Alaa Shehabi ist etwas außer Atem, als er an einem Freitagabend Mitte Juni auf der Sportanlage von Blau-Weiß Leipzig vom Fahrrad steigt. Nach der Arbeit war er kurz was essen, dann ging’s direkt weiter zum Fußballplatz, am Abend trainiert er die U19 des Vereins. Abschlusstraining vorm Stadtpokalfinale am nächsten Tag. Sein Team sei Favorit, erzählt der schmächtige 38-Jährige, als er im ersten Stock des Vereinshauses an einem langen Tisch Platz nimmt. Wenn er spricht, blickt Shehabi durch eine Fensterfront aufs Vereinsgelände, das seit 2016 auch ein bisschen zu seinem Zuhause geworden ist. Damals flieht er vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland.
Shehabi beginnt auf den Straßen von Damaskus mit dem Fußballspielen. Die meisten Kinder in Syrien spielen auch vor dem Krieg nicht in Vereinen. Als er neun ist, spricht ihn der Trainer eines Erstligisten an. »Er hat gesagt: Du hast Talent, du solltest nicht nur hier auf der Straße spielen.« Shehabis aus Palästina stammende Eltern achten penibel darauf, dass er die Schule nicht vernachlässigt, während er die Jugendmannschaften durchläuft: »Sie haben mich unterstützt, mir gesagt: Ja, wenn du möchtest, kannst du weiterspielen – aber sie waren niemals bei einem meiner Spiele«, erzählt Shehabi.
Mit 22 arbeitet er nach einem Sportstudium als Lehrer und spielt bei Al Majd Damaskus in der asiatischen Champions League sowie in der palästinensischen Nationalelf. Als er von seinem Verein verliehen werden soll, aber in der Nähe seiner Familie bleiben will, hört er auf mit dem Fußball, wird Trainer und studiert erneut, diesmal Medien. 2011 beginnt in Syrien der Krieg. In Damaskus gerät Shehabi in eine Belagerung des Assad-Regimes. Zwischen Hunger und IS-Kämpfern arbeitet er anonym als Journalist für einen arabischen Fernsehsender: »Ich musste zeigen, was wir erleben.« In den härtesten Monaten, als kaum Nahrung in die belagerte Zone kommt, magert Shehabi von 70 auf 45 Kilo ab. Weil er auch für eine Hilfsorganisation arbeitet, gerät er unter Terrorismusverdacht. Auch als er aus der Belagerung entkommt, sind er und seine Familie deshalb in Gefahr. »Ich wäre gern in Syrien geblieben, aber als auch meine Eltern bedroht wurden, ging es nicht mehr. Nach drei Jahren Belagerung war ich innerlich tot.«
Über die Türkei, das Mittelmeer und den Balkan kommt er bis nach Leipzig, wo er zwei Jahre in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnt. »Am Anfang habe ich gesagt: Ich werde hier nicht bleiben«, sagt Shehabi, der damals immer wieder Erfahrungen mit Rassismus macht, zum Beispiel bei der Wohnungssuche oder wenn sich Menschen in der Bahn von ihm weg setzen. Er habe oft gedacht: »Wenn ich hier nicht aufgenommen werden soll, dann bleibe ich genauso unter Druck wie schon in Syrien.« Doch Shehabi versucht anzukommen, ist immer unterwegs, um Menschen zu treffen, mit denen er Deutsch sprechen kann, und lernt dabei auch »gute Leute« kennen, wie er sagt. Unter anderem beim Verein United Leipzig F.C., der sich in einer Gemeinschaftsunterkunft in Grünau gründet und später mit anderen Vereinen zum FC Blau-Weiß fusioniert. Einige der jungen Geflüchteten bei United steigen Jahre später als A-Jugendliche in die Landesklasse auf. Ihr Trainer: Alaa Shehabi.
Der hat inzwischen seine B-Lizenz und ist seit Kurzem auch Sportvorstand bei Blau-Weiß: »Ich bin eigentlich Trainer und will nichts Administratives machen, aber der Verein braucht die Hilfe.« Um dieser Rolle gerecht zu werden, reduziert Shehabi seine Stunden als Physiotherapeut, als der er nach einer weiteren – an sein Sportstudium anknüpfenden – Ausbildung in Leipzig inzwischen arbeitet. »Das Ehrenamt ist natürlich sehr aufwendig. Aber ich bin halt ein Blau-Weißer.«