Er möchte nicht, dass man ein Einzelfoto von ihm macht, sagt Eric Recke, als er sich in der Leipziger Innenstadt mit dem kreuzer trifft. Mit den anderen Kandidaten für den Stadtrat habe er sich darauf geeinigt, keine Einzelpersonen in den Vordergrund zu stellen. Stattdessen gehe es um die Partei und die gemeinsamen inhaltlichen Positionen. Dieser politische Anspruch entbehrt nicht einer gewissen Ironie, möchte der studierte Sozialarbeiter Recke schließlich erstmals für eine Partei in den Stadtrat einziehen, die schon namentlich auf eine Person zugeschnitten ist: Das »Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit« (BSW), benannt nach der populären ehemaligen Linken-Politikerin.
Das BSW sorgt seit seiner Vereinsgründung im September 2023 für Aufsehen und Diskussionsstoff in der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Für die einen ist das BSW, das sich Anfang des Jahres auch als Partei konstituierte, eine neue soziale Kraft, die die materiellen Interessen der Mehrheit vertritt und sich für eine konsequente Friedenspolitik einsetzt – für die anderen eine egomanische One-Woman-Show, die sich populistischer Demagogie bedient, sich mit einer rigiden Migrationspolitik Rechtsaußen oder mit Forderungen nach einem Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine dem autoritären russischen Regime anbiedert.
Das BSW stellt nun zehn Kandidaten – ausschließlich Männer – für die Leipziger Stadtratswahl auf. Beruflich haben sie vielfältige Hintergründe, von einem Architekten über einen Immobilienkaufmann bis hin zu einem Übersetzer. Recke war, wie einige andere der Kandidaten, früher in der Linkspartei aktiv. Er war auch schon bei Wagenknechts Sammlungsbewegung Aufstehen aktiv, die nach wenigen Monaten wieder von der Bildfläche verschwunden ist. Aus der Linkspartei ist er aber schon vor der Gründung des BSW ausgetreten – vor allem aus friedenspolitischen Gründen. Für alle Kandidaten wäre der Posten im Stadtrat die erste Erfahrung in einem Parlament. Darüber, welche Rolle die eigene Partei dort spielen soll, ist sich Recke selbst noch unsicher: »Wo jetzt die genaue Lücke in Leipzig ist, wo wir unbedingt für die Bürger eine Leerstelle füllen müssen, das versuchen wir im Gespräch mit den Bürgern erst noch so richtig auszuloten.« Zentral seien aber drei Themen: Soziales, Wirtschaft und Friedenspolitik.
Im Bereich Soziales gibt sich das BSW traditionell-sozialdemokratisch. Es fordert eine starke öffentliche Daseinsvorsorge in kommunaler Hand, das dringendste Problem der Stadt seien die hohen Mieten und der mangelnde Wohnraum, worauf vor allem mit kommunalem Wohnungsbau geantwortet werden soll. Städtische Randgebiete sollen infrastrukturell besser ans Stadtzentrum angebunden werden, mehr Geld soll in öffentliche Einrichtungen wie Sporthallen oder Schwimmbäder fließen. Hinsichtlich der Finanzierung gibt sich Recke betont wirtschaftsfreundlich, zumindest wenn es nicht um internationale Großkonzerne geht, sondern um mittelständische und regionale Unternehmen: Diese sollen mehr Anreize bekommen, sich in Leipzig anzusiedeln. Besonders am Herz liege ihm und dem BSW die Leipziger Autoindustrie. Ein Aus des Verbrenner-Motors lehnt er ab.
Friedenspolitisch könnten von Leipzig – immerhin die Stadt der »Friedlichen Revolution« – wichtige Impulse ausgehen: Dafür fordert das BSW etwa, dass die General-Olbricht-Kaserne im Norden der Stadt komplett zivil umgenutzt wird und dass vom Flughafen Leipzig/Halle keine militärischen Transporte ausgehen dürften. Was für das BSW Friedenspolitik bedeutet, konnte in Leipzig etwa beim diesjährigen Ostermarsch beobachtet werden: Dort demonstrierte die Partei unter anderem an der Seite der MLPD, der »pro-palästinensischen« Gruppe Handala, die wegen antisemitischer Vorfälle in die Kritik geraten war, und Gruppen aus dem Querdenker-Milieu. In Kritik geriet der Marsch nicht zuletzt wegen vermeintlich russlandfreundlicher Positionen. Bezogen auf den Krieg in der Ukraine haben Recke und das BSW eine klare Haltung: Der Angriff Russlands sei natürlich nicht zu rechtfertigen, es brauche aber einen sofortigen Waffenstillstand und diplomatische Verhandlungen. Waffenlieferungen müssten augenblicklich gestoppt werden. »Wenn ich jemandem Waffen liefere, der die dann im Krieg einsetzt, ist das eine Kriegsbeteiligung, finde ich.«
Und wie nah steht das BSW der AfD? Recke betont, dass das BSW Leipzig keine Mitglieder aufgenommen habe, die in der Vergangenheit mit »ausländerfeindlichen Äußerungen« aufgefallen seien. Eine einzige inhaltliche Nähe sieht Recke darin, dass auch das BSW fordert, Menschen ohne Bleiberecht schnell abzuschieben. Dahingehend seien sie aber einfach nur eine klare Rechtsstaatspartei. Allerdings spricht er sich deutlich gegen »gewaltvolle« Abschiebungen aus.
Sollte der Einzug in den Stadtrat gelingen, stehe für Recke fest, dass seine Partei keine gemeinsamen Anträge mit der AfD stellen werde. Allerdings sollen Anträge von der AfD auch nicht prinzipiell abgelehnt werden: »Wenn uns der Antrag überzeugt – und da geht es auch um Tonfall und Kultur –, würden wir nicht aus Prinzip ausnahmslos mit Nein stimmen.«
Was also ist vom BSW für Leipzig zu erwarten? Es könnte sich für soziale Themen stark machen, wobei diese Positionen ähnlich bereits von anderen Parteien vertreten werden, nicht zuletzt von der Linkspartei. Positionen eines radikalen, manche würden sagen: naiven Pazifismus könnten stärker vertreten werden. Und die oft beschworene Brandmauer nach rechts könnte auf kommunaler Ebene noch mehr Risse bekommen und die AfD als stadtpolitische Kraft weiter normalisiert werden, wenn das BSW einzelnen Anträgen zustimmt, wie es auch die CDU bereits macht. Anfang Juni wird sich zeigen, wie groß die Lücke ist, die das BSW damit in Leipzig füllen kann.
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