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Politik

Empowerment statt Hurenstigma

Am 17.12. ist internationaler Tag gegen Gewalt an Sexarbeitenden – Wir haben uns bei Beratungsstellen und Sexarbeitenden in Leipzig über ihren Umgang mit Gewalt erkundigt 

  Empowerment statt Hurenstigma | Am 17.12. ist internationaler Tag gegen Gewalt an Sexarbeitenden – Wir haben uns bei Beratungsstellen und Sexarbeitenden in Leipzig über ihren Umgang mit Gewalt erkundigt   Foto: Chris Schneider

Sexarbeit umfasst einen sehr vielfältigen Bereich sexueller Dienstleistungen: von Escort über Straßenstrich bis hin zu Pornografie. In der öffentlichen Wahrnehmung wird über Sexarbeitende häufig als ausgebeutete Opfer und selten als ermächtigte Akteurinnen und Akteure diskutiert. Das Dazwischen dieser beiden Extreme findet kaum Beachtung, gerade im Zusammenhang mit Gewalterfahrungen wird immer wieder die Freiwilligkeit in dieser Berufsgruppe thematisiert. Seit Jahren kritisieren Sexarbeitende dabei, dass über sie, statt mit ihnen geredet wird. Diese Stigmatisierung verengt die Möglichkeiten, über Probleme zu sprechen und Unterstützungsmöglichkeiten einzufordern – eine Form von Gewalt. 

Mara, die unter diesem Namen Sexarbeiterin ist, und ihre Freundin sitzen am WG-Tisch und reden über die unzähligen schlechten Tinder-Dates und den damit verbundenen schlechten Sex der letzten Monate. Im Scherz sagt Mara, dass sie eigentlich dafür Geld nehmen müsste, damit sich der Aufwand auch mal lohne. Seit nunmehr zwei Jahren bietet sie im Bereich Escort sogenannte »Girlfriend Experiences« an, ein Rundumpaket aus Intimität und Unterhaltung. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass vor allem Dates, für die sie bezahlt wurde, »super respektvoll« waren und »die sichereren Tinder-Dates« seien. 

Dabei schützt sie sich durch ein Coversystem*, von dem sie auch ihren Kunden und Kundinnen erzählt. Für diese sei es meist nicht überraschend und völlig in Ordnung. Mara sei bewusst, dass sie innerhalb der Berufsgruppe eine privilegierte Position einnehme. Da sie und ihre Kolleginnen und Kollegen allerdings den Job lieben und damit ihre Miete bezahlen, finde sie es wichtig, dass auch diese Seite im Diskurs anerkannt wird. Wenn sie Tags wie »Freier töten« auf der Straße sieht, denke sie, dass die Aussage nicht den Kern des Problems trifft, sondern eher die ganze Berufsgruppe kriminalisiert. 


* Coversystem ist ein Schutzsystem von Sexarbeitenden: Wenn sie sich mit Kunden oder Kundinnen treffen, wissen immer drei Personen aus ihrem Umfeld Bescheid. Diese erfahren den Namen des Kunden und die Adresse des Treffens. Die Sexarbeitenden schreiben Nachrichten zu bestimmten Uhrzeiten, um sich abzusichern.


Für Mara müsse die Meinung vieler Menschen zu Sexarbeit eigentlich »Meinung zu Zwangsprostitution« genannt werden. In diesem Bereich gebe es durchaus menschenverachtende Systeme und Einstellungen, die aber zu Unrecht mit ihrer selbst gewählten (Sex-) Arbeit in »einen Pott geworfen« würden – auch wenn ihr von wortgewandten Feministinnen und Feministen schon oft einzureden versucht wurde, dass ihre Arbeit keineswegs freiwillig sei. »Wenn du dann konterst, lassen sie dich als schlechten Menschen dastehen.« Sie werde dann oft gefragt: »Also ist es okay, wenn Frauen in diesem Job ausgebeutet werden?« Natürlich sei das nicht okay und auch sie wünsche sich, dass »alle das freiwillig tun«, aber eine einfache Lösung dafür habe Mara eben auch nicht. Trotzdem müsse es die Möglichkeit geben, diesen Job zu machen. Schwierig werde es dann, wenn »die Gegnerinnen glauben, dass Sexarbeitende nicht merken, dass sie ausgebeutet werden. Sie halten dich dann für ein Opfer.« 

