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Kultur

Buntes Vergängliches gegen das ewige Grau

Schablonengraffiti von Anfang der Neunziger sind in der Galerie im Neuen Augusteum zu sehen

  Buntes Vergängliches gegen das ewige Grau | Schablonengraffiti von Anfang der Neunziger sind in der Galerie im Neuen Augusteum zu sehen  Foto: Christiane Gundlach

»Linke raus! Sieg heil!« ist an der Wand in der Unterführung am Wilhelm-Leuschner-Platz zu lesen. Davor steht der Leipziger Künstler Jost Braun und stellt fest, dass einige der hier aufgehängten Schablonengraffiti von Dieben entwendet wurden. – Das Video aus dem Jahr 1991 gehört zu einem Workshop, der vom 6. bis 9. September desselben Jahres im Innenhof der Universität mit französischen und deutschen Künstlerinnen und Künstlern stattfand. Sie arbeiteten mit Schablonen und Farbdosen, die so entstehenden Arbeiten sollten das Grau der Architektur beleben und die erste europäische Galerie für diese Schablonenkunst – eine galerie éphémère – im Seminargebäude entstehen lassen. Die Idee dazu stammte von den beiden Kölnern Ralf Jesse und Hans Peter Dürhager – Rainer Behrens, von 1971 bis 2002 Leiter der Kustodie der Uni Leipzig, befand, da die »Uniarchitektur so ohne Charakter erschien – das wäre was für uns«. Dabei ging es nicht nur um Auseinandersetzung mit dem Betongrau der Uni, sondern auch mit dem städtischen Raum. Blek le Rat erklärt im eingangs erwähnten Video, dass der Anspruch der Künstlerinnen und Künstler darin bestehe, die Architektur zu verändern. Von ihm stammt die Arbeit »Madonna mit Kind«, die heute wieder an der Ecke Karl-Liebknecht-/Schletterstraße zu sehen ist – und unter Denkmalschutz steht. Dass es so weit kommen würde, ahnt damals niemand.

Der Einsatz von Schablonen für Kunst im öffentlichen Raum ist in Leipzig nicht erst zu Beginn der Neunziger nachweisbar. Es gab ihn – damals noch ohne Sprühdose – bereits während des Zweiten Weltkrieges: Alfred Frank (1884 geboren, ermordet am 12. Januar 1945) fertigte eine Schablone aus Blech an und schablonierte mit Stempelfarbe – angeblich auch an das Polizeipräsidium – einen Totenkopf mit Hakenkreuz und dem Schriftzug »Hunger!« auf der Stirn, unter dem Schädel die Worte: »Das alles verdanken wir dem Führer«. Im Bestand des Stadtgeschichtlichen Museums befindet sich die nach einem Foto rekonstruierte Schablone dazu – aber das nur am Rande zur historischen Einordnung, die es so in der Ausstellung »Streetwise – Frühe Schablonengraffiti an der Universität« nicht gibt.

Die Kustodie erinnert darin vielmehr mit zahlreichen Werken, Dokumentationen und Videos an die Aktion von 1991. Damals entstanden 101 Werke auf 167 Platten, zur Eröffnung der Ausstellung am 10. September 1991 wurden sie im Seminargebäude platziert – und blieben bis zu dessen Umbau im Jahr 2006.

Dazu gehören die Arbeiten mit dem grünen Männchen und dem roten Hut von Olivier und Text-Bild-Kombinationen von Miss.Tic, die Poesie in den öffentlichen Raum bringen und Abbildungen aus Frauenzeitschriften verfremden. Zu drei Paar Frauenbeinen schreibt Miss.Tic: »Auf improvisierten Pfaden entrinnen noch einige Tiger der Dressur des Schönheitskultes«. Weitere Tafeln zeigen (politische) Ikonen von Rosa Luxemburg und Mao über Charlie Chaplin bis zu J. D. Salinger und Pablo Neruda. Eine Vitrine in der Ausstellung zeigt zudem die Spuren der Schablonenkunst im öffentlichen Raum Leipzigs von 1991 – etwa am Wagner-Denkmal am Schwanenteich, am Schaufenster der ehemaligen Galerie Augenblick an der Ecke Beethoven-/Grassistraße (heute befindet sich dort ein asiatisches Restaurant).
Ebenfalls in der Schau zu sehen sind die Arbeiten der damals Beteiligten aus Leipzig. Jens Pfuhler, Ingo Regel, Gudrun Petersdorff und Akos Novaky verwendeten Schablonen, um Motive aus ihrer vorherigen künstlerischen Produktion zu gestalten. Von Novaky sind nun abstrakte Kompositionen zu sehen. Ingo Regel bezog sich auf sein »Knochen-Triptychon« aus dem Jahr 1989. Jens Pfuhler besitzt noch heute seine beiden Schablonen von 1991 und stellte sie nun der Ausstellung zur Verfügung. Sie zeigen ein Chamäleon. Das wandlungsfähige Tier versteht Pfuhler als »Verweis auf das Verhalten vieler Menschen, die sich und ihre Ansichten nach der Wende schnell und zu ihren eigenen Gunsten angepasst haben«, wie im Saaltext zu lesen ist.

> »Streetwise – Frühe Schablonengraffiti an der Universität«: Verlängerung bis 26.7., Galerie im Neuen Augusteum

> Rahmenprogramm: Kunstpädagogischer Workshop für alle Altersgruppen, 12.7., 11 Uhr, »Street Art Tour – Ist das Kunst oder soll das weg?«: 14.7., 14 Uhr, Treffpunkt Cineding, Tickets über Leipzig Details

> Finissage am 26.7.: 15 Uhr Kunstaktion im Innenhof Campus Augustusplatz: Schablonen-Graffiti mit Künstler:innen der Galerie Ephémère, 18 Uhr Hörsaal Felix Klein: Ausstellungsgespräch mit den Initiatoren und Künstler:innen der Aktion von 1991


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