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Editorial

Editorial 12/23

Das neue Heft ist da!

  Editorial 12/23 | Das neue Heft ist da!  Foto: Tanja Kirmse

»Zwei Seeigel warf eine Welle mit Schwung an den Strand.

Sie lagen da nebeneinander versteinert im Sand.

Wochen vergingen wortlos, man weiß nicht wieso.

Bis einer das Schweigen brach mit einem kaum hörbaren Hallo«

- Keimzeit, am 9.12. im Anker

Neben einem Erzählungsband von Kafka und Siegfried Lenz’ »Fundbüro« war »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« von Heinrich Böll das wichtigste Buch in meiner Schulzeit – keins der drei stand auf dem Lehrplan, das letztgenannte aber zu Hause in der Schrankwand und dann Pate für ein Referat. Ich habe das wirklich schöne DTV-Taschenbuch (28. Auflage aus dem Jahr 1995) in Vorbereitung auf diese kreuzer-Ausgabe mal wieder aus dem Regal gezogen: 15 winzige Klebezettelchen ragen rechts akkurat aus dem Buch, markieren jeweils ein fein säuberlich mit Bleistift (und Lineal!) umrahmtes Zitat (Beispiel 13: »wenn er noch einmal, noch ein einziges Mal 
das ominöse Wort zu hören bekomme, dann – ja, was dann – nun, dann sei es aus« – gut markiert, Teenager Heine!).

Es geht in dem Buch um die ganz normale 27-jährige Katharina Blum, »eine junge hübsche Haushälterin, die sich eine kleine Eigentumswohnung und einen Volkswagen leisten kann«. – Wer jetzt denkt, es handele sich hier um einen Fantasy-Roman, irrt. Äußerst realistisch geht es zu: Blum verliebt sich in einen Mann, der verdächtigt wird, Terrorist zu sein. Die Polizei verhaftet Blum – und dann kommt die ZEITUNG ins Spiel, ein Boulevardblatt, das aus einem Verdächtigen einen Täter macht und aus Blum eine Mittäterin und ein Flittchen. Es wird gebogen und gelogen, Blum wird bedrängt und belästigt, aus ihrem Leben gerissen und in einen Mord getrieben. »Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den 
Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich«, bemerkte Böll cool as ice.

Die Erzählung erschien 1974 – zunächst im Spiegel –, zwei Jahre nach Bölls Nobelpreis und nur wenige Monate 
nach der Geburt des Pressekodex des Deutschen Presserats (s. Titelgeschichte ab S. 20). Was sich die Ost-
Arbeitskolleginnen meiner Ost-Mutti dabei gedacht haben, ihr dieses Bonner-Republik-Buch in den Neunzi­gern zu schenken – wovon eine mit Silberlackstift erzieherinnenhaft dekorierte erste Seite in meinem Buch (»Zum Geburtstag VIEL GLÜCK und viel Spaß beim Lesen – Das Hort-Team vom A.M.R.«) zeugt –, ist mir ein völliges Rätsel. Trotzdem danke! – Apropos: Weitere Geschenktipps finden Sie im Spezial ab S. 88.  

Benjamin Heine


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