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Editorial

Editorial 02/24

Das neue Heft ist da!

  Editorial 02/24 | Das neue Heft ist da!  Foto: Marc Schorter/Chris Schneider

»Weil das dein Hut nicht ist.

Weil das dein Garten nicht ist.

Weil es deine Zweifel nicht sind.«

– Peter Licht am 8.2. im Conne Island (Lesung mit Musik)

Torte essen und Fanta trinken werde er hier am Samstag, sagt der hagere Mann ohne Haare unterm Hut. Weil das dann ja der Geburtstag sei und nicht der der Hinrichtung. Die Hinrichtung habe für ihn nichts mit dem Menschen Marinus zu tun, den er zwar nie kennengelernt hat, aber seinen Freund nennt. Und für den er zusammen mit Reinier Kurpershoek diesen Gedenkstein hier auf dem Südfriedhof geschaffen hat, wie auch die anderen beiden in Berlin und Leiden.

Alle drei sehen aus wie die Steine, aus denen der Reichstag gebaut wurde. Alle drei enthalten eine von drei Strophen eines Gedichtes von Marinus van der Lubbe, der oft als einfältig hingestellt wurde. Alle drei Gedenksteine enthalten drei Daten: den 13. Januar 1909, den 27. Februar 1933 und den 10. Januar 1934. Was insbesondere für diesen Gedenkstein hier in Leipzig bemerkenswert ist, denn der ist auch ein Grabstein. Ein Grabstein mit drei Daten. Dem Geburts- und dem Sterbedatum von Marinus van der Lubbe und dazwischen dem Datum, an dem der Reichstag brannte, wofür der junge Mann verantwortlich gemacht, verurteilt und hingerichtet wurde, nachdem die Nazis die Gesetzeslage so geändert hatten – wir erinnern uns an das Schlagwort »Lex van der Lubbe« aus dem Geschichtsunterricht –, dass sie ihn für Brandstiftung zum Tode verurteilen konnten.

Dass der Prozess zum Reichstagsbrand hier in Leipzig stattfand, dass unter anderem Georgi Dimitroff mitangeklagt war und im Prozess Hermann Göring bloßstellte – das wissen Sie natürlich, liebe Leserinnen und Leser, aber es wissen und bedenken viel zu wenige Menschen, auch in dieser Stadt.

Immerhin knapp 150 dieser wenigen sind am 10. Januar 2024 auf den Südfriedhof gekommen, wo die erste richtige Grab- und Gedenkanlage für van der Lubbe eingeweiht wird. Es geht recht protokollarisch und wenig empathisch zu, was vielleicht daran liegt, dass nur vier der Anwesenden zur Familie van der Lubbe gehören. Aber da ist glücklicherweise noch Ronnie Sluik, der hagere Mann von oben, der mit dem Hut überm fehlenden Haar. Er schleicht, ach was, tänzelt um seinen Gedenkstein, zieht eine Eieruhr aus der Manteltasche, die er stellen wollte, um so lange über sein Kunstwerk und seinen Freund Marinus zu sprechen, wie der im Reichstag gewesen sein soll. Aber die am Morgen konsultierten Historiker seien sich uneins, wie lange das war, also steckt Ronnie Sluik die Eieruhr wieder ein und redet frei, fasst den Stein an, zeigt uns dies, zeigt uns das, füllt die Veranstaltung mit Begeisterung, mit Leben. Man merkt gar nicht, wie einem die Füße abfrieren in der eisigen Wintersonne, so viel Wärme verströmt dieser Mann.

Darauf ein Stück Torte und eine Fanta, aber erst am Samstag.


chefredaktion[at]kreuzer-leipzig.de


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