»Run for your life«, singt der schweißgetränkte Frontmann. Man fragt sich, woher er die Luft nimmt. Denn er rennt zeitgleich auf einem Laufband. Auch die anderen Musiker unternehmen unentwegte Kraftübungen. Der Bassist erreicht sein Instrument nur durch Rumpfbeugen, die Violinistin balanciert einbeinig auf einem Schwebebalken, der Keyboarder bedient auf einem Sprungbrett hüpfend die Tasten. Tobende Fans feuern sie in straffer Choreografie an. Mit totaler Erschöpfung und Überwältigung des Publikums endet das Eröffnungsstück der Euro-Scene, das doch nur »One Song« sein will.
Proppenvoll ist das Foyer im Schauspielhaus. Herrlich, so viele Theaterbegeisterte zu sehen! Nach kurzen offiziellen Ansprachen beginnt der sechstägige Marathon. Dessen ersten Abend beschließt »Koulounisation«; ein wunderbarer Kontrast zur Eröffnung in Schweiß. Statt ein Feuerwerk abzufackeln, nimmt Salim Djaferi (Belgien) im intimen Solo Kolonialerzählungen auseinander. Auf der kleinen Diskothek-Bühne illustriert er mit wenigen Mitteln, dafür drastisch, wie sich algerische und französische/westliche Perspektiven auf das unterscheiden, was »wir« »Algerienkrieg« nennen. Mehr sei an dieser Stelle nicht über den überraschenden, hellsichtigen Vortrag verraten. Sonst verliert der aufklärerische Augenöffner seine Wirkung.
Zurück zu »One Song«, mit dem nach »Soul Chain« im vergangenen Jahr erneut eine hochenergetische Produktion Opener war. Die belgische Choreografin Miet Warlop macht eigentlich nichts mehr, als Rockkonzert- und Fanblock-Vibes auf die Bühne zu holen. Das kapiert man sofort, aber so what? Je schneller die Drums bearbeitet werden – die Trommeln sind irrwitzigerweise über mehrere Meter Distanz voneinander verteilt –, umso mehr wippen die Zuschauerkörper. Auch ein Oberbürgermeister hält da nicht mehr still. Nur kurz endet der kurze, zuerst an Wave-Pop erinnernde Song, um dann noch schneller wieder zu beginnen. Beim Maximaltempo trägt er Züge vom Beasty-Boy-Beat in »Sabotage«. Das drückt dermaßen in die Sessel, wie es Alain Platel einst mit seinem Rausch in Blech »Vorwärts, marsch!« auf der Euro-Scene 2015 schaffte.
Erinnerungen werden auch in den vielen Gesprächen im Foyer wach. Dort stehen viele bis in die Nacht zusammen. Das gemischte Publikum eint die Liebe zum Theater, begeisterte Gesichter strahlen. So muss ein Festival beginnen. »Run for your life« dreht auf dem Nachhauseweg Schleifen im Kopf. More to come.
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