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Politik

»Allein der Rechtsweg kann davon abhalten, weiter kritisch zu berichten«

Politikwissenschaftler Philipp Wissing über SLAPP-Klagen, mit denen vor allem Unternehmen kritische Berichterstattung unterbinden wollen

  »Allein der Rechtsweg kann davon abhalten, weiter kritisch zu berichten« | Politikwissenschaftler Philipp Wissing über SLAPP-Klagen, mit denen vor allem Unternehmen kritische Berichterstattung unterbinden wollen  Foto: Tim Wagner

Philipp Wissing arbeitet für den Verein Blueprint for free Speech, der sich weltweit für Rechte der Meinungsfreiheit einsetzt. Zudem koordiniert er den deutschen Ableger des Projekts Pat-Fox, das europaweit präventiv gegen sogenannte SLAPP-Klagen vorgeht. SLAPP steht für Strategic Lawsuits against Public Participation, mit denen Einzelne oder Unternehmen kritische Berichterstattung über sich unterbinden wollen. Mit dem kreuzer redet Wissing darüber, mit welcher Kreativität Anwältinnen und Anwälte dabei vorgehen, wie die Politik SLAPP-Klagen erschweren will – und über die Verfassungsbeschwerde des kreuzer-Autors Marco Brás dos Santos.

Was genau versteht man unter SLAPP?

Prinzipiell handelt es sich dabei um eine Form von Rechtsmissbrauch, der darauf abzielt, legitime öffentliche Kritik von Aktivist:innen oder Journalist:innen mittels rechtlicher Schritte zu unterbinden. Dabei werden rechtliche Mittel in Anspruch genommen, die durchaus legitim sind, zum Beispiel Klagen wegen Verleumdung. Das ist natürlich nur dann gerecht, wenn es sich auch tatsächlich um Verleumdung handelt. Wenn es gar nicht um Verleumdung geht, sondern wenn tatsächlich Fakten verbreitet werden, können Kläger:innen aber natürlich trotzdem das Gegenteil behaupten und rechtliche Schritte auf den Weg bringen.

Ist das dann überhaupt erfolgsversprechend vor Gericht?

Bei SLAPPs kommt es vor Gericht ganz häufig nicht zum Erfolg. Also ganz, ganz viele dieser Verfahren werden eingestellt. Aber allein der Rechtsweg – von den ersten Mahnbriefen bis zu gerichtlichen Auseinandersetzungen – kann die Person oder die Partei, die eingeschüchtert werden soll, davon abhalten, weiter kritisch zu berichten. SLAPPs gehen oft aber auch gar nicht vor Gericht, sondern bleiben im außergerichtlichen Bereich, etwa wenn Betroffene den Forderungen von Mahnschreiben nachkommen.

Der Leipziger Journalist und kreuzer-Autor Marco Brás dos Santos wurde wegen seiner Berichterstattung zu einer Demonstration in einem Tagebau bei Leipzig vom Kohlekonzern MIBRAG wegen Hausfriedensbruchs angezeigt (s. Infokasten). Was ist hier das Besondere?

Der Fall ist gerade interessant, weil hier plötzlich auf einem ganz anderen Weg gegen die Berichterstattung vorgegangen wird. Es wird ja nicht gesagt: »Wir greifen dich jetzt direkt in deiner journalistischen Arbeit an«, sondern: »Okay, trotz versammlungsrechtlicher Erwägungen und damit zusammenhängender journalistischer Tätigkeiten bekommst du eine Anzeige wegen Hausfriedenbruchs, weil: Wir machen jetzt hier das Hausrecht gültig.« Das ist ein bezeichnendes Beispiel für die Kreativität, mit der rechtlich gearbeitet wird.

Die EU arbeitet aktuell an einem Richtlinienentwurf gegen SLAPPs. Worum geht es da?

Bisher gibt es noch in keinem europäischen Land Gesetzgebung zu dem Thema, deshalb ist SLAPP noch kein rechtlich bindender oder definierter Begriff. Dadurch bewegt man sich auf vagem Terrain, weil SLAPP alles oder nichts bedeuten kann. Die Richtlinie ist dadurch der erste Schritt, SLAPP zu definieren, woraufhin Nationalstaaten dann selbst Gesetze liefern sollen. Wenn es dann mal Gesetzgebung gibt, wäre die Hoffnung, dass man dann eben sagen kann: Hier geht es doch gar nicht darum, Hausrecht durchzusetzen, sondern hier geht es darum, Berichterstattung zu verhindern – und zwar aus den Gründen, die in einem Gesetz definiert sind.

Allerdings steht der aktuelle Vorschlag der EU in der Kritik. Warum?

