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Wie wir leben wollen

Das Hausprojekt Klinge 10 in Plagwitz will neue Wege des Zusammenlebens erforschen

  Wie wir leben wollen | Das Hausprojekt Klinge 10 in Plagwitz will neue Wege des Zusammenlebens erforschen  Foto: Marcus Korzer

Mit seinem Kind auf dem Arm läuft Jonas die Betontreppe des Neubaublocks der Klinge 10 hinunter. Es ist 9 Uhr an einem Sonntag, der Türöffner der Gegensprechanlage funktioniert nicht. Muss wohl jemand zugeschlossen haben, sagt der 35-Jährige. Jemand, das kann einer der 30 Menschen gewesen sein, die seit Herbst letzten Jahres in der Klingenstraße in einem Hausprojekt in Leipzig-Plagwitz wohnen, das sich das Ziel gesetzt hat, langfristig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Dafür hat sich vor Jahren eine Gruppe von Menschen zusammengefunden, die sich 2017 für das Konzeptvergabeverfahren der Stadt Leipzig bewarb, mit dem die Verwaltung Grundstücke nach Innovationen und Qualitäten von Wohnprojekten vergibt – und nicht nach dem Höchstgebot. Der Klinge 10 beschert es einen Erbbaurechtsvertrag über 99 Jahre mit der LWB. Zum jährlichen Pachtzins von 3.400 Euro kommen die Kosten für den Hausbau: etwa 2,5 Millionen Euro. Die Finanzierung läuft über eine Struktur, die den Verkauf des Hauses für immer verhindern soll: An einer von der Baugemeinschaft gegründeten GmbH sind jeweils zur Hälfte das Mietshäuser-Syndikat – eine Organisation aus Freiburg, die deutschlandweit Hausprojekte unterstützt –, und ein von der Baugemeinschaft gegründeter Verein beteiligt. Das für einen Bankkredit nötige Eigenkapital leiht sich das Bau- und Wohnprojekt über Direktkredite von Privatpersonen, die mithilfe der Mieten der aktuellen Bewohnerinnen und Bewohner zurückgezahlt werden.

»Es ist eben nicht so, dass irgendjemandem dieses Haus gehören würde, sondern immer nur denen, die drin wohnen«, sagt Jonas, der inzwischen beim Frühstück im vierten Stock sitzt. Auf dem Küchentisch liegt eine Ausgabe der Tageszeitung nd. »Damit ist es ein Haus, das für die Gesellschaft insgesamt gebaut wurde.« Zum Prinzip der Klinge 10 gehöre, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner so viel Miete zahlen, wie sie können. Jonas zahlt 480 Euro, warm. Seine WG mit 14 Menschen erstreckt sich über zwei Etagen, mit zwei großen Gemeinschaftsräumen und einer Dachterrasse, die derzeit noch nicht fertig ist. Mit seinen beiden Kindern, seiner Partnerin und einem Freund teilt Jonas sich zudem drei private Räume.

Clusterwohnen nennt sich dieses Konzept. Während der Planung mit einem Architekten konnten alle Bewohnerinnen und Bewohner ihre Wünsche einbringen. Theoretisch soll die Bauweise Anpassungen zulassen, wenn etwa neue Leute einziehen. Der gemeinsam genutzte Wohnraum soll sich in der Klinge 10 auch in der Art und Weise des Zusammenlebens widerspiegeln. Die Aufteilung von Care-Arbeit ist genauso Teil der gemeinschaftlichen Aushandlung wie die Selbstverwaltung des Hauses von Buchhaltung bis hin zu Wartungsarbeiten, denen sich die Bewohnerinnen und Bewohner in drei Arbeitsgemeinschaften widmen. Entscheidungen werden im großen Plenum getroffen. Höchstens eine abweichende Stimme darf es geben.

Neben den noch zu erledigenden Baumaßnahmen nimmt auch die Organisation des Zusammenlebens viel Zeit in Anspruch. Mehr, als Jonas erwartet hätte: »Man muss schon bereit sein, Kraft zu investieren, Zeit für Treffen aufzubringen oder grundsätzliche Fragen zu klären: Wie führen wir überhaupt das Gespräch? Wie ist unser finanzieller Rahmen? Ohne aber gleichzeitig in ein Gespräch darüber zu verfallen, welcher Käse gekauft werden darf und welcher nicht«, sagt Jonas. Doch das sei nur die Kehrseite der Gemeinschaft. Wohnen in einem eigenen Haus in der Größe wäre für die meisten undenkbar, sagt Jonas und ergänzt: »Mit der Gemeinschaft sind ganz viele positive Dinge verbunden. Wie man füreinander da sein und Dinge zusammen gestalten kann.«

Die Klinge 10 will alternative Wege des Zusammenlebens erforschen. Dass sie dabei auch von einem politischen Hintergrund abhängig ist, ist Jonas wichtig zu betonen: »Ich kann mir schon vorstellen, dass wir als Projekt mit politischen Gegebenheiten in Konflikt geraten können, wenn die sich in Leipzig oder Sachsen ändern. Wenn die AfD an die Macht käme, dann könnte das schon zu einer Situation führen, die prekär ist für uns. Auch wenn wir ja zu den politischen Initiativen gehören, die am besten rechtlich abgesichert sind hier in Leipzig.«


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