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Politik

»Demokrat*innen müssen Tiktok inhaltlich besetzen«

Politikberater Martin Fuchs über den Erfolg der AfD auf Social Media

  »Demokrat*innen müssen Tiktok inhaltlich besetzen« | Politikberater Martin Fuchs über den Erfolg der AfD auf Social Media  Foto: Adobe Stock

Martin Fuchs ist auf dem Sprung, ein Termin jagt den nächsten, die meiste Zeit verbringe er momentan im ICE. Als Politikberater, Autor und Experte für digitale Kommunikation ist Fuchs gerade bundesweit unterwegs. Letztes Jahr veröffentlichte Fuchs einen Sammelband mit aktuellen Analysen zum digitalen Wahlkampf. In den vergangenen 14 Jahren stand der Politik- und Strategieberater bereits allen demokratischen Parteien im Bundestag zur Verfügung. Mit dem kreuzer spricht Fuchs über den Erfolg der AfD auf Tiktok und wie die Plattform in Zukunft von Demokratinnen und Demokraten genutzt werden kann.
 

Die AfD ist momentan sehr erfolgreich auf Tiktok – vor allem Maximilian Krah, der als Spitzenkandidat für die Partei bei der Europawahl antrat. Können solche Videos das Wahlverhalten Jugendlicher beeinflussen?

Wir wissen aus der Wahlwirkungsforschung, dass die Wahlentscheidung ein sehr komplexer Prozess ist, da ist Social Media nur ein Puzzlestein davon. Junge Leute sind sehr viel auf Social Media, teilweise mit hoher Bildschirmzeit von 90 Minuten Tiktok pro Tag. Ich würde mich aber schwer damit tun, einen linearen Zusammenhang herzustellen dazwischen, dass jemand drei Videos von Maximilian Krah schaut und dann die AfD wählt. So funktioniert das glaube ich nicht. Social Media kann aber beeinflussen, welche Themen wir miteinander diskutieren. Das hat dann wiederrum Einfluss darauf, wie wir auf die Wahl schauen, wie wir vielleicht auch Vertrauen in Regierungen oder in das Europäische Parlament haben. Und das hat wiederrum Einfluss auf meine Wahlentscheidung. Wenn Menschen sowieso nicht daran glauben, dass Demokratie die richtige Staatsform ist und ihr Vertrauen in die »Altparteien« verlieren, dann können sie durch AfD-Videos mobilisiert werden. Da muss aber schon immer ein Grundunbehagen da sein, um Menschen auch für so eine Partei zu mobilisieren.

Passen Social Media und Politik dann überhaupt zusammen? 

Die passen sehr gut zusammen, weil es eine großartige Möglichkeit ist, kontinuierlich Vertrauen in politische Ideen, Visionen und Argumente aufzubauen und auch Menschen, die per se nicht hochpolitisch interessiert sind, und das sind nur ungefähr 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung, überhaupt zu erreichen.

Wie unterscheidet sich Tiktok im Vergleich zu anderen Plattformen?

Es unterscheidet sich fundamental. Weil die Logik und die Idee von Tiktok eine ganz andere ist. Das hat Social Media neu definiert. Es geht nicht mehr um die Beziehung und Bindung zu meinen Freunden, das ist komplett egal auf der Plattform. Tiktok funktioniert mit einem KI unterstützten Algorithmus, der erkennt, was meine Interessen sind und mich dann nur mit Videos meiner Interessen überschüttet.

Zurück zur AfD auf Tiktok: Warum ist die Partei auf der Plattform so erfolgreich?

Zum einen hat die Partei nie Berührungsängste gehabt mit neuen Plattformen, auf Tiktok war die AfD von Anfang an dabei. Damit hat sie viel Zeitvorsprung und viel Erfahrungen gesammelt, wie Tiktok funktioniert. Zweitens: Die AfD hat ein breites Netzwerk an Accounts von der Partei, von Fraktionen, von Kreisverbänden, von Funktionär*innen und von sogenannten Drittaccounts, die unter objektiven oder neutralen Namen nur AfD-Inhalte verbreiten und das in großer Anzahl tun. Sie haben ein Influencer-Netzwerk aufgebaut und Multiplikator*innen, die in bestimmten Szenen wirken können. Wo erstmal AfD gar nicht draufsteht, die aber dann Pro-AfD-Content und antidemokratische Narrative verbreiten. Drittens: Was provozierend ist, was zugespitzt ist, was polarisierend ist, was vielleicht auch eine steile These ist, das funktioniert auch auf einer Unterhaltungsplattform. Und so sieht sich Tiktok. Das lockt wiederum auch Kritiker an, die dann kommentieren. Tiktoks Algorithmus erkennt dann: das ist spannender Inhalt, den spiele ich noch viel viraler aus. Durch die Art und Weise der Kommunikation und der Inhalte der AfD haben sie es einfacher als andere demokratische Akteure. Das Parlament ist für die AfD die Bühne für Tiktok. Das heißt, wenn sie eine Rede halten, dann produzieren sie die nicht für den parlamentarischen Diskurs, sondern sie produzieren ihn nur für Tiktok und Instagram Reels. Weil sie dort funktionieren. Das heißt, die Reden sind für das Netz geschrieben. Das machen die anderen Parteien zum Glück nicht so. Und vielleicht auch ein letzter Punkt: Die AfD hat maximale Ressourcen, die sie für Tiktok zur Verfügung stellt. Das ist bei den anderen Parteien jahrelang nicht der Fall gewesen. Das wird jetzt langsam aufgebaut, Menschen werden eingestellt, die auch ein Verständnis für den Raum Tiktok haben.

Wie sollen wir in Zukunft mit der AfD auf Tiktok umgehen?

Wir haben 22 Millionen Nutzer*innen auf Tiktok. Das ist schon eine entscheidende Plattform für politischen Diskurs. Die muss man ernst nehmen. Also als Politiker*innen hingehen, als Demokrat*innen, verstehen lernen, wie Tiktok funktioniert und eine Idee und ein Konzept entwickeln. Das, was ich in den letzten Monaten gesehen habe, das macht mich optimistisch. Aber was es jetzt nicht braucht, ist ein Abarbeiten an der AfD und das sehe ich leider sehr oft, sondern es braucht jetzt positive Emotionen. Mit einer positiven Idee davon, wie wir das Land aus den Krisen rausbekommen. Und da reicht es nicht, sich in jedem Video über die AfD lustig zu machen. Das ist für den Anfang vielleicht nicht schlecht, um ein bisschen Aufmerksamkeit zu generieren. Aber es braucht jetzt Ideen. Man muss die jungen Nutzer*innen ernstnehmen, deren Ängste und Probleme: Ausbildungsplätze, Wohnungsnot. Dafür Ideen entwickeln und ein politisches Angebot machen. Das ist jetzt die Herausforderung für demokratische Akteure, diesen Raum inhaltlich zu besetzen. Und das ist etwas, was die AfD immer getan hat. Sie versucht, sich immer über Themen der jungen Generation an sie zu wenden. Das sind nicht die Inhalte, die ich gut finde. Das sind auch nicht die Argumente, die ich gut finde, aber es ist inhaltsgetrieben und das muss jetzt von den anderen Parteien auch kommen.

 

 


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