In der National Gallery, im British Museum, im Victoria and Albert Museum oder in der Tate Modern treffen sich Menschen in der Mittagspause, um gemeinsam Kunst und Kultur zu genießen – und danach zurück ins Büro zu huschen. Leisten können sie sich das, weil der Eintritt in all diese Museen kostenlos ist. – Diese Zustände beschrieb Volker Rodekamp, bis 2019 Direktor des Stadtgeschichtliche Museums in Leipzig, gern in Vorbereitung auf eine Entgeltfreiheit für Leipziger Museen. Nun, einige Jahre später, wird das auch in Leipzig möglich. Denn der Stadtrat hat im November 2023 endlich grünes Licht für den kostenfreien Besuch der Dauerausstellungen in den städtischen Museen gegeben. Mit anderen Worten: Herzlich willkommen im Grassi-Museum für Angewandte Kunst, im Museum der bildenden Künste, im Naturkundemuseum und im Stadtgeschichtlichen Museum (das heißt Alten Rathaus, Kindermuseum, Schillerhaus und – ab Herbst 2024 wieder – Museum zum Arabischen Coffe Baum).
»Das ist, gerade im deutschlandweiten Vergleich, ein erfreulicher Schritt und erfordert eine erhebliche Kraftanstrengung aller Beteiligten. Die vier Museen bereiten sich seit Monaten auf die Einführung der Entgeltfreiheit vor. Für die Umsetzung und den Start wurden die Aufsichts- und Reinigungskonzepte überarbeitet, ebenso die Leitsysteme und Besucherführungen, die vielfältigen Angebote der museumspädagogischen Vermittlung angepasst und die inhaltlichen Programme und Sonderausstellungskonzepte intensiviert«, heißt es dazu aus dem Kulturamt der Stadt auf kreuzer-Anfrage.
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Mit dem Stadtratsbeschluss entfällt der kostenlose Eintritt in den Häusern am beliebten ersten Mittwoch des Monats – an diesem werden aber die Sonderausstellungen in den Museen für nur 3 Euro zu sehen sein. Im Unterschied zu den Dauerausstellungen werden diese weiterhin Eintritt kosten, je nach Haus und Ausstellung zwischen 4 und 18 Euro, worüber die Museen selbst entscheiden.
Auch wenn die Stadt in ihren Pressemitteilungen seit Monaten immer wieder verkündete, dass die Entgeltfreiheit auch für das Grassi-Museum für Völkerkunde und das Musikinstrumentenmuseum der Universität gelte, so standen bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe die Entscheidungen von deren Trägern – den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und der Universität, also Einrichtungen des Freistaates Sachsen – noch nicht fest.
Vorbild für Dresden und Berlin
Mit der Entgeltfreiheit ist Leipzig in der heutigen Zeit ein Vorbild in Sachsen und Deutschland. In Dresden gilt beispielsweise für die SKD-geführten Museen, dass Kinder und Jugendliche unter 17 Jahren diese kostenfrei besuchen können. Erwachsene können dies jeden Sonntag von 15 bis 18 Uhr in jeweils einem Museum (was die Entscheidung im SKD-geführten Leipziger Völkerkundemuseum erschweren könnte). Die Stadt Berlin wiederum verkündete vor Weihnachten – aufgrund der angespannten Haushaltslage der Stiftung Preußischer Kulturbesitz – eine »moderate« Erhöhung der Eintrittspreise: so im Alten Museum und im Bode-Museum von 10 auf 12 Euro oder im Hamburger Bahnhof, der Neuen Nationalgalerie und der Gemäldegalerie von 12 auf 14 Euro; kostenfrei bleiben dort weiterhin das Ethnologische Museum und das Museum für Arabische Kunst im Humboldt-Forum.
Die hiesige Entgeltfreiheit bildet den Punkt 6 der Museumskonzeption 2023, die der Stadtrat im Jahr 2020 beschloss und die als zentrale Punkte Provenienzforschung, Transkulturalität, ein Zentraldepot und Digitalisierung neben der neuen Rolle von städtischen Museen beschreibt. In der Konzeption ist zum kostenfreien Eintritt zu lesen: »Mit der Einführung der Entgeltfreiheit in die Dauerausstellungen der städtischen Museen käme die Stadt Leipzig in herausragender Art und Weise ihrer fürsorglichen Verantwortung nach und würde eines der wichtigsten Leitziele des landesweiten Konzepts der kulturellen Kinder- und Jugendbildung des Freistaates Sachsen umsetzen, jenes der allgemeinen Teilhabe. Die bürgerlichen Sammlungen sollen allen Bürgerinnen und Bürgern offenstehen und damit besonders auch das junge Publikum in die Museen locken.«
In dieser Museumskonzeption werden die städtischen Museen als Orte des aktiven gesellschaftlichen Diskurses und als sogenannte »dritte Orte« definiert – das heißt Orte für Begegnungen und Interaktion aller, die neben Zuhause und Arbeitsplatz einen wichtigen Bestandteil des sozialen Lebens darstellen.
Zwischen keiner und 1 Billion Mark
Eine völlige Neuheit bildet Entgeltfreiheit in der Stadt indes nicht. Das Museum der bildenden Künste beispielsweise erhob im Jahr 1903 sonn- und feiertags, mittwochs und freitags keinen Eintritt (am Donnerstag und Sonnabend 50 Pfennige, montags 1 Mark und an den drei Hauptsonntagen der Oster- und Michaelis-Messe 25 Pfennige). So listen es die Museumsführer der Jahre 1903 und folgende. Im Rahmen der Novemberrevolution wurde eine komplette Eintrittsfreiheit diskutiert. 1920 entrüstete sich der damalige Museumsdirektor Julius Vogel, dass der Stadtrat eine Wiedereinführung der Eintrittsgelder forderte. Das Museum saß am kürzeren Hebel. Während der Inflation kostete im März 1923 das Ticket für Erwachsene 100 Millionen Mark – für Kinder schmale 50 Millionen, für Ausländer sogar 250 Millionen Mark. Ende November 1923 mussten Erwachsene 100 Milliarden, Kinder 10 Milliarden und Ausländer 1 Billion Mark hinblättern.
Zurück in die Zukunft
In der Gegenwart will die Stadt mit der Entgeltfreiheit Lebensqualität und soziale Stabilität gewährleisten. Zunächst gilt der kostenlose Besuch vom 1. Januar 2024 bis zum 31. Dezember 2027. Dem Stadtrat wird im zweiten Quartal 2027 eine Auswertung und Evaluation der dann vergangenen drei Jahre vorgelegt. Gleichzeitig erwartet die Stadt von den Häusern Erträge, die in den Beschlüssen des Stadtrates klar definiert werden. So soll beispielsweise das Naturkundemuseum ab 2024 jährlich 16.500 Euro Einnahmen erzielen (während es jährlich 1.632.711 Euro Aufwendung aus dem städtischen Haushalt erhält), das Stadtgeschichtliche Museum hingegen soll jährliche Einnahmen von 142.800 Euro generieren (bei Aufwendungen in Höhe von 4.804.458 Euro im Jahr).
Nun liegt es an den Menschen in Leipzig, sich die Zeit zu nehmen, um die Häuser und deren Sammlungen in Augenschein zu nehmen – zum Beispiel häppchenweise in der Mittagspause – und auch die kostenpflichtigen Veranstaltungen und Sonderausstellungen zu besuchen.