»Bei der Polizei piept es. Schuld soll ein Leipziger Aktivist sein«, war eine Pressemitteilung des Anwält*innenkollektivs Süd überschrieben. Demzufolge warf die Staatsanwaltschaft Leipzig einem linken Demonstranten gefährliche Körperverletzung und tätlichen Angriff auf zwei Polizeibeamte vor. Und zwar indem er bei einem Megafon eine bewusste Rückkopplung herbeigeführt habe. Der Mitteilung zufolge habe die Staatsanwaltschaft die Tat nicht nachweisen können – diese widerspricht der Darstellung.
Bereits Mitte März wurde der Fall vorm Amtsgericht Leipzig verhandelt. Der Beschuldigte war in der Vergangenheit mehrfach Anmelder von Gegendemonstrationen und spontaner Sitzversammlungen gegen sogenannten extrem rechte und verschwörungsideologische Montagsdemonstrationen. Am Rand einer solchen soll er zwei Beamten mit einer Megafon-Rückkopplung jeweils einen Tinnitus und ein Knalltrauma zugefügt haben. »Schuld sein soll der Beschuldigte, der die Rückkopplung absichtlich herbeigeführt haben soll«, so das Anwält*Innenkollektiv. »Die Staatsanwaltschaft konnte die Tatvorwürfe aufgrund mangelhafter Beweisführung nicht nachweisen.« Das habe zur Einstellung des Verfahrens geführt.
Dieser Interpretation widerspricht Staatsanwältin Vanessa Fink auf kreuzer-Nachfrage. Die Schuldfrage sei gar nicht verhandelt worden. Zusätzlich weist sie darauf hin, dass dem Aktivisten »weder Körperverletzungsabsicht noch direkter Körperverletzungsvorsatz, sondern lediglich bedingter Körperverletzungsvorsatz zur Last gelegt wurde.« In der Hauptverhandlung im März sei es um zwei Tatvorwürfe gegangen. Erstens um den Megafon-Vorfall, zweitens soll Angeklagte zu einem früheren Zeitpunkt einen »tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte, diesmal in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung« verübt haben, so Staatsanwältin Fink.
Wegen dieses zweiten Vorwurfs wurde der Angeklagte durch einen Jugendrichter rechtskräftig schuldig gesprochen und muss gemeinnützige Arbeitsstunden leisten. Während der Verhandlung hatte die Staatsanwaltschaft beantragt, aufgrund der zu »erwartenden Rechtsfolge« (Fink) vom ersten Tatvorwurf abzusehen. Eine solche »Teileinstellung bei mehreren Straftaten«, wie der entsprechende Paragraf 154 in der Strafprozessordnung heißt, ist nicht ungewöhnlich, etwa wenn eine Verurteilung wegen einer schwerer wiegenden Tat zu erwarten ist. Daher, so Fink, sei über die Schuldfrage im Fall des Megafons gar nicht verhandelt worden. »Insofern erscheint die [...] implizierte Wertung, der Anklage sei die Beweisführung nicht ausreichend gelungen, etwas verfehlt.«
Verteidigerin Christiane Götschel vom Anwält*innenkollektiv Süd nannte das Verfahren im Abschlussplädoyer »absurd«, es diene »einzig und allein der Diffamierung meines Mandanten.« Auch der Text der Pressemitteilung beschreibt den Prozess »als einen weiteren Versuch der Staatsanwaltschaft Leipzig linken Aktivismus zu kriminalisieren […] Dieses Verfahren steht exemplarisch für die generelle Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft Leipzig gegen Linke.« Die Kanzlei verweist auf den Tag X im Juni 2023, an dem rund 1.000 Menschen über Stunden in einem Polizeikessel ausharren mussten. In der Vergangenheit hat das Netzwerk Leipzig nimmt Platz mehrfach von der Ungleichbehandlung durch Behörden gesprochen, was eine Analyse des Grundrechtekomitees bestätigte.
Mit diesem Vorwurf der Verteidigung konfrontiert, antwortet Staatsanwältin Fink: »Die Staatsanwaltschaft Leipzig ist – wie jede andere Anklagebehörde in Deutschland auch – dem Legalitätsprinzip verpflichtet. Danach muss die Staatsanwaltschaft wegen einer verfolgbaren Straftat einschreiten, sofern dafür zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Das war hier der Fall.«