Ein Innenstadt-Italiener Mitte April. Sven Morlok trägt Schnauzer, schwäbelt und bestellt ein Bier. Er habe gerade viel zu tun, sagt der Vorsitzende der Freibeuter, dem Fraktionszusammenschluss von FDP und Piraten. Dafür wirkt er ziemlich gelassen. Für die Freibeuter sind es stürmische Tage, wenige Wochen vor der Wahl. Schuld ist eine eilig einberufene Sondersitzung des Leipziger Stadtrats, zu der Morlok gleich weitermuss. Morlok macht dafür das »übersteigerte Ego einer Person« verantwortlich, wie er gegenüber der LIZ äußerte. Gemeint ist Fraktionskollegin Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten). Zusammen mit Morlok und zwei weiteren Stadträten der Liberalen bildet sie seit 2019 die kleinste aller Fraktionen in der Ratsversammlung.
Die Ursache für den öffentlichen Krach innerhalb der Fraktion liegt schon ein paar Monate zurück. Gabelmann hatte sich Ende 2023 als Beisitzerin in den Gemeindewahlausschuss für die anstehende Stadtratswahl wählen lassen. »Sie wollte unbedingt rein, im vollen Bewusstsein, dass sie dann nicht für den Stadtrat kandidieren kann«, erinnert sich Morlok. Sie habe damals persönliche Gründe gehabt, nicht erneut für den Stadtrat kandidieren zu wollen, die sich inzwischen geändert hätten, erklärt Gabelmann im Gespräch mit dem kreuzer. Nachdem Gabelmann und ihr zuvor zum stellvertretenden Beisitzer gewählter Parteikollege Jan-Paul Helbig doch noch ihre Kandidatur erklärt hatten, sei ihnen von der Verwaltung mitgeteilt worden, sie könnten einfach aus dem Gemeindewahlausschuss zurücktreten. Erst am 4. April hätten sie vom Kreiswahlleiter erfahren, dass eine Abberufung durch den Stadtrat nötig, die Ratsversammlung am 10. April somit unumgänglich sei.
Der Fraktionsvorsitzende sieht die Schuld dennoch bei seiner Kollegin: »Sie hat es verbockt und dazu sollte sie auch in der Öffentlichkeit stehen.« Morloks spitze Bemerkungen in Richtung Gabelmann deuten auf ein grundsätzlich belastetes Verhältnis zwischen beiden hin. »Frau Gabelmann hat eine sehr starke Persönlichkeit und ist der Auffassung, dass sie eine sehr wichtige Stadträtin ist und eine sehr bedeutende Rolle dort spielt, und so verhält sie sich auch.« Gabelmann selbst hält dagegen: »Frau Gabelmann ist vor allem der Meinung, dass es unsachlich, unprofessionell und für die politische Arbeit für Leipzig irrelevant ist, persönliche Animositäten in der Öffentlichkeit auszutragen.« Abgesehen vom aktuellen Streit habe die Fraktion kollegial zusammengearbeitet, betonen beide, wenn sie über die Freibeuter sprechen.
Morlok, der vor zehn Jahren noch sächsischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident in Dresden war, ist längst wieder zurück in der Leipziger Lokalpolitik. Im Stadtrat tritt er gern als Mahner auf, setzt dann schwungvoll beide Hände ein, um seine Reden zu untermalen. »Sie denken Dinge nicht zu Ende«, warf Morlok zuletzt Oberbürgermeister Burkhard Jung vor. Die von der Stadt angepeilte Klimaneutralität bis 2038 erfordere so viele Baustellen, dass diese nachvollziehbarer und besser gesteuert werden müssten.
Die Abgrenzung zu den Piraten sieht Morlok in der klaren wirtschaftspolitischen Ausrichtung seiner Partei: »Wir fragen auch nach den Kosten. Letztendlich muss ja auch alles erwirtschaftet und von uns Steuerzahlern bezahlt werden.« Gerade bei Fragen der Haushaltsdisziplin stelle er sich die Arbeit in einer reinen FDP-Fraktion daher einfacher vor. Das Wahlziel sei deshalb, eine Fraktion aus eigener Kraft bilden zu können. Um die Stimmen für die vier dafür benötigten Stadträte zu bekommen, setze die FDP im Wahlkampf auf »Ehrlichkeit«. Etwa bei der Verkehrs- und Wärmewende: »Es ist ja nicht so, dass nur Leipzig klimaneutral werden möchte. Wo kommen denn die Ingenieure her, wo kommen denn die Baufirmen her?«
Die Piratin, oder wie die Tochter einer Deutschlehrerin und eines Deutschlehrers von sich sagt, der »Pirat Gabelmann« meldet sich gerne dann zu Wort, wenn Themen die »persönliche Freiheit« betreffen. Wenn der Stadtrat etwa über problematische Männerbilder diskutiert (s. kreuzer 04/2024), geht ihr das zu weit. Die Stadtverwaltung habe sich bei solchen Themen rauszuhalten: »Solange etwas nicht strafbar ist, ist es offensichtlich nicht problematisch.« Wichtigstes Thema für ihre Partei sei die Digitalisierung. Die Website der Stadt nennt Gabelmann eine »gewachsene Katastrophe«, die »völlig neu strukturiert werden müsste«.
Fast wichtiger als konkrete Inhalte ist ihr aber ihre Rolle als »Stadtrat«: »Ich mache auch mal den Mund auf an Stellen, wo es dann vielleicht Ärger gibt.« Dadurch sei sie auch eine gute Adresse für jene in der Stadtverwaltung geworden, die interne Kritik öffentlich machen wollten. »So ein bisschen wie Whistleblowing, sage ich jetzt mal.« Die Funktion der Freibeuter sieht Gabelmann ähnlich: Sie seien der »Stachel im Fleisch« bei Projekten, wo sich alle auf die Schulter klopfen.
Gerade als kleinste Fraktion habe man es teilweise nicht leicht im Stadtrat, sagt Morlok. Bei knappen Entscheidungen hätten die Freibeuter aber schon eine Rolle gespielt. Gabelmann betont, dass es als große Fraktion auch wesentlich einfacher sei, die Verwaltung von einem Antrag zu überzeugen: »Die Stadtverwaltung lässt uns auch spüren, dass wir eine kleine Fraktion sind.«
Für den Fall, dass sie selbst wieder in den Rat einziehen sollten, halten sich Morlok und Gabelmann zurück mit festen Fraktionsversprechen.
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