Krise, Krise, Krise. Drei Corona-Pandemie-Jahre, der Ukraine-Krieg, Lieferengpässe und Inflation lassen die Preise steigen. Das spürten und spüren auch die Studierenden in Leipzig. Zum Beispiel fragen sie die Beratungsangebote des Leipziger Studentenwerks stärker nach (s. Tabelle unten). Julia Winkler leitet die Abteilung Soziale Dienste des Leipziger Studentenwerks, zu deren Angebot unter anderem die Beratungen gehören. Sie sagt über die Pandemiezeit: »Typische studentische Jobs wie in der Gastronomie fielen weg und teilweise wurde das Geld bei den Eltern knapper, etwa durch Kurzarbeit.« Auch wenn sich die Joblage mittlerweile entspannt hat, gebe es jedoch keine Entwarnung, was die soziale Situation der Studierenden angeht.
Die Zahl der psychosozialen Beratungen stieg geradezu sprunghaft an, das Studentenwerk erhöhte sogar die Kapazitäten dafür. Die Belastungen rührten Winkler zufolge einerseits von den überwiegend digitalen und kontaktarmen Pandemiesemestern her, in denen soziale Kontakte, die für den neuen Lebensabschnitt Studium und das Ankommen in einer neuen Stadt wichtig sind, nicht aufgebaut werden konnten. Hinzu kämen Sorgen um das oft ohnehin schmale Budget durch Inflation, gestiegene Energiepreise und den Mietmarkt in der Stadt. »Wir nehmen wahr, dass die Problemlagen komplexer geworden sind und dass es nach wie vor Beratungsbedarf gibt.«
Das Studentenwerk Leipzig ist für die rund 40.000 Studierenden an den sieben Leipziger Hochschulen zuständig. Zur Erinnerung: Universität, HTWK, HMT, HGB, HHL, Berufsakademie Sachsen und Internationale Berufsakademie. Neben verschiedenen Beratungs- und anderen Angeboten gehören die Mensen und Cafeterien, die Studierendenwohnheime und das Bafög zu seinen Aufgaben. In all diesen Bereichen ist der härtere Wind für die Studierenden spürbar. So wurden in diesem März die sogenannten Freitische eingerichtet: Gutscheine über 100 Euro für Essen und Getränke, die auf den Mensa-Chip im Studierendenausweis geladen werden. Sie werden in akuten Notlagen auf Antrag bewilligt. Winkler zufolge übersteigt die große Nachfrage nach Freitisch-Gutscheinen die Erwartungen bei Weitem: »Bis Ende August haben wir 172 Freitisch-Gutscheine ausgegeben. Sie wurden in der Regel zeitnah aufgeladen und binnen ein bis zwei Monaten abgegessen.« Kurzfristige finanzielle Unterstützung kann das Studentenwerk auch aus dem Härtefonds leisten. Gab es in den Vorjahren durchschnittlich 14 Härtefonds-Anträge jährlich, wurden Winkler zufolge bis Ende August 2023 schon 64 Anträge bewilligt. Solche Akutmaßnahmen werden von weitergehender Beratung flankiert: »Da geht es um Krankenversicherung, Wohnungserhalt, Schuldenabbau und nicht zuletzt darum, dass das Studium nicht abgebrochen wird«, so Winkler.
Der angespannte Mietmarkt in Leipzig spiegelt sich in der deutlich erhöhten Nachfrage nach Wohnheimplätzen und deren Auslastung wider, die im letzten Jahresdurchschnitt bei 98,5 Prozent lag. Grund dafür: Die Studierenden bleiben länger in den Wohnheimen und die Wartelisten schrumpfen langsamer – insbesondere ein Problem für internationale Studierende.
Freilich ist die Situation nicht aller Studierenden so angespannt, dass sie zum akuten Härtefall werden. Wirtschaftliche und soziale Daten erhebt regelmäßig das bundesdeutsche Studierendenwerk, dessen 22. Sozialerhebung lag im Mai dieses Jahres vor. Knapp 188.000 Studierende an 250 Hochschulen bundesweit wurden dafür im Sommersemester 2021 befragt, im Jahr also, bevor sich zur Pandemie weitere Krisen gesellten und die Lage verschärften.
Die wichtigste Geldquelle für Studierende bundesweit war 2021 die Erwerbsarbeit. Knapp zwei Drittel arbeiteten neben dem Studium, die meisten, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, aber auch für Extras oder um praktische Erfahrungen zu sammeln. Im Schnitt hatten Studierende monatlich 1.100 Euro im Jahr 2021 zur Verfügung – darunter auch die, die neben dem Beruf studierten. Kaufkraftbereinigt sind das laut Deutschem Studierendenwerk 876 Euro. Und: Knapp 11 Prozent hatten monatlich nur 400 Euro oder weniger zur Verfügung, ein gutes Fünftel 600 Euro oder weniger, etwa die Hälfte blieb unter 900 Euro. Dem stehen durchschnittliche monatliche Ausgaben von 842 Euro gegenüber.
