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Stadtleben

Trümmerblumen im Zwischenraum  

Eine erste Bilanz zum Bundesprogramm »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren« in Leipzig 

  Trümmerblumen im Zwischenraum   | Eine erste Bilanz zum Bundesprogramm »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren« in Leipzig   Foto: Nina Schuiki

Gisela, DHfK-Fanschal und Schreibblock – der im April eröffnete Concept.Store »Leipzig 04 – Schaufenster für Kultur und Lokales« bot im Petersbogen lokale Schnäpse, Informationen zu Veranstaltungen der hiesigen Kulturszene, allerlei Produkte und Ideen feil. Ursprünglich bis August geplant, konnte bis Ende 2023 das Besondere gesucht und möglicherweise auch gefunden werden. Der vom Kulturamt geplante Laden gehört zu den insgesamt 22 städtischen Projekten, die im Rahmen des Bundesprogramms »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren« des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gefördert wurden und werden. Insgesamt 228 Kommunen in Deutschland erhalten dafür bis zu 250 Millionen Euro, davon 4,2 Millionen Euro sollen leere Läden und unfreundliche Plätze in Leipzig beleben. Bis August 2025 geht das Programm, das hier unter dem Titel »Zentren Leipzig – Aktivitäten zur zukunftsfähigen Belebung von Innenstadt, Stadtteilzentren und Magistralen« vom Amt für Wirtschaftsförderung betreut wird. Der kreuzer hatte bereits im Mai und Juni in seinen Titelgeschichten die aktuelle Situation und Utopien für die Innenstadt thematisiert, wobei auch das Projekt im Fokus stand. 

Nun, ein halbes Jahr später, gibt es einige Ergebnisse zu bilanzieren, wie Anja Hähle-Posselt, seit November Leiterin des Amtes für Wirtschaftsförderung, im Gespräch bestätigt: Um den innerstädtischen Handel sei es in Leipzig vergleichsweise gut bestellt im Vergleich zu kleineren Städten im Umland. Das ist die eine Seite der Medaille. Im Unterschied zu Städten wie Hannover oder Nürnberg fehlt allerdings – das macht die andere Seite aus – um Leipzig herum der dicht besiedelte Speckgürtel.  

Ausgesprudelt 

Ein gutes Beispiel für die Veränderungen in Zeiten des Internethandels stellt laut der Amtschefin das Neo – das ehemalige Karstadt – dar. Hier eröffnete vor wenigen Wochen ein Rewe-Markt im Untergeschoss. Weitere Läden sollen folgen, um auch den Anspruch der Besitzer zu erfüllen: »Vom Kaufhaus zum Work-Life-Quartier«. Dieser ist auf einem Zeitstrahl im Haus zu sehen, der unter einer vergoldeten Deckenkonstruktion die Entwicklung von der Grundsteinlegung 1912 und Eröffnung 1914 bis zur Schließung des Karstadt Anfang 2019 zeigt. Von damals geblieben sind die Rolltreppen ins Unter- und erste Obergeschoss sowie der Springbrunnen, auch die Fontäne hätte noch genügend Luft, um in die Höhe zu sprudeln. Im Dezember bot das leere Wasserbecken allerdings einem beleuchteten Rentier und Weihnachtsbäumen eine Bühne. Im Unter- und Erdgeschoss sollen weiterer Einzelhandel und Dienstleistungsangebote folgen. Laut Hähle-Posselt stellt das ein »gute Lösung« dar, um aus den ehemaligen Handelsstrukturen nun gefragte Erlebnis-, Kultur- und Dienstleistungsorte zu schaffen. In den – nun nicht mehr zum Fontänenraum offenen – oberen Etagen sind Büros geplant, die in der Innenstadt immer noch nachgefragt sind, so die Amtsleiterin.  

Der Bus ist da, Oma! 

