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Wie gedenken?

Die Stadt Leipzig soll wissenschaftlich prüfen, wie an Opfer von Flucht und Vertreibung erinnert werden kann

  Wie gedenken? | Die Stadt Leipzig soll wissenschaftlich prüfen, wie an Opfer von Flucht und Vertreibung erinnert werden kann  Foto: Stefan Ibrahim

Die CDU bringt das Thema Gedenkkultur auf die Tagesordnung. Die Fraktion fordert, einen Stein zum Gedenken an die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation infolge des Zweiten Weltkriegs. »Man muss eines deutlich sagen: Flucht und Vertreibung hätte es nicht gegeben, hätte Nazideutschland nicht den Krieg angezettelt«, beginnt Michael Weickert (CDU). Aber man müsse sich ehrlich machen: Mit Flucht und Vertreibung sei Versöhnung irgendwann wieder möglich geworden. »Dieser Gewissenskonflikt, der Generationen geprägt hat, auch an diesen muss man natürlich erinnern«, sagt Weickert. »Wenn wir so etwas wie eine Gemeinsamkeit der Demokraten in diesem Lande haben, dann gehört eben auch dazu anzuerkennen, dass Millionen Menschen ihre Heimat verloren haben.« Weickert spricht sich für den Verwaltungsstandpunkt aus, der eine wissenschaftliche Aufarbeitung fordert, wie an die Vertreibung von deutschstämmigen Bürgerinnen und Bürgern nach 1945 in Leipzig erinnert werden könnte.

Vor allem Umbrüche in der deutschen Geschichte, die das Leben von Menschen individuell betreffen, seien bisher zu wenig aufgebarbeitet, findet Anna Kaleri (Grüne): »Dazu zählen Flucht und Vertreibung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg.« Viele Menschen hätten Angehörige, die Erfahrungen von »Angst, Tod, Kälte, Hunger und Abweisung« gemacht hätten: »In manchen Familien sind die Erzählungen darüber präsent, im kollektiven Gedächtnis aber zu wenig.«

Dass das Thema gerade jetzt komme, bürge Risiken, aber auch Chancen und »benötigt einen genauen und differenzierten Blick, auch was Opferschaft und Täterschaft betrifft«, sagt Kaleri. Unter den Vertriebenen seien auch Menschen gewesen, die die Naziideologie mitgetragen hätten, die in den Krieg geführt habe. Dem Verwaltungsstandpunkt könnten die Grünen zustimmen, wenn das Wort »deutschstämmig« gestrichen würde, um diese Verengung aufzuheben. Auch eine zeitliche Ausweitung des Gedenkens fordert Kaleri: »Fluchtgeschichten von heute ähneln erschreckend denen von damals.« Menschen seien Todesgefahr auf ihrer Flucht ausgesetzt. »Und wenn sie endlich in Frieden und Freiheit angekommen sind – denn dafür steht unser Land –,«, sagt Kaleri und dreht sich Richtung AfD, »dann drohen rechtsextreme Deportationsgedanken.«

»Das eigentlich traurige an diesem Antrag ist, dass die CDU damit der AfD auf den Leim gegangen ist«, sagt Thomas Kumbernuß (PARTEI) – Jörg Kühne (AfD) hatte den Antrag der CDU zuvor als »Punktlandung« der CDU-Fraktion bezeichnet. Er wolle nicht falsch verstanden werden, sagt Kumbernuß, für die einzelnen Betroffenen seien Flucht und Vertreibung sicher eine schlimme Erfahrung gewesen. Aber im Antrag würden diese als singuläres Ereignis betrachtet: Und so würden aus Tätern Opfer gemacht. »Bei den Wahlen zum Reichstag 1933 wählten die meisten der Menschen, die im Ergebnis des vom Dritten Reichs begonnen Zweiten Weltkriegs von Flucht betroffen waren, die NSDAP.« Auch der Verwaltungsstandpunkt ignoriere das. »Stattdessen wird deutschstämmig und nationalistisch argumentiert«, sagt Kumbernuß, der auch den Grünen-Antrag ablehnt. Auch wenn der Stein an alle Opfer von Flucht erinnern solle, »so wird er doch aus deutscher Tätersicht gelesen werden«.

Gegen die Stimmen der AfD, Kumbernuß und Marcus Weiss wird der Änderungsantrag der Grünen angenommen.


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