Woher stammen die Dinge in unseren Museen, in den Bibliotheken oder in den Archiven? Von wem wurden sie erworben? Und war dieser Erwerb rechtmäßig? Diesen Fragen widmet sich der Internationale Tag der Provenienzforschung, der am 10. April zum sechsten Mal stattfindet. Dann geht es nicht nur um NS-Raubgut, sondern auch um die Herkunft der Dinge aus der Kolonialzeit, nach 1945 und zu kriegsbedingten Verlagerungen von Museums- und Kulturobjekten.
1998 wurden die Washingtoner Prinzipien beschlossen. Dabei handelt es sich um Grundsätze, wie Staaten mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Vermögen umgehen sollten.
Anfang der 2000er begannen auch in Leipzig im Zuge von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erste Projekte der Provenienzforschung an städtischen Einrichtungen, zum Beispiel, um in den Leipziger Museen und der Städtischen Bibliothek NS-Raubgut ausfindig zu machen. Mit der Ausstellung »›Arisierung‹ in Leipzig. Verdrängt. Beraubt. Ermordet« 2007 konnten die Recherchen aus dem Museum der bildenden Künste, dem Grassimuseum für Angewandte Kunst, dem Stadtgeschichtlichen Museum sowie der Stadtbibliothek in einem größeren Rahmen vorgestellt werden, der eine Publikation zum Thema folgte.
Allerdings trat erst mit der Leipziger Museumskonzeption 2030 aus dem Jahr 2018 die Frage nach der Herkunft der Ausstellungsstücke als ein Schwerpunkt auf. Nun begannen in den einzelnen Häusern breitere Recherchen zur eigenen Sammlungsgeschichte. Das Museum der bildenden Künste besitzt seit Juni 2022 eine feste Stelle zur Aufarbeitung.
Das Veranstaltungsprogramm
Am 10. April finden an elf Institutionen Veranstaltungen zur Provenienzforschung statt. Eine Auswahl:
Zum Workshop »Partizipatives Forschen zu Objekten aus Dagbon (Ghana)« lädt das Grassimuseum für Völkerkunde von 13 bis 16.30 Uhr ein. Über achtzig Objekte aus dem Königreich Dagbon gelangten um 1900 in das Museum. Was bedeuten sie für die Menschen im heutigen Ghana?
Die Kustodin Birgit Scheps-Bretschneider spricht ab 19 Uhr anhand von Projekten aus Hawai’i, Neuseeland und Australien zu »Die Heimkehr der Ahnen – Geschichten von Restitution und Repatriierung«.
In die Deutsche Nationalbibliothek laden die Ausstellungskuratorin Bettina Baltschev gemeinsam mit der Provenienzforscherin Emily Löffler zur Führung »Hölle und Paradies. Der Querido Verlag und seine Bücher in der Leipziger Exilsammlung« um 14 Uhr ein.
Eine Sonderführung in der Ausstellung »Der bestimmende Blick« bieten Monika Heinemann und Julia Roos um 16 Uhr im Dubnow-Institut an. Sie berichten von der Sammlungsgeschichte der ausgestellten Fotografien zum jüdischen Leben aus dem Polen der Nachkriegszeit und fragen, wie Provenienzforschung von Fotografien stärker in Ausstellung sichtbar gemacht werden könnte.
Von 17 bis 18 Uhr stellt im Stadtgeschichtlichen Museum die Provenienzforscherin Lina Frubrich in der Sonderausstellung »R.I.P. - Die letzte Adresse. Tod und Bestattungskultur in Leipzig« ihre Arbeit vor und erklärt die Herkunftsgeschichten von Kunstwerken, die das Museum in der Zeit des Nationalsozialismus erwarb.
Von 17 bis 19 Uhr bietet die Provenienzforscherin Ulrike Saß am Museum der bildenden Künste eine offene Sprechstunde zum Thema »Woher kommt meine Kunst?« an.
Wie geht die Universitätsbibliothek mit der Provenienzforschung und -erschließung um? Erste Antworten gibt es ab 17 Uhr bei einer Präsentation in der Albertina. Dabei geht es unter anderem um ausgewählte Quellen und Objekte im Umgang mit NS-Raubgut.
In der Dauerausstellung »Antike bis Historismus« im Grassimuseum für Angewandte Kunst erklärt der Kurator Thomas Rudi um 18 Uhr die Herkunft von ausgewählten Objekten.
Publikationen
Seit Januar 2018 existiert im Freistaat die Arbeitsgemeinschaft Provenienzforschung in Sachsen, in der sich Mitarbeitende aus Museen, Bibliotheken und Archiven zusammenschlossen. Einen Überblick über die Recherchen in Sachsen gibt eine Publikation zur Fachtagung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – Sächsische Landesstelle für Museumswesen.
Am 30. Januar 2023 fand im Stadtgeschichtlichen Museum eine Fachtagung mit dem Titel »Verlust und Zugewinn. Objektgeschichten erforschen und Unrechtskontexte aufdecken. Provenienzforschung in Sachsen« statt. Die Broschüre zur Tagung versammelt 13 Vorträge aus ganz unterschiedlichen Institutionen zum Thema. Vom Heimatmuseum Mühlrose oder dem Museum Burg Mylau über die Recherchen zur Kunstsammlung von Paul Geipel zu den Görlitzer Sammlungen, zum Museum Naturalienkabinett Waldenburg und den ganz unterschiedlichen Voraussetzungen zum Thema. Aus Leipzig berichten Lina Frubrich über ihre Tätigkeit im Stadtgeschichtlichen Museum, Ulrike Saß aus dem Museum der bildenden Künste und Birgit Scheps-Bretschneider aus dem Grassimuseum für Völkerkunde. Zudem finden sich im Anhang Listen ausgewählter Literatur und Internetseiten zur Provenienzforschung.
> Einen Überblick über alle Veranstaltungen des Arbeitskreises am 10. April gibt es hier.
> Stadtgeschichtliches Museum (Hg.): Vergessene Rück(an)sichten. Provenienzforschung am Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, Leipzig 2022, 96. S., 8,50 Euro
> Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Sächsische Landesstelle für Museumswesen (Hg.): Verlust und Zugewinn. Objektgeschichten erforschen und Unrechtskontexte aufdecken. Provenienzforschung in Sachsen. 2023, zu beziehen über die Sächsische Landesstelle für Museumswesen für eine Schutzgebühr von zehn Euro