anzeige
anzeige
Politik

Hauptsache dagegen

Stimmung schüren und warten auf den Umsturz: Ein Buch erklärt das Phänomen Freie Sachsen

  Hauptsache dagegen | Stimmung schüren und warten auf den Umsturz: Ein Buch erklärt das Phänomen Freie Sachsen  Foto: Adobe Stock

»Wer Sachsen nicht liebt, soll Sachsen verlassen!«, »Sachsen leistet Widerstand!«, »Raus aus der bunten Republik!« – Grün-weiße Fahnen und Banner dominieren seit einigen Jahren alle möglichen Demonstrationen gegen alles Mögliche in diesem Bundesland. In kurzer Zeit schafften es die sogenannten Freien Sachsen, sich in der Wahrnehmung an die Spitze extrem rechter Mobilisierungen in Sachsen zu stellen. »Widerstand über alles«, fassen Johannes Kiess und Michael Nattke das Grundmotiv der Freien Sachsen zusammen. Ihr gleichnamiges Buch ist das erste, das sich explizit der Kleinstpartei widmet, die mit 19 Kandidierenden auch zur Leipziger Stadtratswahl antritt. Hinterm zum Teil skurrilen folkloristischen Auftreten stünden Umsturzfantasien und die Hoffnung, eine politische Herrschaftsordnung jenseits demokratischer Verfasstheit zu etablieren.

Die erst 2021 gegründeten Freien Sachsen (FS) sind ein Projekt etablierter Rechtsextremisten. Ihr Vorsitzender Martin Kohlmann agiert als Chef der extrem rechten Wählervereinigung Pro Chemnitz seit Jahren im dortigen Stadtrat. Er hatte 2018 die rassistischen Proteste organisiert, die bundesweit Neonazis nach Chemnitz mobilisierten. Stellvertreter Stefan Hartung war NPD-Kader und ist seit 2013 im Erzgebirge durch die »Lichterläufe« gegen Geflüchtetenunterkünfte bekannt, an denen teilweise über tausend Menschen teilnahmen. Der Führung gehört auch Michael Brück an, der aus Dortmund nach Sachsen zog, weil er hier seinen Aktivitäten ungestörter nachgehen kann – er war einst Führungsfigur der Neonazi-Organisation Nationaler Widerstand Dortmund, betrieb einen Versandhandel für Nazidevotionalien, saß für Die Rechte im Dortmunder Stadtrat. Inhaltlich stürzen sich die vom Landesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuften FS auf jedes Thema mit rechtem Empörungspotenzial: Während der Corona-Proteste entstanden, widmeten sich die FS in den letzten Jahren dem Ukraine-Krieg, der Energiekrise, der Klimapolitik, der Migration und allem, »was die da oben« halt »dem Volk«, also den Sachsen »diktieren«. »Mehr Autonomie und notfalls der Säxit«, heißt es in ihrer Selbstvorstellung. Der Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik wird gefordert, oft sind die Themen verschwörungsmythisch und von Reichsbürgerdenken durchsetzt, das sich das Königtum zurückwünscht.

Über Entstehung und Wirken der FS, Personen und ihre Vorgeschichten in anderen extrem rechten Zusammenhängen legen Michael Nattke und Johannes Kiess nun erstmals eine übersichtliche Darstellung vor. Der Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen und der Politik-Soziologe am Leipziger Else-Frenkel-Brunswik-Institut erörtern neben den Gefahren auch die Grenzen der FS-Aktivitäten. Im Folgenden soll sich hier imText auf die Strategien der FS konzentriert werden, die beide Autoren herausgearbeitet haben.
 

Verzicht auf Alleinvertretungsanspruch
 

Selbstverständlich drängen die FS mit ihrem Branding massiv in den Vordergrund. Allerdings erteilen sie einem Konkurrenzkampf ausdrücklich eine Absage, in welchem sich in der Vergangenheit extrem rechte Parteien und Gruppen stets aufgerieben haben. Es geht ihnen ums Ganze, um eine Bewegung von rechts, die erst einmal vielstimmig sein kann. Daher überlassen sie größtenteils der AfD die Parlamentsarbeit.


Raumergreifung und Dauerpräsenz
 

Die Eroberung des öffentlichen Raums bildet einen Teil des Vier-Säulen-Konzepts, das die NPD seit ihrem Bundesparteitag 1997 verfolgt. Der »Kampf um die Straße« ergänzt den »Kampf um die Parlamente«, der vor allem als Sicherung von Geldquellen dient, hinzu kommen der als Bildungsarbeit und Werben verstandene »Kampf um die Köpfe« und der »Kampf um den organisierten Willen« einer vereinten Rechten. Der Begriff ist an den NS-Sprech angelehnt, der auch den SA-Terror einschließt.

Die FS knüpfen an dieses Säulenkonzept an, in zum Teil abgeänderter Form. Das Erkämpfen der Straße wird durch möglichst viele Demonstrationen beziehungsweise durch Kapern von Veranstaltungen mit der eigenen Marke angestrebt. Mit wenigen Leuten, aber markanter Symbolik aufzutreten, zählt zu dieser Strategie. Auch durchs Verteilen von kostenlosen Fähnchen weckt der Scheinriese FS den Eindruck, größer zu sein und jede Kundgebung selbst organisiert zu haben. Neben solch temporärer wird eine dauerhafte Präsenz im öffentlichen Raum angestrebt – durch Aufkleber, im Alltag getragene Kleidung. Gerade im kleinstädtischen und ländlichen Raum, wo kein politischer Gegner sichtbar ist, weckt das den Anschein von Normalität, die FS erscheinen als unproblematisch.

