»Keines verbleibt in der derselben Gestalt, und Veränderung liebend, / Schafft die Natur stets neu aus anderen andere Formen, / Und in der Weite der Welt geht nichts - das glaubt mir – verloren; / Wechsel und Tausch ist nur in der Form. Entstehen und Werden / Heißt nur, anders als sonst anfangen zu sein, und Vergehen / Nicht mehr sein wie zuvor.« So schreibt Ovid in den »Metamorphosen« und dies gilt der 1939 geborenen Fotografin Herlinde Koelbl als Leitmotiv ihrer gleichnamigen Ausstellung im Grassi-Museum für Angewandte Kunst.
Koelbl studierte Modedesign in München, bevor sie 1976 mit dem Fotografieren begann. Bekanntheit erlangte sie in der BRD mit ihrer Dokumentation »Das deutsche Wohnzimmer« (1980). Es folgten Langzeitprojekte wie »Spuren der Macht. Die Verwandlung des Menschen durch das Amt«, in der sie 15 Persönlichkeiten von 1991 bis 1998 begleitete. Zu dem Projekt realisierte Koelbl ebenso einen Film wie zum Drogenentzug von Benjamin von Stuckrad-Barre unter dem Titel »Rausch und Ruhm« im Jahr 2003.
Seit 2015 fotografiert sie parallel zu den Aufnahmen von Menschen weltweit Pflanzen. Die Aufnahmen entstanden zumeist vor Ort und nicht inszeniert im Studio.
»In der langen Reihe meiner Projekte ist es das erste Mal, dass keine Menschen zu sehen sind. Doch ein Thema, das sich durch meine Arbeiten zieht, ist geblieben: Veränderung, Vergänglichkeit. Mein Fokus liegt nun auf der Natur. In ihr bleibt nichts, wie es ist. Werden, Vergehen und Entstehen. In den Metamorphosen sind alle Lebensphasen enthalten. Es zeigt die Sollbruchstellen für Verwandlungen«, so erklärt Koelbl ihren Arbeitsansatz zu »Metarmophosen« im gleichnamigen Band zur Ausstellung.
Die Ausstellung im Grassi-Museum ist die dritte Station nach Augsburg und München. Es sind 160 Fotografien sowie zwei Video- und eine Diaprojektionen zu sehen und eine Soundinstallation zu hören.
Die Fotografin erklärte bei der Pressekonferenz vor zwei Wochen ihre Motivation mit den Worten: »Man darf nicht stillstehen, immer in Bewegung bleiben«. Die Pflanzenansichten stammen nicht nur aus heimischen Gefilden, sondern von ihren Reisen um die Welt. Einzig ein Foto weicht vom selbst gestellten Ansatz ab und zeigt ein Baby beim ersten Schrei - als bewusste Ausnahme und Klammer zwischen Anfang und Ende.
Bereits die großen Leuchtkästen zu Beginn der Schau verweisen laut Koelbel auf den Kippmoment, der die Vergänglichkeit in eine neue Schönheit verwandelt. Verwelken als Schönheit anzuerkennen, bedeutet aber auch die Farb- und Formveränderungen bewusst zu sehen. Die hier zu sehenden Pflanzen in ihrer überdimensionalen Vergrößerung erlauben dem Publikum, sich der Pflanze wie ein Insekt zu nähern.
Es gilt die Veränderungen als etwas Neues zu erkennen und mit Freude hin- statt wegzuschauen.
> »Herlinde Koelbl. Metamorphosen«, bis 1.4., Grassi-Museum für Angewandte Kunst
> 3.1. »Die Schönheit des Vergänglichen – Blumenstillleben« Karoline Schliemann zeigt historische Blumendarstellungen aus der Grafischen Sammlung im Dialog mit den Arbeiten von Herlinde Koelbl.
> Katalog zur Ausstellung: Herlinde Koelbl. Metamorphosen/ Metamorphoses, Göttingen 2023: Verlag Steidl, 128 S., 45 Euro