Was Mara hier beschreibt, ist die gewaltvolle Diffamierung einer ganzen, vielfältigen Berufsgruppe durch sogenannte Swerfs**, die anderen Frauen verbieten wollen, mit ihrem Körper zu machen, was sie wollen. Für Mara sei das nicht nur »menschenverachtend, sondern auch nicht fair«. 


** Swerf = Sex worker exclusionary radical feminist. Menschen, die sich für die Abschaffung von Sexarbeit einsetzen. Sie gehen davon aus, dass Sexarbeit immer Gewalt an Frauen ist und nicht gewollt werden kann. Um das Patriarchat abzuschaffen, müsse deshalb auch dieses Berufsfeld verschwinden, da es in der Vorstellung der Swerfs keine freiwillige Sexarbeit gibt. Mit stark moralisierenden Debatten reden sie meist über Sexarbeitende statt mit ihnen. 


Auch Frau Schmidt, die ihren Vornamen nicht öffentlich machen möchte, bemerkt, dass diese Tendenzen stärker werden. Sie arbeitet für die Fachberatungsstelle Kobra.net, die sich unter anderem auf Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung fokussiert. Wenn eine Person von Zwang und Menschenhandel betroffen sei, habe das nichts mehr mit Sexarbeit zu tun, sondern dann »ist das eine Straftat, das andere ist ein Job«. Zwar findet beides im Feld der sexuellen Dienstleistungen statt, aber der Unterschied sei eben die Freiwilligkeit. Verheerend werde es dann, wenn Leute davon ausgehen, dass es nur in der Sexarbeit sexuelle Gewalt gebe. Natürlich gebe es Frauen, die sich in prekären Situationen für die Sexarbeit entscheiden, die es vielleicht nicht unbedingt machen möchten. »Aber wer bin ich, zu bestimmen, was andere Frauen in bestimmten Lebenssituationen machen?« – für Schmidt wäre das misogyn. 

Auch Jule Meglin von der Fachberatungsstelle Leila bemängelt eine vorschnelle und einseitige öffentliche Verurteilung von Sexarbeitenden, indem ihnen grundsätzlich abgesprochen werde, dass sie den Job freiwillig machen. Selbst Personen, die »mit der Sexarbeit geschafft haben, aus anderen sehr schlechten Jobverhältnissen zu wechseln, und für sich die Vorteile sehen«, hätten Angst vor Verurteilungen. Das Hurenstigma sitze tief und führe zu sozialer Isolation. 

Die Fachberatungsstelle Leila bietet einen Raum zum Austauschen von guten wie schlechten Erfahrungen und zum Stellen von Fragen, die woanders keinen Platz finden. Die Einteilung in freiwillige und unfreiwillige Sexarbeit hält Meglin für schwierig. Wenn über Freiwilligkeit geredet werde, müsse auch »über Lohnarbeit, Chancenverteilung, über Globalisierung, Arbeitsrechte, Diskriminierung und über Rassismus« gesprochen werden. So habe in Deutschland eine nicht-weiße Person andere Chancen als eine weiße, jemand mit akademischem Titel andere als jemand ohne Berufsausbildung oder Schulabschluss, jemand mit deutschem Pass andere als jemand ohne, jemand, der kein Deutsch spricht, andere als jemand, der es kann. »So ergeben sich unterschiedliche Freiwilligkeiten«, erklärt Meglin. Lohnarbeit sei für sie generell etwas, das nicht immer freiwillig passiere. Allerdings werde in Diskussionen um die Freiwilligkeit in der Sexarbeit mit »anderen Standards gemessen, als das bei Lohnarbeit der Fall ist«. 