Die Umgestaltung des ehemaligen Kaufhauses stellt allerdings kein Projekt im Bundesbelebungsprogramm dar. In dessen Rahmen ist aber zum Beispiel die Mobile Seniorenberatung als ein Projekt der Stadt bereits seit einem halben Jahr im Dienst. Ein Bus bietet Service- und Beratungsmöglichkeiten speziell für ältere Menschen und deren Verwandte an, steht auf den Wochenmärkten. Damit kann der Gang zum Wocheneinkauf mit Amtsfragen verbunden werden. Organisiert wird das vom Mobilen Behindertenverband und dem Sozialamt der Stadt. Es gibt bereits Überlegungen, wie das Angebot auch nach dem Förderzeitraum weiter finanziert und betrieben werden kann.  

Kunst im öffentlichen Raum 

Ein weiteres Projekt wurde im Oktober prämiiert: der Kunstwettbewerb »Zwischenhalt im Zwischenraum« im Karree ums Museum der bildenden Künste. Er soll einen Teil zur Belebung der Innenstadt beitragen. Zur Realisierung des Kunstprojektes stehen 100.000 Euro zur Verfügung, um den Zwischenraum zwischen Randbebauung und Museum der bildenden Künste als »einen Kunst- und Begegnungsort mit Strahlkraft und Verweilqualität künstlerisch aufzuwerten«. Es soll sowohl der »Bedeutung des Ortes als auch dem Charakter eines dritten Ortes gerecht« werden, aber auch »einen aktiven gesellschaftlichen Diskurs ermöglichen und zugleich eine spielerische Atmosphäre ausstrahlen – kurz sie soll einladend, nachhaltig und inspirierend sein«, heißt es in der euphorischen Ankündigung über die hohen Ziele. 

Für den Wettbewerb zur Umgestaltung dieses öffentlichen Raums wurde eine Jury auserwählt, die aus den fast 130 Einreichungen des offenen Wettbewerbs fünf Entwürfe herausfilterte, zwischen denen sich dann wiederum eine extra dafür berufene 23-köpfige »Bürgerjury« – besetzt mit Anrainern, Mitgliedern aus dem Jugendparlament und Vereinen sowie Interessierten aus der Bürgerschaft – entscheiden konnte. Diese Bürgerjury wird gern als innovativ beworben, so zum Beispiel von Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke: »Mit diesem Wettbewerb wollen wir durch Partizipation und Bürgerbeteiligung gemeinsam einen neuen Kulturraum in der Leipziger Innenstadt schaffen«. Doch was kam nun heraus zwischen Belebung, Diskurs und Bürgergeschmack? 

Weidenröschen für oder statt Menschen? 

Bis Juni 2024 wird der Entwurf »Frühling« von Nina Schuiki realisiert. Die 1983 in Graz Geborene studierte Bildende Kunst an der Universität für Angewandte Kunst Wien in der Klasse für Fotografie bei Gabriele Rothemann und Architektur an der Technischen Universität Wien. Im Anschluss besuchte sie an der Universität der Künste in Berlin das Institut für Raumexperimente von Olafur Eliasson, das sie als Meisterschülerin abschloss. Schuiki sieht für den Raum schmallippige Weidenröschen vor, die aus Gräben vom Granitpflaster wachsen. »Durch das Aufblühen der Natur soll ein einladender Aufenthaltsraum entstehen, der die großvolumige Stadtarchitektur auf einen kleineren, menschlichen Maßstab herunterbricht«, verkündete die Bürgerjury darüber. 

Das Weidenröschen – auch Trümmerblume genannt – aus der Familie der Nachtkerzengewächse blüht lila von Juni bis August, kann 50 bis 200 Zentimeter hoch werden und bevorzugt von sich aus kahle Gegenden, auch Schutthaufen, und vermehrt sich besonders schnell nach Waldbränden oder auch in Kriegstrümmerlandschaften. 

Wenn es nach der Künstlerin geht, drängen die Pflanzen in Leipzig nicht irgendwie und irgendwo aus dem Granitpflaster, sondern an jenen Stellen im Zwischenraum um das Museum, die bisher von Menschen genutzt wurden – zum Rumlungern oder für Tanzproben zum nächsten Tiktokvideo. Die Risse an der Bodenoberfläche sollen wahrscheinlich den geforderten Programmpunkt »Diskurs« abdecken. Die Künstlerin hat dazu in ihren Wettbewerbseinreichungen auf die historischen Dimensionen dieses Ortes verwiesen, von der Besiedlung über die Bombenschäden 1943 bis zum am 20. Jahrestag der DDR eröffneten Sachsenplatz, der mit dem Neubau des MdbK ab 1999 verschwand.  