Das Bafög ist eine weitere Quelle der Studienfinanzierung, 13 Prozent der Studierenden bundesweit bezogen die Ausbildungsförderung im Sommersemester 2021. Bundesweit und auch beim Leipziger Studentenwerk hat sich im letzten Jahr sowohl die Zahl der Bafög-Anträge als auch die Höhe der ausgezahlten Förderung erhöht, durchschnittlich erhielten Studierende in Leipzig 624 Euro. Es gab eine pandemiebedingte Anpassung in einer Mini-Reform ab Mitte 2022 mit Erhöhungen bei den Bedarfssätzen und den Elternfreibeträgen – das konnte allerdings nicht einmal die Inflation ausgleichen. Im Bafög ist eine Wohnkostenpauschale von 360 Euro enthalten. Der sogenannte Grundbedarf für die Kosten außerhalb von Wohnung und Kranken- beziehungsweise Pflegeversicherung beläuft sich auf maximal 452 Euro. Damit liegt die Förderung unter dem Bürgergeld. Das Deutsche Studierendenwerk vermisst eine Anpassung an die erhöhten Lebenshaltungskosten und an die Entwicklung der Studienwirklichkeiten in den letzten Jahrzehnten, außerdem strukturelle Veränderungen, mit denen sich der Kreis derer, die überhaupt Anspruch auf eine Förderung hätten, erhöhen würde. Immerhin soll das Bafög die Finanzierung der Ausbildung, also die Aufnahme dieser Ausbildung und ihren erfolgreichen Abschluss ermöglichen.
In diesem Sinne hielt die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag fest, die Ausbildungsförderung reformieren zu wollen: Selbstläufige Anpassung der Sätze an gestiegene Lebenshaltungskosten, weniger Abhängigkeit von den Einkommen der Eltern, höhere Freibeträge und Anpassung an die steigenden Kosten fürs Wohnen gehören zu den Vorhaben, außerdem eine Senkung des Anteils, der später zurückgezahlt werden muss. Der aktuelle Stand bei den Haushaltsberatungen für nächstes Jahr lässt jedoch nicht vermuten, dass dieser Koalitionswille umgesetzt wird. Presseberichten zufolge soll das Budget fürs Bafög für Studierende um 440 Millionen auf 1,37 Milliarden gekürzt werden.
Dazu positioniert sich das Leipziger Studentenwerk schon auf seiner Startseite: »Die Diskussionen über Kürzungen im Bundeshaushalt für 2024 betreffen auch das BAföG. Wir sind gegen Einschränkungen und für bessere Bildungschancen!«
> www.studentenwerk-leipzig.de
> Petition an Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und den Bundestag gegen Kürzungen beim Bafög: innn.it/bafoeg
Beratung im Studentenwerk Leipzig
|
2019 |
2020 |
2021 |
2022 |
2023 |
Sozialberatung |
3.521 |
3.911 |
3.312 |
3.761 |
ca. 3500 bis Ende August |
Psychosoziale Beratung |
2.678 |
2.242 |
3.273 |
4.866 |
2.003 bis Ende Juli |
Rechtsberatung |
376 |
250 |
183 |
248 |
165 bis Ende Juli |
Jobvermittlung |
10.129 |
10.786 |
12.426 |
11.571 |
10.241 bis Ende Juli |
Quelle: Studentenwerk Leipzig
Einnahmen im Sommersemester 2021 bundesweit
< 400 € |
10,6 % der Studierenden |
401–500 € |
5,8 % |
501–600 € |
5,2 % |
601–700 € |
6,6 % |
701–800 € |
9,1 % |
801–900 € |
9,5 % |
901–1.000 € |
10,5 % |
1.001–1.100 € |
6,1 % |
1.101–1.200 € |
6,6 % |
1.201–1.300 € |
4,9 % |
> 1.300 € |
25,2 % |
Quelle: 22. Sozialerhebung Deutsches Studierendenwerk
Ausgaben im Sommersemester 2021 bundesweit
Warmmiete |
410 € |
Ernährung |
198 € |
Kinderbetreuung |
191 € |
Sonstige Ausgaben |
144 € |
Kinderbezogene Ausgaben |
138 € |
Semesterbeitrag |
136 € |
Gesundheitskosten |
100 € |
Mobilitätskosten |
89 € |
Studiengebühren |
76 € |
Freizeit, Kultur, Sport |
75 € |
Kleidung |
46 € |
Telefon, Internet |
31 € |
Lernmittel |
31 € |
Gesamt |
842 € |
Quelle: 22. Sozialerhebung Deutsches Studierendenwerk