In Meglins Job steht die Freiwilligkeit im Fokus und werde im Rahmen der Möglichkeiten der Sexarbeitenden betrachtet. So gehe es in den Beratungen auch um die Motivationen der Sexarbeitenden für ihre Arbeit. Diese seien vielerlei: das Sammeln von Erfahrungswerten, eine spontane Entscheidung oder ein lange beliebäugeltes Arbeitsfeld. Aber auch finanzieller Druck sei eine Motivation. 

Wenn Sexarbeitende aus verschiedenen Gründen nicht arbeiten können und dadurch finanzieller Druck entsteht, dann »sind das die Zeiten, wo die Freiwilligkeit absolut wackelt«, so Meglin. Für verschiedene Personen greifen dann unterschiedlichen Absicherungen. Menschen mit deutschem Pass können Sozialleistungen beantragen, Menschen aus dem EU-Ausland erfahren aufgrund der Migrationspolitik in Deutschland keine Unterstützung. Freiwilligkeit hängt also mit den Chancen und Zukunftsperspektiven der Sexarbeitenden zusammen, aber auch dem privaten und institutionellen Netz an Auffangmöglichkeiten. 

Seit 2017 definiert das Prostituiertenschutzgesetz*** »nicht nur die Pflichten von Sexarbeitenden, sondern formuliert auch deren Rechte, wie Rechte gegenüber den Betreibern und Betreiberinnen (von Bordellen und sogenannten Terminwohnungen, Anm. d. Red.), aber auch Mindeststandards am Arbeitsplatz«, teilt uns das Gesundheitsamt Leipzig mit. 


*** Das ProstSchGe wurde 2017 verabschiedet und besagt unter anderem, dass man sich mit einer Pflichtberatung beim Gesundheits- und Ordnungsamt anmelden muss, um legal Sexarbeit zu tätigen. Ebenso gibt es Regelungen zu Sperrbezirken, in denen Sexarbeitende nicht arbeiten dürfen.  


Frau Schmidt von Kobra.net erklärt, dass das ProstSchG zu kompliziert und für viele nicht greifbar sei, so dass sich viele Sexarbeitende dazu entschlossen hätten, sich nicht anzumelden – also illegal zu arbeiten. Reglementierungen machen vieles schwieriger und damit habe für sie das ProstSchG den Sinn der Kontrolle verfehlt. In der Illegalität zu arbeiten, »bedeutet mehr Ausbeutung und Gefahren für Sexarbeitende, aber auch für Leute, die von Zwangsprostitution betroffen sind«, schätzt Schmidt ein. 

Für Jule Meglin von der Fachberatungsstelle Leila hätten die baurechtlichen Vorgaben für den Sex-Arbeitsplatz im ProstSchG das Potenzial zum erstmaligen Nachdenken über Arbeitssicherheit freisetzen können. Allerdings zeigten sich in der Umsetzung des Gesetzes die Probleme für Sexarbeitende: Wohnungen, in denen mehrere Sexarbeitende bis 2017 gleichberechtigt gearbeitet haben, konnten teilweise die baurechtlichen Vorgaben nicht erfüllen und mussten schließen. In anderen Wohnungen kann nun statt zwei oder drei Sexarbeitenden nur noch eine legal arbeiten: »Das ist ein Gewaltrisiko und sozial isolierend. Und das ist ein Problem und kein Schutz«, so Meglin. 

Die Einführung des Gesetzes und Schließung von Wohnungen brachte Sexarbeitende in die Lage, dass sie sich teilweise »mit Wohnungen zufriedengeben müssen, die nicht ihren Anforderungen genügen und nicht die Zielgruppe erreichen, die sie erreichen möchten«, sagt Jule Meglin. Die fehlenden Möglichkeiten guter, sauberer Wohnungen verstärke die Verdrängung in illegalisierte Bereiche, wie Ferienwohnungen und Hotels. »Dies bedeutet, dass die Sexarbeitenden nicht legal arbeiten, Repressionen ausgesetzt sind und beispielsweise durch aufsuchende Sozialarbeit nicht mehr erreichbar sind«, erklärt Meglin. 