Besonders verwunderlich an diesem Entwurf ist, dass auf dem Plan die Risse im Pflaster bisher so angeordnet sind, dass weder Rollstuhl, noch Rollator, Fahrräder oder Kinderwagen den Zwischenraum passieren können, ohne entweder im Riss oder an den Röschen hängen zu bleiben. Immerhin sollen zwischen den Säuleneichen am Museum nun endlich auch Bänke aufgestellt werden. 

Die anderen vier Ideen, die in einer Präsentation im Museum der bildenden Künste nach der Juryentscheidung einsehbar waren, wirkten auch nicht überzeugender, sogar noch langweiliger und uninspirierter. Ein Entwurf adaptierte die Sockel aus dem Museum für den Zwischenraum samt Bewegungsanweisungen wie »Stell dich auf Schuhe mit Absätzen. Hebe deine Arme über den Kopf und fasse dir an den Ellenbogen« – wahrscheinlich zu gefahrvoll in der praktischen Umsetzung. 

Nachhaltig und klimagerecht 

Ebenfalls in diesem Jahr soll das Kaufhaus »Zweite Liebe« (auch »Second-Life-Kaufhaus« genannt) in den Höfen am Brühl eröffnet werden. Bei dem Projekt verbinden sich Café, Reparaturmöglichkeiten sowie Tauschbörse von gut erhaltenen Gegenständen, die auf städtischen Wertstoffhöfen abgegeben wurden. 

Die Ausschreibung für die klimagerechte Veränderung im Salzgäßchen erfolgt in der nächsten Zeit, heißt es von der Stadt. Hier soll die Aufenthaltsqualität erhöht werden, der Bereich auch an heißen Sommertagen »uneingeschränkt« werden können. Dafür sollen Bäume, eine Spielschnecke und Sitzmöglichkeiten sorgen – an allen dreien mangelt es in der Innenstadt. 

Und die anderen Zentren? 

Innerhalb des Bundesprogramms geht es in Leipzig aber nicht nur um die Innenstadt, sondern auch um Magistralen und Stadtteilzentren. Die Georg-Schumann-Straße erhielt ein Geschäftsstraßenmanagement, um die Interessen der Gewerbetreibenden zu unterstützen und das große Manko der Straße – die sehr geringe Aufenthaltsdauer – abzuwenden.  

In Mockau gibt es ebenfalls noch einige Defizite in der Struktur, so dass auch hier an einer besseren Verknüpfung von Gewerbetreibenden gearbeitet wird, um die lokale Wirtschaft zu stärken. Im ersten Schritt geht es um die Bedarfe der Gewerbetreibenden. Weiterhin soll ein Co-working-Space den Norden Leipzigs auch für Start-ups interessant machen. Aber nicht nur Lohnarbeit und Gewerbe bringen Attraktivität im (Wohn-) Viertel, sondern auch Bewegungsorte wie die neue Sportanlage am Wasserturm.  

Cityfonds als weiteres Projekt aus dem Programm 

Auch der Cityfonds der Stadt Leipzig kümmert sich um die Belebung der Innenstadt: 26 Initiativen wurden bisher unterstützt. Die Mehrheit davon fand dabei einen Raum, um etwa ehrenamtliche Initiativen vorzustellen. Lediglich sieben Läden waren als Start-ups geplant. Diese Zahl soll gesteigert werden – auch, um Sinn und Zweck des Bundesprogramms zu erfüllen. »Mit jedem neuen Gedanken und Impuls wächst Leipzig weiter – zu einer lebendigen, dynamischen und zukunftsfähigen Stadt, die auf alle Problemlagen vorbereitet ist«, verkündet die städtische Homepage. So scheint das Bundesprogramm zum universellen Problemlöser zu werden – der allerdings in den kommenden anderthalb Jahren noch einiges abliefern muss. 

 


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