Das 1990 als Verein gegründete Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig (FZML) wird erstmals seit 2011 in diesem Jahr nicht von der Stadt Leipzig institutionell gefördert. Der langjährige künstlerische Leiter Thomas Christoph Heyde ist zurückgetreten, das 2022 angetretene neue Team um Hans Rotman wollte das geschichtsträchtige FZML aber weitertragen: als offene Plattform für Neue Musik und Ort der Kooperationen. »Wir haben uns nach Ablehnung des Förderantrags der Stadt Leipzig erst einmal zurückgehalten, um zu gucken, wie sich die Leipziger Szene selbst dazu verhält. Das daraufhin von Musiktheaterregisseurin Anja Christin Winkler angestoßene Gemeinschaftsprojekt ›New Moon Sessions‹, an das wir uns angeschlossen haben, erhielt jedoch bei der zweiten Förderrunde im Frühjahr ebenfalls keine Fördermittel. – Man kann schon sagen: Die Szene hier in Leipzig liegt am Boden«, resümiert Rotman, der auch Intendant des 2008 gegründeten Impuls-Festivals für Neue Musik in Sachsen-Anhalt ist, das dem FZML nun sozusagen Obdach gewährt.
Denn unter dem Fusions-Namen IMPULSxFZML expandiert das Festival nun nach Leipzig – auch, um eine Idee davon zu geben, was das FZML vor Ort in Zukunft sein könnte, wie Rotman betont. Man arbeite dabei gänzlich ohne Fördermittel von der Stadt Leipzig, kooperiere aber mit verschiedenen Institutionen, wie der GfZK, dem Botanischen Garten und der Niemeyer-Sphere in den Kirow-Werken.
Mit dem 2023er Festival wollen Intendant Hans Rotman und der künstlerische Leiter Julian Rieken über die bisherige Praxis hinausgehen – von einem offenen Kunstbegriff ausgehend. Bedingt durch Förderstrukturen würde inzwischen sehr stark in Sparten gedacht, so Rieken, man müsse aber gerade die Verbindung mit anderen Perspektiven versuchen. Die Kulturstiftung des Bundes fördert diesen erweiterten Ansatz des Festivals als Forschungsprojekt. Unter dem Motto »No time like the Present« soll es in diesem Jahr vor allem um die Frage gehen, inwieweit Künstlerinnen und Künstler angesichts der gegenwärtigen Vielfalt großer gesellschaftlicher Fragestellungen Verantwortung übernehmen können.
Zu beobachten seien zurzeit zwei Bewegungen in der Kunst: kompletter Rückzug und Entkopplung von gesellschaftlichen Fragestellungen auf der einen, der Versuch, sich der Gegenwart zu stellen, auf der anderen Seite. Kunst selbst könne nicht verändern, aber »Musik und Kunst können Möglichkeiten sein, die Welt zu beschreiben, Menschen zusammenzubringen und Visionen zu entwerfen«, so Rieken. »Wir verstehen es als Auftrag eines zeitgenössischen Musikfestivals, Risiko einzugehen und Sachen zu zeigen, die es noch nicht gibt. Wir wollen eine Plattform sein, wo wir Zukunft denken und ermöglichen. In der zeitgenössischen Musik wird oft davon ausgegangen, dass die Relevanz dem, was wir tun, inhärent ist. Letztendlich bedienen wir hier aber nur eine kleine Szene, in der es für viele Menschen keine Anschlussmöglichkeiten gibt. Wir können nicht Kunst außerhalb der Gesellschaft praktizieren.«
Im Festivalprogramm ist Leipzig nun überaus präsent, auch mit zwei Sinfoniekonzerten in Magdeburg mit Kompositionen der in Leipzig lebenden Steffen Schleiermacher und Rino Murakami. In Leipzig selbst wird das Thema insbesondere deutlich bei einem Symposium, das fragt: »Wie kann Kunst politischer, aktivistischer, sozial engagierter werden?«. Dazu werden neben Musikschaffenden auch gezielt Aktivistinnen und Aktivisten eingeladen, die bereits stark in gesellschaftliche Prozesse eingreifen: »Darunter beispielsweise die River Sisters, ein polnisches Kollektiv von Frauen, die sich durch Kunstaktionen für den Erhalt von Flüssen in Polen engagieren«, so Rieken. »Das Symposium ist das Format, gemeinsam Ideen und Lösungen zu erarbeiten, eine Art Samen für die Zukunft.« Bespielt wird das Gelände um die Niemeyer-Kugel am 14. Oktober. Im Botanischen Garten sind bereits am Vortag künstlerische Perspektiven zu erleben, die globale Fragestellungen lokal bearbeiten. Der Botanische Garten wird dabei als Ort begriffen, der durch seine Vergangenheit starke politische Implikationen mit sich bringt, indem er auf koloniale Geschichte verweist. In der Galerie für Zeitgenössische Kunst stehen unter anderem Workshops mit verschiedenen Kunstaktivistinnen und Filme auf der Tagesordnung.
Mit dem diesjährigen Programm gehe es darum, Räume der Zusammenkunft zu schaffen, gerade nach Corona und angesichts spürbarer Tendenzen zur Teilung der Gesellschaft. »Wir kuratieren hier Gemeinschaft«, so Rieken.
> IMPULSxFZML – Festival für Neue Musik in Sachsen-Anhalt und Leipzig »No time like the Present«: 7.–15.10., impulsfestival.de