Aufgrund anderer Mehrheitsverhältnisse besitze die AfD außerhalb Leipzigs deutlich größeren politischen Handlungsspielraum. Etwa in Zwickau, wo eine Mehrheit aus CDU, Freien Wählern und AfD dem städtischen Theater das Gendern untersagte.

Gefragt nach einer möglichen Ausweitung der Zusammenarbeit mit der AfD, antwortet Weickert: »Die Frage stellt sich nicht. Es gibt von uns aus weder das Interesse, noch gibt es belastbare Beziehungen zur AfD.« Er halte viel vom Leipziger Modell der wechselnden Mehrheiten. Anders als in vielen Parlamenten gibt es in Leipzig keine fraktionsübergreifenden Koalitionen. Für Anträge müssen die Parteien somit immer wieder neu auf Mehrheitssuche gehen.

Weickert kommt ausgerechnet hinsichtlich der Beziehung zwischen Linksfraktion und CDU geradezu ins Schwärmen. Man könne sich aufs gegenseitige Wort verlassen, insbesondere die Zusammenarbeit mit Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke, die Weickert beim Vornamen nennt, sei sehr vertrauensvoll.

 

AfD und CDU gegen Conne Island

Dass die Leipziger CDU ihren politischen Gegner im Zweifel dennoch klar definiert, wurde im Februar deutlich. Im Zuge der Haushaltsdiskussion stimmte die Fraktion geschlossen einem AfD-Änderungsantrag zu, der eine Streichung der Baumaßnahmen am Conne Island forderte. Weickert quittiert das mit einem Schulterzucken: »Das haben wir schon gefordert, da gab’s die AfD noch gar nicht. Wäre ja sinnlos, wenn wir da unsere Haltung ändern würden.«

Steven Hummel widerspricht. Bereits bei neutralen Sachthemen sollte die vermeintliche Brandmauer weiter bestehen. »Weil dahinter immer ein Menschenbild und eine Partei steht, die der extremen Rechten zuzuordnen ist«, sagt Hummel und ergänzt: »Wenn es auf kommunaler Ebene zu Zusammenarbeiten kommt, es da etablierte Praxen gibt, kommt es möglicherweise auch irgendwann auf der Landes- oder Bundesebene dazu.«

Die Abstimmung über das Conne Island ist besonders heikel, wie Hummel in seinem Beitrag an einem Beispiel aus Döbeln erklärt. Durch den Angriff auf die kritische Zivilgesellschaft, für die ein Kulturzentrum wie das Conne Island stellvertretend steht, würden Akteure der extremen Rechten eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft beabsichtigen. Neben der diskursiven Normalisierung dieser Positionen, etwa durch gemeinsame Abstimmung mit demokratischen Parteien, ginge es auch um die massive Umverteilung von Geldern: »Diese Konflikte werden in der Zukunft zu- und nicht abnehmen.«

 

Polemik, die der AfD in die Karten spielt

Dass Weickert diese Gefahr nicht sieht, passt zur Linie, die ihm für seine Fraktion und Partei vorschwebt: »Also, eines muss doch mal allen Beteiligten klar werden: Mit Angst vor der AfD gewinnt man keine Wahlen mehr. Das ist vorbei.« Der Fraktionsvize beschreibt sein Weltbild als Mischung aus Thatcherismus und katholischer Kirche, retweetet auch mal Posts von Julian Reichelt. Für die CDU wünscht er sich ein klar bürgerlich-konservatives Profil. Den Hauptgegner dieser Politik sieht Weickert bei den Grünen. Beim Landesparteitag der CDU im November 2022 mahnte er, dass es mit der Meinungsfreiheit vorbei wäre, holten die Grünen absolute Mehrheiten. Sein Satz, »Wer das Vaterland nicht liebt, darf es auch nicht regieren«, provozierte damals über Tage Entrüstung in den sozialen Medien. Darauf angesprochen, leuchten Weickert die Augen.

»Eine klare konservative oder auch bürgerliche Politik darf keine Angst davor haben, wenn sie von Grünen und Sozialdemokraten angegriffen wird«, sagt Weickert, der den Grünen attestiert, auf Basis ihres Weltbildes genaue Pläne für Leipzig zu haben. »Und dieses Weltbild bekämpfe ich, ganz klar.« Einen Vorgeschmack darauf lieferte die CDU in den vergangenen Monaten. Bei der Debatte um die Fahrradspur vor dem Hauptbahnhof polemisierte die Fraktion gegen das vom Grünen Thomas Dienberg geführte Baudezernat, warf der Verwaltung eine ideologiegetriebene, paternalistische Verkehrspolitik vor – und stand damit nicht allein. Auch aus den Fraktionen der Linken, SPD und Freibeuter gab es Kritik an fehlender Bürgerbeteiligung.

Hummel beobachtete ebenfalls die Debatte und kritisiert, dass sich die Fraktionen damals an Formalia aufhingen, anstatt das große Ganze, die klimagerechte Umgestaltung der Stadt, im Blick zu haben. Polemik, die der AfD in die Karten spielt. »Ich nehme nicht wahr, dass die anderen Fraktionen ein gutes Konzept haben, das der Öffentlichkeit bekannt ist. Das wäre ja im Zweifel schon eine totale Abgrenzung zur AfD.«

Der bevorstehende Kommunalwahlkampf wird in Zeiten einer AfD im Umfragehoch somit zum Lackmustest für die Fraktionen des Stadtrats, inklusive der CDU.


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