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Kultur

»Das Lächerlichste ist der Heldentenor«

Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken über Gendertrouble in der Oper

  »Das Lächerlichste ist der Heldentenor« | Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken über Gendertrouble in der Oper  Foto: Jan Dreer für IFK

Mit »Diva« hat die 1960 in Hannover geborene Romanistin Barbara Vinken von der Uni München »Eine etwas andere Opernverführerin« geschrieben. Worum es im Buch über starke Frauenfiguren genau geht, wird sie am 15. November im Thomasius-Club erzählen. Im kreuzer gibt sie vorab ein paar Einblicke.

Sie sagten mal, dieses Buch wollten Sie unbedingt schreiben. Warum?

Ich liebe Opern, besonders die italienische des 19. Jahrhunderts, Mozart natürlich auch. Aber es gab auch eine inhaltliche Absicht: Ich wollte gegen die These von der Oper als Kultort eines Frauenopfers schreiben. Das Buch steht im Kontext einer Opferdebatte, die das ganze 19. Jahrhundert umtrieb. Kurz gesagt ist es die Frage, ob das Liebesopfer Christo etwas genützt hat und wir je aus einer Opfergesellschaft herausgekommen sind. Oder ob wir noch immer in einer antiken barbarischen, babylonischen Gesellschaft leben. Es war eines der härtesten Anti-Oper-Argumente, dass dort Frauenopfer inszeniert werden, über die sich eine patriarchale Gesellschaft vereint und in ihrer Machtstruktur festigt. Dem widerspreche ich.

Wie kamen Sie zu der Einsicht?

Beim Opernhören wurde mir klar, dass dort eine Liebeskraft ertönt, die das ihre nicht sucht. Die auf der Bühne sterbenden Frauen sind keine babylonischen Opfer; sie sind selbstbestimmt und unglaublich stark. Dagegen erzählte zur selben Zeit »Madame Bovary« von einer Gesellschaft, die solche Opfer bringt. Emma ist ein Sündenbock und Flaubert analysiert seine Gesellschaft als eine, an der die Frohe Botschaft, aber auch Aufklärung und Humanismus unerhört vorbeigegangen sind: Wir leben in barbarisch babylonischen Opfergesellschaften. Verdi selbst würde das nie so pessimistisch sagen, Bellini auch nicht. Aber beide stehen im selben Bann. Das Privileg dieser starken, alles in den Schatten stellenden Liebe wird im romantischen 19. Jahrhundert den Frauen zugesprochen, eine Liebesfähigkeit, die stärker ist als Eigenliebe.

Die Frauen sterben durch Selbstaufgabe, nicht von fremder Hand. Aber sie sterben. Warum das feiern?

In einer christlichen Tradition ist das Liebesopfer der höchste Wert. Die Frauen werden nicht als Sündenböcke geopfert, sondern verfügen über die Fähigkeit zum Selbstopfer, zum Liebesopfer. Das macht sie nicht zu Objekten, sondern zu superstarken Figuren. Das sollen wir nicht nachmachen, sondern als unerreichbare Kraft bewundern.

Warum in der Oper, nicht im Roman?

Das gibt es natürlich auch im Roman, etwa bei Hugo oder Manzoni, und sogar für Männer. Die Romantik hat als letzte Epoche das Versprechen eines erneuerbaren Liebesopfers gemacht. Diese Frauen sind Heiligenfiguren. Später geht das in der Oper auch anders, denken Sie an Puccinis »Triptychon«. Die naturalistische Oper kennt das realistische Scheitern der Liebe.

Diesen Frauen stehen lächerliche Männer gegenüber?

Die Figur, die am lächerlichsten gemacht wird, ist der arme Heldentenor. Weit davon entfernt, die Stimme triumphierender Liebe zu sein, machen ihm die Komponisten einen Strich durch die Rechnung. Paradebeispiel ist der Duca in »Rigoletto«, die Nullnummer an sich, der nichts von dem, was er anrichtet, und nichts von dem, was ihm widerfährt, versteht. Wie eine gesprungene Platte. Mozart erfindet den Geist der Liebe aus dem Cherubino, einem Mezzo, einer Figur, die nicht ganz Mann und nicht ganz Frau ist und sich vor der Geschlechterbestimmtheit in einem paradiesischen Zustand befindet. Er ist so faszinierend, weil er noch in der Schwebe ist. Weder sucht er in der Liebe eine ganze Männlichkeit noch unbeschreibliche Weiblichkeit narzisstisch zu bestätigen.

Hatte das etwas mit dem Publikum und dessen Leben zu tun oder wurde es eher als Kuriositätenkabinett wahrgenommen?

Es ist der Oper immer vorgeworfen worden, so etwas wie eine Zirkusnummer zu sein, die von den Höfen vor ein bürgerliches Publikum als Karnevalsbelustigung in die Stadt gewandert ist, das für die Virtuosität der Arien bezahlte. Das trifft aber auf die Oper des 19. Jahrhunderts nicht mehr zu. Diesen Umschlag inszeniert Verdi in »La Traviata« mit. Er erzählt noch von der Fastnacht, dem Mardi-Gras-Ochsen. Dagegen stellt er das Liebesopfer. Im Moment von Violettas Tod läuft unter dem Fenster der Ochse vorbei zum Klang der babylonischen Instrumente, die zu den antiken Opferkulten aufspielten. Verdi führt ganz bewusst aus der Barbarei zu einer heilenderen Funktion der Oper.

INTERVIEW: TOBIAS PRÜWER

> »Gendertrouble in der Oper – Thomasius-Club mit Barbara Vinken«: 15.11., 20 Uhr, Universitätsbibliothek Albertina, freier Eintritt

> Barbara Vinken: Diva. Eine etwas andere Opernverführerin. Stuttgart: Klett-Cotta 2023. 432 S., 30 €


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