Wir haben eine sehr restriktive Definition von offensichtlich unbegründeten Fällen als problematisch angemerkt. Außerdem ging es dann auch um die Streichung der Bestimmung über Entschädigungsmöglichkeiten. In unseren Augen ist es relevant, dass es Entschädigung gibt. Weil der taktische Nutzen von SLAPPs gerade für größere Firmen ist, dass sie Rechtsabteilungen beschäftigen und ohne Probleme solche Verfahren über Jahre betreiben können, die gerade unabhängigen Journalist:innen oder kleinen Medienhäusern gleichzeitig sehr schaden. Nur durch Entschädigungszahlungen kann dieser Anreiz verschwinden.

Sollten Betroffene denn trotzdem diese Verfahren führen?

Wenn Ressourcen dafür da sind und die Vorwürfe unbegründet, würde ich dafür absolut plädieren. Da muss es natürlich ein minimales Auffangnetz von Leuten geben, die da auch den Betroffenen psychisch zur Seite stehen, weil das ein Stresszustand ist, der lange andauern kann, Monate, teilweise sogar Jahre. Deshalb ist es oft auch einfach eine Geldfrage. Also, sind Gelder da, um auch höhere Zahlungen zu riskieren oder um in die nächste Instanz zu gehen? Es gibt zahlreiche Bündnisse, die dahingehend Unterstützung organisieren.

Gibt es Beispiele, in denen Betroffene sich erfolgreich gegen SLAPPs gewehrt haben?

Die Kampagne »Pestizid-Tirol« des Münchener Umweltinstituts hat den Einsatz von Pestiziden im Apfelanbau angeprangert. Die Gegenseite ist dagegen rechtlich vorgegangen, um den Schein zu wahren und sich gegen die angeblich falschen Darstellungen zu wehren. Das ist ein Leuchtturm-Fall, weil der Prozess vonseiten der Kampagne vorbildlich geführt wurde und die den Prozess genutzt haben, um an noch mehr Daten zu kommen, wie viel Pestizid eigentlich eingesetzt wurde.

Marco Brás dos Santos hat seinen Prozess in erster Instanz verloren und jetzt Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Was versprechen Sie sich davon?

Gerade die Abwägung zwischen den Interessen ist hier interessant: das der Eigentümerin, die Hausfriedensbruch angezeigt hat, und das der Öffentlichkeit, das darin besteht, dass Journalist:innen über Aktionen des zivilen Ungehorsams berichten. Und dabei ihre journalistische Tätigkeit frei ausüben können. Das sind für die Auseinandersetzung mit SLAPPs sehr wichtige Fragen, und das Bundesverfassungsgericht wird sich hier hoffentlich positionieren.

 

Leipziger Journalist vs. MIBRAG 

Im November 2019 begleitete der Journalist Marco Brás dos Santos für den kreuzer eine Protestaktion des Klimabündnisses Ende Gelände. Über 1.000 Kohle-Gegner und -Gegnerinnen zogen damals auf einer Strecke durch das Leipziger Land bis in den Tagebau »Vereinigtes Schleenhain«, um einen sofortigen Kohle-Ausstieg zu fordern. Vor Ort blockierten die Demonstrierenden Kohle-Bagger. Die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (MIBRAG), Betreiberin des Tagebaus, zeigte daraufhin wegen Hausfriedensbruchs nicht nur beteiligte Aktivistinnen und Aktivisten an, sondern auch Landtagsabgeordnete sowie Journalistinnen und Journalisten, darunter Brás dos Santos. 

Das Amtsgericht Borna fällte im Dezember 2022 das Urteil gegen Brás dos Santos: eine Geldstrafe in Höhe von zehn Tagessätzen à 15 Euro. Die beiden ebenfalls angezeigten Journalisten Dirk Knofe und Tim Wagner hatten zu diesem Zeitpunkt bereits die Zahlung akzeptiert, damit die Verfahren gegen sie eingestellt werden. 

Schon damals kündigte Brás dos Santos an, das Urteil nicht zu akzeptieren: »Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass die nächsthöheren Gerichtsinstanzen in Sachsen zu einem anderen Urteil kommen würden. Den Kampf um die Pressefreiheit gilt es in Karlsruhe oder Straßburg zu führen«, sagte er uns. 

Im September 2023 reichte der Journalist nun eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen das Urteil ein: »SLAPP-Klagen, die sich im Schatten der Gesetzgebung gegen die Presse richten, hatten bislang zu wenig Aufmerksamkeit. Vom Bundesverfassungsgericht erhoffe ich mir nun eine zitierfähige Handreichung für nachgeordnete Gerichte und Behörden.« Bis das Bundesverfassungsgericht eine Stellungnahme abgibt, kann noch einige Zeit vergehen. LEON HEYDE 

 


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