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Stadtleben

Schawarma wieder schön

Das Neujahrssingen als Klassentreffen der Leipziger Gastroszene ist nach vier Jahren zurück

  Schawarma wieder schön | Das Neujahrssingen als Klassentreffen der Leipziger Gastroszene ist nach vier Jahren zurück  Foto: Stefan Thielicke

Es gibt sie kaum noch, die ersten Male nach der Pandemie. Im kleinen, persönlichen Feld gestartet – erstmals wieder ins Kino oder Essen gehen –, ging es nach und nach eine Ebene höher zur Rückkehr bewährter und geliebter Traditionen alias jährlich stattfindender Festivals, Reihen – erste Buchmesse danach und so weiter. Als eine der letzten dieser liebgewonnenen Veranstaltungen ist nun am Samstag das Neujahrssingen nach vier Jahren Abstinenz zurück auf die Bühne gekehrt. Und zwar auf die große Bühne im Ballsaal des Felsenkellers. Es war nicht wie zuletzt innerhalb von wenigen Stunden ausverkauft, aber der Saal war voll, die Stimmung auf und vor der Bühne gut. (Was im Backstage passiert, bleibt im Backstage.)

Dass es in einem professionellen Veranstaltungsraum – der längst wieder in der Routine ist – ein Problem sein könnte, seine Jacke an der Garderobe loszuwerden, hätte man eher nicht gedacht; vom Garderobenpersonal mit »die Dame« und »der Herr« angesprochen zu werden, hilft uns Berufsjugendlichen dann auch nicht weiter. Jedenfalls den Anfang verpasst vom traditionellen Karaoke-Auftakt. Was »Griechischer Wein« doch für ein trauriges Lied ist! Aber egal, alle trällern mit, singen sich warm, schunkeln sich ein. Dann »Er gehört zu mir«: gleiches Spiel. Es darf nun bitte losgehen, vier Jahre sind eine lange Zeit.

Und dann geht es auch los, Kylie Minogue und Taio Cruz singen »Higher«, sie haben sich als Maike Beilschmidt und Mark Daniel verkleidet und führen traditionell durchs Neujahrssingen, seit Paul Fröhlich für immer von der Bühne abtrat. Der Startschuss für die Revue, der Fernsehgarten, das Top of the Pops der Leipziger Gastroszene mit alten Hasen und jungen Hüpfern, mit Supersongs und schlimmen Liedern, großer Show und wenig Aufsehen, rampensäuisch und schüchtern – wobei, sagen wir: halbschüchtern. Denn wer sich vor mehr als tausend Leuten auf eine Bühne stellt und singt, darf natürlich aufgeregt, kann aber nicht wirklich schüchtern sein. Erinnern Sie sich mal an die Minuten vorm Gedichtaufsagen oder Vorsingen im Klassenzimmer und multiplizieren Sie dieses Gefühl mit dem Faktor 50.

Ein erstes Highlight ist gleich Startnummer zwei: Ibo vom MC Döner – erstmals dabei – singt Mahsun Kırmızıgüls »Dinle« – besser als das Original, wie der Vergleichsklick eben ergab (69.629.397 Aufrufe bei Youtube übrigens). Der Mann vom Dönerladen im Mockau-Center schafft es auch, die Stellen mit Bühnenpräsenz zu füllen, an denen er gar nicht singt (und die Band glänzen kann, hier verstärkt um Reiko Brockelt am Saxofon). Er lässt die Hüfte, das Mikro und die Arme kreisen, wie es nur die Menschen in Mockau können. »ZU! GA! BE!«-Rufe sind die logische Konsequenz, mit denen das Publikum an diesem Abend aus Zuneigung zu den Auftretenden natürlich nicht geizt, die es aber eben auch nicht immer gibt.

Das Trio vom Kupfersaal gehört zu denen, die nicht gleich von der Bühne gelassen werden – weil Von Wegen Lisbeths »Meine Kneipe« ein phänomenaler Song ist, der noch dazu bestens zu einer Veranstaltung der Gastroszene passt, weil die drei die besten Outfits des Abends anhaben (Stichwort Tennis) und weil sie sowas wie eine Choreografie einstudiert haben. Baba-dabab-badabab!

Bekanntlich sind zum Neujahrssingen ja nicht nur Gastronominnen und Gastronomen eingeladen, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter der hiesigen Medienlandschaft. Und da muss man sagen: Die LVZ legt einen hinreißenden Auftritt hin! Ein junges Trio der »duften Truppe« vom Peterssteinweg (O-Ton Mark Daniel) singt Vicky Leandros’ »Ich liebe das Leben« – hoch, beschwingt, herzergreifend. Und der ganze Saal singt mit, immer und immer wieder: »Was kann mir schon geschehn? / Glaub mir: Ich liiiiiiiiiiiebe das Leeeeeeben«. Da kocht die Gastroszene im Saal.

Für unser »Unwritten« war das Publikum scheinbar noch nicht bereit – am Einsatz von Marlene hat es aber sicher nicht gelegen. Außer den Gastro- und Medienmenschen standen diesmal auch sogenannte local heroes auf die Bühne, also Leute mit den Berufen, die wir alle seit ein paar Jahren endlich »systemrelevant« nennen. Ob Frisöre und Frisörinnen nun wirklich dazu gehören, entscheide bitte jeder und jede selbst. Leute, die in der Pflege arbeiten, tun es zweifelsohne. Und Kindergärtner Paul legt an diesem Abend einen Auftritt hin, der ihm den Startplatz für die nächsten Jahre sichert. Sein Song ist nicht nur eine gute Botschaft für Kinder: »Don’t stop believin’«, seine Glitzerjacke und seine Hose allein sind das Eintrittsgeld an diesem Abend wert. Apropos: Alle Eintrittsüberschüsse gehen wie gewohnt an die Tafel in Leipzig.

Gewohnt großspurig-gut ist auch der Auftritt von Goldhopfens Jan Hagedorn, der diesmal den Abend beschließt – standesgemäß mit »Der letzte Kunde« von MTS. Und da die letzte Bahn ja eh vor ’ner Viertelstunde gefahren ist, kann man ja auch noch ein bisschen bleiben bei diesem Klassentreffen, quatschen, tanzen, trinken. Und nächstes Jahr dann wiederkommen – wenn ein paar diesmal vermisste Neujahrslegenden hoffentlich auch wieder auf die Bühne zurückkehren.

 


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