In Sachsen hat sich ein Netzwerk zur Verteidigung der Versammlungsfreiheit zusammengeschlossen. Wie der kreuzer berichtete, hat das sächsische Innenministerium ein neues Versammlungsgesetz erarbeitet, das am 1. September in Kraft treten soll. Das Netzwerk »Versammlungsfreiheit verteidigen – unsere Grundrechte sind unverhandelbar«, das derzeit aus Gewerkschaften und politischen Organisationen aus den Städten Leipzig, Dresden und Chemnitz besteht, kündigt Proteste gegen das aus ihrer Sicht verschärfte neue Versammlungsgesetz an.
Johannes Hildebrandt, parlamentarischer Mitarbeiter der Linken-Landtagsabgeordneten Juliane Nagel, sagte dazu in einer Pressemitteilung des Netzwerks, dass der Gesetzesentwurf das Versammlungsrecht dem Polizeireicht unterordnen würde und so die Versammlungsfreiheit aushöhle: »Für uns ist das eine demokratische Katastrophe und ein weiterer Ausbau hin zu einem noch autoritäreren Staat.« Das Netzwerk plane Proteste zur Anhörung des Gesetzesentwurfs im Innenausschuss des Sächsischen Landtages am 18. April und zur möglichen Verabschiedung am 12. oder 13. Juni. »Auch, weil wir besorgt sind, wie lange gesellschaftskritische Versammlungen, Gewerkschaftsproteste, Klima-Demonstrationen, politisch widerständige Pride-Paraden oder Proteste von Landwirten in Sachsen überhaupt noch möglich sein werden. Wir rechnen mit zunehmender Repression gegen Versammlungen im Freistaat«, schreibt Hildebrandt.
Antworten aus dem Innenministerium untermauern Vorwürfe
In Leipzig sind bereits mit dem bestehenden Versammlungsgesetz die Fronten zwischen Versammlungsbehörde, Polizei und Veranstalterinnen und Veranstaltern von Demonstrationen verhärtet. Den Höhepunkt dieser Auseinandersetzung bildete die erste Juniwoche 2023 nach dem Urteil im »Antifa Ost«-Verfahren, in der die Stadt Leipzig mithilfe einer Allgemeinverfügung jegliche Demonstrationen mit Bezug zum Verfahren verbot. Die Aufrufenden zur sogenannten »Tag X«-Demonstration in Leipzig schilderten in einer Auswertung im Nachgang: »Wir wissen heute sicher, egal was wir vorher anders gemacht hätten, eine Demonstration zur Urteilsverkündung im AntifaOst-Verfahren in Leipzig wäre unter keinen Umständen ›erlaubt‹ worden.«
Diese Einschätzung teilt auch Kerstin Köditz, innenpolitische Sprecherin der sächsischen Linksfraktion, nach Auswertung der Antworten des sächsischen Innenministeriums auf einen Fragenkatalog zum Geschehen rund um Tag X. Die Linksfraktion hatte dazu in einer großen Anfrage im Landtag 200 Fragen an den sächsischen Innenminister Armin Schuster (CDU) gestellt. »Wir haben den Eindruck, dass monatelang vor allem darauf hingearbeitet wurde, ein Verbot der mutmaßlichen ›Tag X‹-Demonstration und weiterer Versammlungen zu erreichen – auf der Grundlage hanebüchener Behauptungen und lange bevor es überhaupt Anmeldungen gab«, schreibt Köditz. »So entwarf die Polizeidirektion Leipzig ein Szenario, wonach mit ›Plünderungen‹ zu rechnen sei. Auf Nachfrage zeigt sich nun, dass es darauf gar keine Hinweise gab.«
Veranstalterinnen stellen Kooperation mit Versammlungsbehörde infrage
Dem Zuwachs an Befugnissen und Eingriffen für Versammlungsbehörde und Polizei bei Versammlungen stellen Kritikerinnen und Kritiker gegenüber, dass die Behörden in Leipzig der Aufgabe, Demonstrationen zu schützen, immer öfter nicht gerecht werden. Erst im Januar kam es in Leipzig zu einem Zwischenfall bei einer Großdemonstration gegen Rechts, als ein Autofahrer mit seinem Pickup durch die Demonstration fuhr. Verletzt wurde dabei niemand. Auf Anfrage schrieb die Staatsanwaltschaft Leipzig, dass die Ermittlungen in diesem Fall noch liefen. Die Ermittlungen zu einem Autofahrer aus Altenburg bei der »Ami go home«-Demonstration im November 2022 sind unterdessen eingestellt worden, schreibt die Staatsanwaltschaft. Der Fahrer hatte damals am Rande einer Sitzblockade einen Gegendemonstranten angefahren. Der Tatverdacht der versuchten gefährlichen Körperverletzung sowie der Nötigung hätten sich laut Staatsanwaltschaft nicht bestätigt.
Die Gruppe »Rassismus tötet!«-Leipzig hatte nach den Ereignissen zum »Tag X« einen Debattenbeitrag verfasst, und darin die Frage aufgeworfen, ob es überhaupt noch angebracht sei, Versammlungen anzumelden oder die Kooperation mit den Behörden nicht in Frage zu stellen ist. Hannes Heinze schrieb für die Gruppe auf Anfrage des kreuzer, dass ähnlich wie andere Organisationen aus dem Netzwerk zur Verteidigung der Versammlungsfreiheit auch »Rassismus tötet!« in den vergangenen Jahren viele Versammlungen organisiert beziehungsweise sich an diesen beteiligt habe: »Für Leipzig haben wir dabei beobachtet, dass das Polizeiaufgebot bei Demos immer größer geworden ist. Trotz der Vielzahl an ›Ordnungshüter*innen‹ ist zu beobachten, dass Demos immer schlechter vor durchgeknallten Autofahrer*innen geschützt werden, wie die Vorfälle der letzten Jahre zeigen.«
Polizei und Versammlungsbehörde seien ausschließlich mit ihren eigenen Auflagen und der Ahndung von Verstößen gegen diese beschäftigt. »Warum sollten Veranstalter*innen in Leipzig noch kooperieren, wenn ihre Demos mit Repression überzogen oder gar verboten werden? Im Gegenzug dazu sind die Behörden nicht einmal in der Lage, eine Kreuzung zu sperren und Menschen vor Verletzungen zu schützen? Das Versammlungsrecht wurde vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus als Abwehrrecht gegen den Staat ins Grundgesetz geschrieben. Sachsen dreht dies um und schafft sich ein Instrument, um politische Opposition zu unterdrücken«, schreibt Heinze.