Eine weitere Verdrängung findet durch die vom Freistaat Sachsen aufgestellten Sperrbezirke statt: Nach diesen darf Sexarbeit in Leipzig nur in bestimmten Zonen stattfinden. Ob Bente (Name von der Redaktion geändert), die in Leipzig im Bereich Escort arbeitet, sich daran halte? »Nee«, lacht sie, »weil ich sonst nicht arbeiten kann«. Sie füge niemandem Schaden zu und falle auch nicht negativ auf, wenn sie mit Kunden in einem Hotelzimmer sei. Die Regelung sei lächerlich, wenn man sich anschaue, welche Orte dann noch übrig bleiben: »In einem dieser Sperrbezirke ist der einzige legale Ort ein Busch.« 

Auch ihr sei bewusst, dass sie eine privilegierte Position in ihrem Berufsfeld einnimmt. In ihrem Job habe sie keine Gewalt erlebt – außer einvernehmliche. Konsensuelle, also einvernehmliche Gewalt im Bereich BDSM ist für Bente nämlich ein großer Teil ihrer Arbeit, der ihr »Spaß, Lust und gutes Geld« bringt. Für sie sei Gewalt etwas zutiefst Menschliches und deshalb haben »Schmerz und Sex eben auch manchmal etwas miteinander zu tun«. Durch die Sexarbeit habe sie gelernt, »Grenzen zu setzen und Bedürfnisse zu äußern, Nein zu sagen und auf mein Bauchgefühl zu hören«. Dass sie die Konditionen bestimmt, sei wahnsinnig empowernt für sie. 

Alle für diesen Text Interviewten wünschen sich einen differenzierten Blick auf das Themenfeld Sexarbeit. Es gibt »nicht nur die absolut selbstbestimmte Sexarbeiterin und das Opfer. Es gibt sehr, sehr viel Graubereich«, sagt Schmidt. So seien alle Erfahrungen wichtig und legitim, »allerdings können eben nicht alle Seiten für alle sprechen«. Dennoch sollten alle »so unterstützt und geschützt werden, dass sie entweder gar nicht zu einem Job kommen, den sie nicht machen wollen, oder aber dass sie ihre Arbeit gut machen können«. Das allumfassende Problem seien allerdings das Patriarchat und Gewalt gegen Frauen. In allen Berufssparten erfahren Frauen sexuelle Belästigungen und Übergriffe – das komme eben »nicht nur in der Sexarbeit vor«, sagt Schmidt. Wenn Menschen wirklich vor sexualisierter Gewalt geschützt werden sollen, muss das gesamtgesellschaftlich und in allen Berufsgruppen, Freundes- und Familienkreisen geschehen. Gewalt findet überall statt und Stigmatisierung ist ein Teil davon.


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1 Kommentar(e)

Mara Huschke 24.09.2024 | um 20:45 Uhr

Frau Schmidt von Kobra.net sieht die Sache nicht ganz richtig. Sie berücksichtig nicht die Tatsache, dass es viele Studierende gibt, die ihr Studium heimlich mit Sexarbeit finanzieren, oft ohne Wissen ihrer Eltern und Freunde. Außerdem gibt es viele Menschen, die neben ihrem Hauptberuf durch gelegentliche Sexarbeit etwas hinzu verdienen. Da Prostitution "pfui" ist, darf niemand etwas davon wissen. Deshalb melden sie sich nicht bei den Behörden an, zumal sie dabei auch noch die Steuern sparen. Von mehr Ausbeutung kann dabei keine Rede sein, da die allermeisten von ihnen nicht am Straßenrand oder in Bordellen anzutreffen sind. Die Frauen verabreden diskrete Haus- und Hotelbesuche fernab von Rotlichtmilieu und Zuhälterei, die Männer suchen Kunden in Schwulenkneipen und auf einschlägigen Parkplätzen. Die Zahl der freiwilligen nebenberuflichen Sexarbeiter*innen wird erheblich unterschätzt, und es ist verkehrt, diese bei Debatten über Sexarbeit auszuklammern und totzuschweigen.