Hartmann? Centraltheater? Da war doch was. Genau, bereits vor 110 Jahren gab es einen Chef namens Hartmann in der Bosestraße. Der hieß jedoch nicht Sebastian, sondern Anton. Auch war er nicht von der Stadt angestellt, sondern Pächter des Hauses. Unter seiner Regie wurde das Centraltheater zur reinen Operettenbühne und damit zur Keimzelle dessen, was wir heute als Musikalische Komödie kennen – deren Name aus dem Jahr 1968 stammt. Ihre Geschichte und von den damit verbundenen etlichen Namens- und Ortswechseln erzählt eine kleine Ausstellung im Stadtarchiv.
Sentimental und rührselig, fröhlich und unterhaltsam, das war der Charakter vieler Operetten. Die leichten musikalischen Bühnenwerke waren beliebt in der Stadt, gleich mehrere Spielstätten führten sie auf. Als Anton Hartmann das kurz zuvor erbaute Centraltheater pachtete, warf er dessen Programm über den Haufen und benannte es um. Statt wie ursprünglich auf Varieté-Betrieb mit Artistik und Tierdressur setzte er auf Operetten – erst teilweise, dann ganz. Im August 1906 eröffnete das Haus unter dem neuen Namen Neues Operetten-Theater Leipzig. Es war die erste reine Operettenbühne der Stadt. Französische, Wiener und Berliner Varianten waren hier zu hören und zu sehen. Das Theater genoss reichsweit einen exzellenten Ruf.
Die innerstädtische Konkurrenz war damals sehr stark. So feierte am Eröffnungstag des Neuen Operettentheaters ausgerechnet am kommunalen Alten Theater Franz Lehárs »Die lustige Witwe« Leipziger Erstaufführung. Kurzerhand engagierte Unternehmer Hartmann den Komponisten Lehár für sein Haus und ließ ihn dessen Uraufführung von »Der Schlüssel zum Paradies« gleich selbst dirigieren. Irrwitzig scheint solcher Konkurrenzkampf heute, wird aber vielleicht noch verständlich, wenn man sieht, wie diverse Musicals ums Publikum buhlen. Man spielte damals tatsächlich teils täglich, wie auch im Stadtarchiv zu erfahren ist. In knappen Texten durchstreift die Ausstellung die Geschichte der Institution, die mal privat, mal städtisch war. So entstand im Jahr 1912 mit dem Dreiklang aus Oper, Operettentheater und Schauspiel bereits eine Vorläuferstruktur, die in einer, nämlich in kommunaler Hand lag. Dann wurde die Operette wieder in die freie Wirtschaft entlassen und kam erst in der DDR erneut unter Stadtregie.
Fotos vom illuminierten Jugendstilgebäude in der Bosestraße zeigen, wie eindrucks- und stimmungsvoll es damals zuging. Mehr als 1.600 Leute fasste damals der große Saal – das sind fast 1.000 mehr, als heute ins Schauspiel passen. Fotografisch illustriert werden auch die Umzüge des Operettentheaters. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg zog es zunächst als Interim ins Hotel Deutsches Haus nach Lindenau, also dorthin, wo heute das Theater der Jungen Welt residiert. Bezugsfertiig wurde 1960 endlich als bisher letzte Station das geräumigere Haus Drei Linden, acht Jahre darauf erhielt die Musikalische Komödie ihren Namen. Die Leipzigerinnen und Leipziger machten bald Muko daraus. Die Namenwahl erklärt sich einerseits dadurch, dass die alte Bezeichnung »Kleines Haus« irreführend war – sie stand in Relation zum großen Haus auf dem heutigen Augustusplatz. Das »kleine« Haus verfügte über 1.193 Plätze und war damit das sechstgrößte Musiktheater der DDR. Wer hier kleine Formate erwartete, ward enttäuscht. Außerdem eignete sich der originäre Name Musikalische Komödie als Branding – der zudem das Musical-Genre mitschwingen lässt, wie der damalige Direktor erklärte. Auch dessen Interview in einer Theaterzeitung zeigt die Schau im Stadtarchiv. Sie stellt exemplarisch Protagonisten und Protagonistinnen vor, liefert via QR-Codes Hörbeispiele, Fotos und Grafiken. Das ist ordentlich Information für freien Eintritt und wer das Archiv noch nicht gesehen hat, sollte endlich mal das Gebäude für sich erschließen. Die Schau entstand in Zusammenarbeit mit den Freunden und Förderern der Musikalischen Komödie, was das etwas rosafarbene Resümee der Gegenwart erklärt, das die Muko zu internationalem Ruf erhebt, und vielleicht auch die eindringlichen Wünsche im Gästebuch, die Ausstellung künftig in der Muko selbst zu zeigen.
Die Schau ist es wirklich wert, weiter gezeigt zu werden. Von der Materialität her gesehen – Texte, Fotos, Broschüren, Notenblätter –, würde das auch als Webauftritt ausreichen. Hauptsache, das Wissen bleibt erhalten. Wäre doch schade, man würde vergessen, dass es schon mal einen Herrn Hartmann am Centraltheater gegeben hat.
> »Vom Neuen Operetten-Theater zur Musikalischen Komödie: Die Geschichte des Leipziger Operettenensembles«: bis 14.12., Mo 12–18, Di–Do 9–18 Uhr, Stadtarchiv, Eintritt frei