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Rechte Raumnahme im Ehrenamt

Über Freiwilligenarbeit versuchen Rechtsextreme in Sachsen, Anschluss an die Zivilgesellschaft zu bekommen

  Rechte Raumnahme im Ehrenamt | Über Freiwilligenarbeit versuchen Rechtsextreme in Sachsen, Anschluss an die Zivilgesellschaft zu bekommen

Im kommenden Jahr startet die neue Amtszeit für 60.000 Schöffinnen und Schöffen, die bundesweit in Strafverfahren als Laienrichterinnen und -richter an der Urteilsfindung mitwirken. Ein Ehrenamt, für das sich jede und jeder zwischen 25 und 69 Jahren Anfang dieses Jahres bewerben konnte – und eine neuralgische Stelle der deutschen Justiz, die die extreme Rechte seit Langem für sich nutzen möchte. AfD und Freie Sachsen riefen ihre Anhängerinnen und Anhänger dazu auf, sich für das Amt zu bewerben.

»Man hat Informationszugänge durch die Anbindung an die Gerichte und man hat Einfluss auf Prozesse – und in dem Sinne ist das so ein klassisches Feld, wo Neonazis und extrem rechte Leute ein hohes Interesse haben, mitzumachen«, sagt Anne Mehrer im Gespräch mit dem kreuzer. Mehrer arbeitet beim Kulturbüro Sachsen, berät in der Region Nordsachsen, Landkreis Leipzig und Leipzig gemeinsam mit Anne Gehrmann unter anderem zivilgesellschaftliche Akteure zum Thema Rechtsextremismus

Finanziert durch das Justizministerium des Freistaats richtete das Kulturbüro ein Projekt ein. Melden konnten sich dort Menschen, die auf den öffentlichen Schöffen-Vorschlagslisten Personen entdeckten, von denen sie vermuteten, nicht die demokratischen Voraussetzungen für das Amt zu erfüllen. Das Kulturbüro beriet dann, wie Einspruch gegen bestimmte Kandidatinnen und Kandidaten erhoben werden könnte.

Warum das Schöffenamt so interessant für die extreme Rechte ist, erklärt sich durch das Konzept der Raumnahme. Durch die Sichtbarkeit auf der Straße, die Normalisierung ihrer Ideen in den Köpfen der Menschen und letztlich durch die Vergrößerung ihrer Wählerschaft arbeitet die extreme Rechte daran, eine Hegemonie im (vor-)politischen Raum zu erlangen. Das kann durch Nazi-Kieze geschehen, durch Laienrichter, aber auch generell durch das Ehrenamt. »Wir beschreiben das seit Jahren als Strategie der Neuen Rechten, gerade auch in kleinen Gemeinwesen, dass sich Personen unverzichtbar machen wollen und bestimmte Schnittstellen besetzen. Sei es im lokalen Feuerwehrverband oder im Sportverein«, sagt Gehrmann. Diese Sichtbarkeit normalisiert Rechtsextremisten und lässt Demokraten oder von Gewalt betroffene Menschen sich aus den besetzten Räumen zurückziehen. Außerdem verschafft eine Stellung im Verein Zugang zu Informationen und Ressourcen.

So organisiert wie beim Aufruf zur Schöffen-Wahl agieren Rechtsextreme dabei nicht immer. Oftmals engagierten sich ortsbekannte Menschen schon lange in lokalen Vereinen, beginnen aber mit der Zeit menschen- und demokratiefeindliche Positionen zu teilen, erklärt Gehrmann: »Das ist ja kein strategisches Eintreten mit dem Ziel: Ich unterwandere jetzt hier den Verein, sondern eine Veränderung der Person. Und ich glaube, das ist viel häufiger in Sachsen der Fall. Damit brauchen wir eine Auseinandersetzung.« Einmal verankert in der Zivilgesellschaft, ist es oft schwer, auf diese Menschen aufmerksam zu machen: »Die Leute werden ja nicht etikettiert als rechte Akteure, die sind Teil des Gemeinwesens. Und dann billigt man eben auch bestimmte Haltungen, wenn jemand seinen Job gut macht.«

Gleichzeitig gibt es in Sachsen aber auch gezielte Vereinsgründungen, viele von ihnen entstanden im Umfeld der Pegida-Bewegung: Obdachlosenhilfe, Tafel oder Bürgerverein, alle eint das oberflächlich harmlose Auftreten. »Das ist ein Beispiel dafür, wie rassistische oder extrem rechte Mobilisierung dann auch in Langzeitstrukturen diffundiert«, sagt Mehrer. »Und diese Strukturen klingen oft sehr freundlich in ihrer Selbstbeschreibung.« Ein Beispiel ist der inzwischen aufgelöste Verein Freigeist aus dem erzgebirgischen Schwarzenberg. Hervorgegangen aus den rassistischen Demonstrationen seit 2013 und gegründet von bekannten Neonazis wie dem heutigen Auer Stadtrat Stefan Hartung (Freie Sachsen), präsentierte sich Freigeist als basisdemokratischer Heimatverein. Tatsächlich handelte es sich um eine Mobilisierungsplattform, die das Mitwirken vermeintlich »normaler Leute« zur Normalisierung rechtsextremer Positionen nutzen wollte.

Mehrer und Gehrmann ist es wichtig zu betonen, dass es auch auf dem sächsischen Land keinen extrem rechten Konsens gebe. Auch hier würden die demokratischen Menschen überwiegen, nur sei es hier schwerer sich zu engagieren als in der Stadt, sagt Mehrer: »Wir haben in Leipzig genauso rechte Bedrohungen, aber die Widerstandskräfte, die Machtverhältnisse und Hegemonien sind anders organisiert.«


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