Drei Kreuze als Motto zum 30. Jubiläum der Leipziger Jahresausstellung können in einem Wahljahr schnell missdeutet werden. Der Vergleich mit den Wahlen hinkt allerdings gar nicht so sehr, denn Ministerpräsident Kretschmer ließ sich die Eröffnung am 21. Juni nicht nehmen, um vor den Kameras aufzutreten. Mit dem Land Sachsen hat die Jahresausstellung als Institution allerdings wenig zu tun, denn zu sehen sind hier vor allem Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus Leipzig. So auch die Werke, die bis zum nächsten Samstag in der Werkschauhalle auf der Spinnerei zu sehen sind.
Die Erste
Die erste Leipziger Jahresausstellung (LIA), die ein extra dafür gegründeter Verein organisierte, fand 1912 statt. Dazu organisierte sich die Bürgerschaft gemeinsam mit Vertretern der Kunstakademie und Akteuren des bürgerlichen Kunstfelds, um der zeitgenössischen Kunst in Leipzig einen temporären Auftritt zu schaffen. Im Vorwort des damaligen Katalogs heißt es: »So anerkannt Leipzigs Ruf als Musikstadt ist, so sehr hat sich unsere Stadt den Rang als Pflegerin der bildenden Künste jahrelang von anderen deutschen Städten ablaufen lassen.« Die erste Ausgabe zeigte im Städtischen Handelshof in der Grimmaischen Straße Aquarelle, Pastelle, Zeichnungen und Kleinplastiken und erhielt 7.500 Mark städtische Unterstützung.
Das Museum der bildenden Künste war zu der Zeit viel zu verschnarcht, um gute internationale, nationale oder lokale Ausstellungen zu organisieren. Der Leipziger Künstler Max Schwimmer hält 1920 in der Zeitschrift Der Drache fest: »Das Leipziger Museum ist der kläglichste Bilderhaufen Mitteleuropas. Immer an der Kunst vorbei. Man könnte vermuten, dass der Steinkasten am Augustusplatz aus kunstfeindlichen Absichten zusammengekehrt worden ist. Leipzig wollte eben auch ein Museum haben. Das Museum vermittelt nur Ewigkeitsschinken: Greiner, Calame, Lenbach, Keller, Habermann, Zuloaga, Grützner, Echtler und Genossen. Leipziger Kunst. Man friert bei diesen zwei Worten, weil ihr Gefolge die repräsentativen Gestalten eines Heroux, Seffner, Kolb, Brüning, Münch-Khe, Saudek, Erich Gruner und das Durchschnittsvölkchen der Akademie sind. ... Kunst oder Kitsch, diese Entscheidung ist wichtig, die lokale Orientierung ist dabei belanglos.«
Bei der LIA waren bis 1925 stattdessen zumindest Werke von Käthe Kollwitz, Vincent van Gogh, Pablo Picasso, Auguste Rodin, Lyonel Feininger, Wassiliy Kandinsky, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Kurt Schwitters neben den Leipziger Künstlerinnen wie die Bildhauerin Grete Tschaplowitz oder die Malerin Trude Zierfuss – oder Künstlern wie Oskar Behringer, Eugen Hamm, Kurt Massloff oder Felix Pfeifer zu sehen. Die Ausstellung fand von 1921 bis 1925 im Museum der bildenden Künste am damaligen Haus am Augustusplatz statt. Danach organisierte die Stadt ab 1931 eine Leipziger Kunstausstellung im neu errichteten Grassi-Museum am Johannisplatz
Reloaded
Nach der Wende gründetet sich der Verein Leipziger Jahresausstellung im Februar 1992 – unter anderem durch Christl Göthner, Reinhard Minkewitz, Otto Berndt Steffen, Peter Guth, Volker Zschäckel und Gudrun Petersdorff. Ein Jahr später gab es die erste Schau im Grassimuseum. Jedes Jahr zog sie in andere Räume – vom Elsterpark in den Handelshof, ins Westbad, ins Westwerk und nun seit einigen Jahren auf der Spinnerei in der Werkschauhalle. Das Ritual zur Ausstellung bleibt dabei gleich: Mitglieder des Vereins schlagen Kunstschaffende vor, die dann wieder durch eine Auswahlkommission für die Schau nominiert werden.
Die 30. Ausgabe
Zum Jubiläum sind 35 Positionen zu sehen. Ein Highlight am Eröffnungsabend bildet seit 2000 die Vergabe des Preises der LIA, der mit einer Einzelausstellung verbunden ist. Gewidmet wird er einer Persönlichkeit, die sich in der Stadt für die Kunst einsetzte – in diesem Jahr der Künstlerin Philippine Wolf-Arndt. Sie wurde 1849 in Frankfurt/ Main geboren und nahm mit 15 Jahren Zeichenunterricht bei der Malerin Caroline Zeifraß, studierte am Städtischen Kunstinstitut, ging dann nach München und wurde von Franz von Lenbach unterrichtet. Nach ihrer Heirat 1880 mit dem Kaufmann Anton Heinrich-Wolf zog sie nach Leipzig. Zu der Zeit war die hiesige Kunstakademie wie auch das Kunstfeld fest in Männerhand. Sie gründete 1896 gemeinsam mit Charlotte Windscheid den Künstlerinnenverein Leipzig und warb an der Akademie für ein Frauenstudium. 1919 zog sie nach München und starb 1940 in Paris. Sie wurde vor allem durch ihre Porträts bekannt wie etwa das von Henriette Goldschmidt, an einer Leipziger Jahresausstellung nahm Wolf-Arndt allerdings nie teil.
Vergeben wurde der diesjährige Preis an den Künstler Jirka Pfahl mit seiner Papier-Faltarbeit »Oschatz 2«. Die Auswahl begründete die Jury mit den Worten: »Wir haben uns für einen Künstler entschieden, dessen Arbeit wir durchaus in der Tradition der Region sehen. Seine Arbeiten weisen eine klare Formensprache auf. Die Papier-Faltarbeiten führen zu Assoziationen von architektonischen Elementen in der Tradition des Bauhauses. Die verwendeten Alltagsmaterialien, wie Glas, Papier und Polyuretanschaum, fügen sich zu einem Werk mit einer besonderen Aura.«
Neben Pfahl bietet die generationsübergreifende Schau – von Frank Ruddigkeit (Jahrgang 1939) über die Generation der 1950er Geborenen wie Gudrun Petersdorff bis zu den HGB-Absolventinnen und -Absolventen der letzten Jahre wie Viktoria Sophie Conzelmann. Diese Fülle bildet aktuell ein Alleinstellungsmerkmal in der Stadt, seitdem die Sparkasse ihren Kunsthallenbetrieb vor Jahren einstellte. Denn bis heute schafft es das Museum der bildenden Künste seit Jahren nicht, eine inhaltliche Ausstellung mit aktuellen Leipziger Arbeiten über mehrere Jahrgänge und den unterschiedlichen Kunstmedien zu präsentieren. Das wird wohl vorerst so bleiben: Denn wie erklärte Museumsdirektor Stefan Weppelmann bei einer Pressekonferenz im April sehr deutlich – es gehe im Museum nicht um klein-lokal, sondern um globale Kunst. Eine Denkweise, gegen die die LIA nun schon seit über einhundert Jahren arbeitet.
»30. Leipziger Jahresausstellung«, bis 13.7., Di-Sa 13-18 Uhr, Werkschauhalle, Leipziger Baumwollspinnerei