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Wohin mit der Kohle?

Strukturwandel und Sozialwohnungsbau: Das von Thomas Schmidt (CDU) geführte Staatsministerium für Regionalentwicklung

  Wohin mit der Kohle? | Strukturwandel und Sozialwohnungsbau: Das von Thomas Schmidt (CDU) geführte Staatsministerium für Regionalentwicklung  Foto: Thomas Schmidt/Copyright: Fotoatelier Klemm

»Wir wollen es den Kommunen ermöglichen, bei Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen.« – Dieser Arbeitsauftrag wurde Regionalentwicklungsminister Thomas Schmidt (CDU) im Koalitionsvertrag mit auf den Weg gegeben. Fest steht: Die angekündigte Mietpreisbremse für Leipzig und Dresden kam mit Verspätung und erscheint ob ihrer in anderen deutschen Großstädten nachgewiesenen geringen Wirksamkeit als willkommenes Zugeständnis seitens einer marktliberalen sächsischen CDU. Auch an der Wirksamkeit des Ende Januar beschlossenen Zweckentfremdungsverbots gibt es Zweifel. Städte sollen damit gegen Leerstand vorgehen können. Doch das beschlossene Gesetz richtet sich vor allem auf neu eingerichtete Airbnb-Apartments, weniger auf spekulativen Leerstand. Wohnungen dürfen weiterhin maximal zwölf Monate lang leer stehen. Das sei viel zu lange, schreibt das Leipziger Netzwerk Stadt für alle in einem Positionspapier.

Als Zweckentfremdung zählt laut Gesetz ebenfalls nicht die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Um Mieterinnen und Mieter davor besser zu schützen, setzte sich die Stadt Leipzig für einen erweiterten Kündigungsschutz ein – das Sächsische Staatsministerium für Regionalentwicklung (SMR) lehnte diesen ab. Begründung: ein angespannter Wohnungsmarkt sei in Leipzig nicht gegeben. »Dies ist für die Verwaltung nicht nachvollziehbar«, befand die Stadt. Ein angespannter Wohnungsmarkt diente zuvor als Begründung der Mietpreisbremse und auch für die Verlängerung der Kappungsgrenze, durch die bestehende Mieten innerhalb von drei Jahren nur um 15 Prozent steigen dürfen.

Noch als Landwirtschaftsminister hatte Schmidt 2018 erklärt, der steuergeförderte Sozialwohnungsbau in Leipzig und Dresden sei so lange sinnlos, wie Mittel- und Kleinstädte von Leerstand geprägt seien. Zwischen 2006 und 2017 schmolz der Sozialwohnungsbestand von landesweit 134.000 auf 11.500, denn Sozialwohnungen bleiben nicht immer als solche gefördert. Läuft die staatliche Förderung der Mieten aus, können sie wieder zu normalen Konditionen am Markt angeboten werden. Erst ab 2017 wurden in Sachsen wieder Sozialwohnungen gebaut – Ende 2022 lag der Bestand laut SMR sachsenweit bei 12.500. Allein die Stadt Leipzig ging 2023 in ihrer Wohnraumförderkonzeption davon aus, dass jährlich rund 2.260 neue Sozialwohnungen geschaffen werden müssten. Letztes Jahr förderte der Freistaat insgesamt 2.145 neue Sozialwohnungen, in den vier Jahren zuvor waren es durchschnittlich nur 700. Um der Baukrise zu begegnen, erhöhte das SMR Anfang des Jahres die soziale Wohnraumförderung, laut Ministerium gebe es aber »keine feste Zielplanung für eine mittelfristig angestrebte Zahl an Sozialwohnungen«. Die bereitgestellten Mittel von Land und Bund für den Sozialwohnungsbau beliefen sich 2023 auf rund 30 Millionen Euro.

Deutlich größer sind die Summen im Strukturwandel, mit denen die Bergbaufolgeregionen fit für die Zukunft gemacht werden sollen: 3,5 Milliarden Euro stellt der Bund dem Freistaat bis 2038 für Projekte zur Verfügung. Stand jetzt sind 77 Prozent der in der ersten Förderperiode bis 2027 zur Verfügung stehenden Mittel verbindlich für 106 Projekte von Land und Kommunen zugesagt worden – rund eine Milliarde Euro. Erst vier Projekte sind vollständig umgesetzt, laut SMR sei »dieser Stand nicht überraschend und nicht zu niedrig«. Doch dass die Gelder immer dort ankommen, wo sie wirklich helfen, bezweifeln viele. Das liegt an der Organisation der Fördermittelvergabe. In den Regionalen Begleitausschüssen (RBA) entscheiden vor allem die Kommunen und Landkreise, welche kommunalen Projekte die Zusage bekommen – und damit oft solche der öffentlichen Daseinsvorsorge, die schon lange auf dem Wunschzettel stehen. »Statt die bestehenden Landesrichtlinien für Kitas, Sanierung öffentlicher Gebäude und Sportstätten bedarfsgerecht aufzustocken, wird auf die Strukturwandelmittel des Bundes verwiesen. Die finanziell mit dem Rücken zur Wand stehenden Kommunen greifen verständlicherweise nach diesem Strohhalm«, schreibt Manuela Grimm in einer Pressemitteilung des Deutschen Gewerkschaftsbunds zum Stand des Strukturwandels.

Auch Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter des Dresdner Ifo-Instituts, kritisiert, dass die Fördermittel häufig nicht in die Schaffung neuer Wertschöpfungsketten fließen würden, relativiert jedoch auch: Betrachte man die Fördervolumen, so würden die meisten Gelder durchaus in wirtschaftsnahe Bereiche wie Infrastruktur, Mobilität oder Forschung fließen. Aber: »Das Problem ist, dass mit den Strukturstärkungsgeldern keine Unternehmen direkt unterstützt werden können. Die Länder können zwar Infrastrukturen bauen, Gewerbegebiete erschließen, Forschungsstandorte einrichten – damit hat es sich aber auch. Deswegen ist es schwer zu prognostizieren, ob damit tatsächlich Wertschöpfung gelingt.«

In Leipzig soll ein KI-Rechenzentrum für 46 Millionen Euro entstehen, im nordsächsischen Köllitsch für 40 Millionen Euro ein Kompetenzzentrum nachhaltige Landwirtschaft, Fischerei und Klima. Zudem plant der Freistaat neben anderen Projekten die Erschließung eines riesigen Gewerbegebietes in Wiedemar. Grimm bewertet diese Entwicklungen positiv, »in der Gesamtschau wirken die einzelnen Maßnahmen aber eher wie ein Flickenteppich und lassen eine Gesamtstrategie vermissen.«

Mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung forderte die sächsische Linksfraktion letztes Jahr in einem Positionspapier. »An der Kritik ist schon etwas dran, dass die Politik teilweise versucht, Strukturwandel über die Köpfe der Menschen hinweg zu gestalten«, sagt Ragnitz vom Ifo-Institut.


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