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Feuerwehrenmann

Jürgen Jakobeit ist seit 1992 bei der Freiwilligen Feuerwehr Böhlitz-Ehrenberg und seit Jahrzehnten Brandsicherheitswachdienst bei Fußballspielen, Opernaufführungen und mehr

  Feuerwehrenmann | Jürgen Jakobeit ist seit 1992 bei der Freiwilligen Feuerwehr Böhlitz-Ehrenberg und seit Jahrzehnten Brandsicherheitswachdienst bei Fußballspielen, Opernaufführungen und mehr  Foto: Christiane Grundlach

Ehe Sie fragen – und bisher haben alle gefragt und nach der Antwort enttäuscht geguckt –: Es gibt in der Wache der Freiwilligen Feuerwehr Böhlitz-Ehrenberg keine Stangen, an denen die Feuerwehrleute runterrutschen, tut mir leid. »Das gibt’s nur bei der Berufsfeuerwehr, weil die in der Wache schlafen«, erklärt Jürgen Jakobeit trocken. Seine ehrenamtlichen 35 Kollegen und 5 Kolleginnen schlafen zu Hause, maximal zwei Kilometer von der Wache entfernt. Es ist Voraussetzung für die Einsatzkräfte, dass sie so nah wohnen. Denn die sogenannte Hilfsfrist für Rettungsdienste in Sachsen beträgt zwölf Minuten. Das meint wohlgemerkt nicht zwölf Minuten zwischen dem Losfahren an der Wache bis zum Eintreffen am Einsatzort, sondern zwölf Minuten vom Eingang des Notrufs auf den 40 Pagern der Einsatzkräfte bis zur Ankunft am Einsatzort. Also zwölf Minuten zwischen friedlich im Bett schlafen und Ankommen mit Tatütata und sofort funktionieren müssen. »Das Ziel ist es, fünf Minuten nach Eingang der Meldung hier loszufahren«, sagt Jakobeit. In die alte Wache – das jetzige Gebäude ist seit 2008 in Betrieb – konnte er von zu Hause im Schlafanzug rüberrennen, »also im Sommer«.

Jürgen Jakobeit ist Jahrgang 1957, seit über sechzig Jahren Leipziger, gelernter Fernkraftfahrer und – nach Brandschutzerstkontakt während der Schulzeit – seit 1992 bei der Freiwilligen Feuerwehr. Zu den Einsatzkräften zählt er mit über 60 nicht mehr, aber er ist der personifizierte Brandsicherheitswachdienst im Westen Leipzigs, das heißt bei allen Großveranstaltungen im Alfred-Kunze-Sportpark, Haus Auensee, in der Musikalischen Komödie, der Arena und dem Zentralstadion. Bei allen. Lange Zeit war er es zusätzlich auch in der Oper. Im Gegensatz zu den Fußball-Bundesligaspielen, von denen er seit drei Jahren kein einziges verpasst hat, habe er in der Oper wenig von den Aufführungen mitbekommen. Im Zentralstadion sieht er aber aus dem zehnten Stock des Hauptgebäudes das ganze Spiel. Außer natürlich, es passiert etwas irgendwo im Stadion. Meist ist es ein Rauchmelder, der angeht, wenn im VIP-Bereich zu expressiv gekocht wird oder wie zuletzt in der Gästeumkleide jemand vom VfL Bochum den Wasserkocher offen stehen lässt. Aber es muss auch mal jemand reanimiert werden und ja, das ist nicht immer erfolgreich.

Jakobeit hat in über dreißig Jahren als Feuerwehrmann natürlich viel gesehen und nicht nur Katzen auf Bäumen oder Pferde auf der Opernbühne. Bis zur Eingemeindung von Böhlitz-Ehrenberg 1999 mussten er und seine Kollegen noch bis zum Saale-Park (heute: Nova Eventis), inklusive Autobahn und Bundesstraße. Entsprechend häufiger mussten Unfallopfer aus Autos geschnitten werden. Das passiere heute kaum noch – aber geübt wird es natürlich weiterhin. Man bekomme jedes Jahr zwei, drei äußerlich intakte Autos vom Schrottplatz, in die man Dummies setze, die es dann zu retten gelte, erzählt Jakobeit bei einer Zigarette vor der Wache, von wo aus wir einen solchen Übungs-PKW-Klumpen betrachten. Jakobeit ist hart im Nehmen, würde man wohl sagen. »Es ist gut, dass es Hilfsangebote und so was gibt, aber am Ende muss man das Gesehene und Erlebte mit sich selbst ausmachen«, sagt er. Nach einem Einsatz am Leutzscher Bahnhof vor rund zwanzig Jahren, als sich eine junge Frau einen Tag vor Weihnachten vor einen Zug geworfen hatte, nahmen in der Wache aber erst mal alle einen Schluck aus der Schnapspulle. Sehr nahe gehe es ihm aber auch, wenn er in einer Gartensparte vor einem 80-jährigen Ehepaar stehe, dessen Laube, also Lebenswerk ausgebrannt sei, erzählt Jakobeit, der – dank einer Ausnahmeregelung – erst nächstes Jahr aus Altersgründen sein Ehrenamt niederlegen muss. Was er dann machen werde? »Keine Ahnung. Vielleicht Zwiebeln züchten«, sagt er und lässt das Garagentour hochfahren. Wir verabschieden uns, er muss nach Hause, der Heizungsmonteur hat sich angekündigt. Ich bin noch nicht mal am Fahrradständer angekommen, da saust Jakobeit in seinem Auto schon vom Hof. Die zwölf Minuten hat er einfach im Blut.

Ende Mai hat Oberbürgermeister Burkhard Jung Jürgen Jakobeit und zehn andere verdienstvolle Ehrenamtliche – darunter Rita Jorek und Petra Mewes – mit der Goldenen Ehrennadel ausgezeichnet. Jakobeit war sehr überrascht, als die Einladung im Briefkasten steckte, und wollte dann erst mal rausfinden, »auf wessen Mist das gewachsen« war. Er freue sich über die Anerkennung, an der es ihm im unmittelbaren Umfeld zwar keinesfalls fehle, die er aber fürs Ehrenamt als solches in der Gesellschaft und Öffentlichkeit vermisst. Aufwandsentschädigungen für Ehrenamtliche »zumindest so hoch wie der Mindestlohn« könnten da ein Anfang sein, findet er. 

In der Begründung der Stadt Leipzig zu seiner Ehrennadel-Verleihung heißt es, dass ohne Jakobeits freiwilligen Brandsicherheitsposten »ein Spielbetrieb aufgrund rechtlicher Bestimmungen nicht möglich« wäre für das Leipziger Fußball-Bundesliga-Team. Wir erinnern uns: Das Unternehmen hinter ebendiesem Team verbrennt nicht nur Millionen von Euro für Dutzende Profifußballer, sondern auch für gleich zwei Formel-1-Teams und allerhand anderen Tand. Jürgen Jakobeit ist Rentner und arbeitet ehrenamtlich 30 Stunden die Woche. Ohne Menschen wie ihn wäre so einiges nicht möglich, worüber sich diese Stadt definiert und vermarktet.


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