 

Marken- und Imagepflege


Das als »königliches Wappen« entworfene Fantasielogo in Gelb auf Grün und Weiß drückt das Bemühen der FS aus, eine Marke von Wiedererkennungswert sein zu wollen. »Keine andere extrem rechte Partei in der Bundesrepublik hatte es zuvor geschafft, ihr Logo oder andere Symbole in solcher Art und Weise flächendeckend zu verteilen«, schreiben Nattke und Kiess. Das erklärt den Vertrieb preiswerter Großtransparente über den FS-Shop, die mit diversen Botschaften – »Kretschmer verhaften«, »Grüne an die Ostfront«, »Kein Asylantenheim« – leicht als Frontbanner anderer Aufzüge dienen können. Dazu kommen offensives Marketing und Merchandising: Der Verkauf von Bekleidung, Tassen und anderem soll auch Geld einbringen. Zum Teil ist das folkloristisch, mit dem Grün-Weiß-Design ist man leicht für den merkwürdigen Sachsenstolz (vgl. kreuzer 02/2022) anschlussfähig. Gewinnorientierung steckt hinter Münzen mit Motiven wie dem Erzgebirgs-Volksdichter Anton Günther, dem Goldenen Reiter aus Dresden oder der Göltzschtalbrücke im Vogtland für je 55 Euro.


Soziale Medien


Ohne soziale Medien kommen auch die FS nicht aus. Vor allem in Telegram haben sie ein erfolgreiches Propaganda-Medium gefunden; 150.000 Abonnentinnen und Abonnenten hat der FS-Hauptkanal, der um Moderation verschiedener Strömungen bemüht ist. Auf Telegram bilden die FS den »wichtigsten Knotenpunkt« im Netzwerk extrem rechter Kanäle, heißt es bei Nattke und Kiess.

Auflistungen aller Demotermine suggerieren, dass die FS viele selbst initiiert hätten. Dabei verfolgen sie eine Offline- und Onlinestrategie: Videoschnipsel von Demos wirken online mobilisierend für die Straße – besonders in der Anfangszeit, als Kundgebungsverbote zu Auseinandersetzungen mit der Polizei führten, zeigte das Wirkung, hat aber auch heute lokale und regionale Mobilisierungskraft. So soll außerdem ein allgemeines Klima des Unwillens in der Bevölkerung geschaffen werden, zumal ausdrückliche Bezüge zur Bürgerbewegung 1989 nie fehlen. Die vielen Videos unterstreichen wiederum den Eindruck, viele zu sein und über Wirkungsmacht zu verfügen. Der Abbau staatlicher Pandemiemaßnahmen wurde intern als Erfolg eigener Proteste verkauft, vor der die Politik eingeknickt sei.


Strategische Kommunalpolitik


Die FS streben Mandate auf lokaler Ebene an, weil mit solcher Verankerung die höheren Ebenen leichter erreichbar sind. In der Kommunalpolitik geht es um praktische Entscheidungen, weshalb andere Parteien eher bereit zur Zusammenarbeit sind. Damit wäre ein weiterer Schritt zur Normalisierung getan. Zumal die FS so an Informationen gelangen, um frühzeitig zu mobilisieren gegen Planungen von Geflüchtetenunterkünften oder um den politischen Gegner einzuschüchtern.


Dach rechter Bewegung


Intern herrscht starre Hierarchie. Aber nach außen verstehen die FS sich nicht als exklusiv, sondern ermuntern im Gegenteil ihre Mitglieder dazu, sich auch anderswo politisch zu betätigen. Beim Straßenaktivismus wollen sie vielerorts präsent sein. Wollten NPD & Co. mit der erwähnten Strategie des Willens alle hinter einer Partei vereinen, so simulieren die FS, eine Art Dach der extrem rechten Sammelbewegung zu sein.

Auf lokaler Ebene kam es manchmal zur Konkurrenz mit der AfD. Die FS funktionieren eben auch als ein Treiber, erklären sich zur rechten Opposition der AfD, sollte diese mit der CDU koalieren. Hier liegen die größte Schwäche und Spannungsmöglichkeiten, da FS und AfD dieselben Leute ansprechen.


Katalysator


Der Strategie der Dauerpräsenz kamen die zahlreichen Krisen der Gegenwart zugute. In Sachsen fanden 2023 mehr extrem rechte Demonstrationen statt als in allen anderen Bundesländern zusammen. Viele davon wurden nicht von den FS organisiert, in der Wahrnehmung blieben sie aber besonders dominant. Die Instrumentalisierung emotionaler Themen, um weitere Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen, wird die Kleinstpartei weiterverfolgen. Sie will Dynamiken nutzen, um weitere Dynamik zu entwickeln und andere Akteure zu weiteren Mobilisierungen zu motivieren. Darum werden die FS weiter ihren Netzwerkcharakter pflegen, weil das der Organisierung von Aktionismus dient. Und um den geht es vor allem: Katalysator sein, um Menschen für die »nationale Bewegung« zu gewinnen, wie sie ihre Sache nennen. Oder: »Widerstand über alles«.

> Johannes Kiess u. Michael Nattke: Widerstand über alles. Wie die Freien Sachsen die extreme Rechte mobilisieren. Leipzig: Edition Überland 2024. 160 S., 15 €


Kommentieren


0 Kommentar(e)