Sie habe nicht überrascht, dass mehrere Männer versucht haben, ihr die Kandidatur auf der Landesliste und für das Direktmandat in Nordsachsen streitig zu machen. »Wenn man an einer Parität festhält und sagt, jeder zweite Platz geht an eine Frau, gibt es natürlich einige in der CDU, die das anders sehen«, erklärt Tina Trompter. Dann grinst sie. »Mich hat eher überrascht, dass mein Ergebnis schon im ersten Wahlgang gegen zwei andere Kandidaten gereicht hat.« Die 23-Jährige ist nun die jüngste Kandidatin der sächsischen Union für die Landtagswahl.
Es ist heiß in Sachsen an diesem Donnerstag im Juli. Die Luft ist dick und schwül, das nächste Gewitter lässt sich schon erahnen. Trompter sitzt auf der Couch eines Bäckercafés in Schkeuditz, vor sich einen Milchkaffee. Sie sei jung, sagt Trompter, und bringe trotzdem Erfahrung mit. »Ich war bei der Landtagswahl 2019 dabei, habe zum Teil auch in Dresden gearbeitet. Ich weiß, wie Politik funktioniert, und bin vernetzt.«
Obwohl die CDU aktuell wie 2019 in Umfragen bei etwa 30 Prozent liegt, hat sich die politische Ausgangslage in Sachsen verändert. Die SPD lag damals bei knapp unter 10 Prozent, die Grünen bei etwa 13 Prozent und damit nur knapp hinter der Linken mit 16 Prozent. Bei der Wahl bekamen alle vier Parteien geringere Stimmanteile. Anders war es bei der AfD: Statt der 24,5 Prozent aus den Umfragen stimmten 27,5 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die extrem Rechten.
Dieses Jahr zum Wahlkampfbeginn müssen sich SPD, Linke und Grüne hingegen Sorgen darum machen, überhaupt in den Landtag einzuziehen: Alle erhielten Umfragewerte von um die fünf Prozent. Die AfD verlor zwar in den Umfragen seit Anfang des Jahres etwa fünf Prozentpunkte, liegt aber weiterhin bei 30 Prozent. Daneben ist noch das Bündnis Sahra Wagenknecht entstanden, das zuletzt 15 Prozent bekam.
Mit Blick auf die Ergebnisse der Kommunal- und Europawahl im Juni scheint der CDU der Einzug ins Parlament sicher, als einziger Partei der Landesregierung. Der sächsische AfD-Chef Jörg Urban betont derweil immer wieder, seine Partei wolle weiter zulegen, um zu regieren.
Damit kommt der CDU eine besondere Verantwortung zu: die Demokratie vor der AfD zu schützen. Aber kommt die sächsische Union dem nach – oder kooperiert sie am Ende sogar mit den extremen Rechten? Dass die sogenannte Brandmauer bröckelt, befürchten viele nicht erst, seitdem die CDU-Fraktion in Dresden Anfang des Jahres einem AfD-Antrag auf eine Bezahlkarte für Geflüchtete zustimmte.
Die CDU-Spitze in Sachsen wiederholt zwar seit Jahren, sie werde nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Gleichzeitig ähneln die Forderungen des aktuellen sächsischen Ministerpräsidenten und erneuten CDU-Spitzenkandidaten Michael Kretschmer denen der AfD. Er setzt sich etwa für mehr Abschiebungen ein, auch nach Afghanistan. Oder er will beim Bürgergeld sparen, weiter über die Energie aus Atomkraftwerken sprechen und die Gaspipeline Nord-Stream 1 reparieren.
Ein entscheidender Faktor wird, wer für die CDU nach der Wahl in den Landtag einzieht und wer nicht. Wie mächtig die Fraktionsmitglieder sein können, zeigte sich im März, als vier CDUler die geplante Verfassungsänderung der Regierungskoalition kippten – ursprünglich ein Wahlversprechen Kretschmers.
Im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren wird sich die Fraktion aber deutlich verändern. Einige Mitglieder treten nicht mehr an, etwa der Landtagspräsident Matthias Rößler und die Landtagsvizepräsidentin Andrea Dombois oder der frühere Innenminister Roland Wöller. »Zeit für neue Herausforderungen«, begründete Wöller.
Andere bekamen hingegen keine Kandidatur mehr bei der CDU, wie der Landtagsabgeordnete Stephan Hösl. Das Mitglied der Heimatunion wechselte offenbar aus Frust darüber zu den Freien Wählern.
Zudem dürfte sich das Selbstverständnis der Union verändern: 2019 zogen 41 der 45 CDU-Abgeordneten per Direktmandat in den Landtag. Dieses Jahr droht der CDU, dass sie viele dieser Direktmandate an die AfD verliert. Die Kommunal- und Europawahlen haben gezeigt, wie blau das einst schwarze Sachsen mittlerweile ist. Für einige CDU-Kandidierende eine ganz neue Erfahrung: Sie müssen tatsächlich Wahlkampf machen. Dadurch gewinnt die CDU-Liste an Bedeutung – mehr Kandidierende werden über sie in den Landtag einziehen.
Doch das beunruhigt nicht alle. Der Vorsitzende der CDU in Leipzig, Andreas Nowak, gibt sich optimistisch. Auf dem Weg in den Urlaub sagt er dem kreuzer am Telefon, das gute Ergebnis der Kommunalwahl führe er auf die eigene Kampagne zurück. »Natürlich hat die Linke gerade keine Konjunktur, das spielt uns in die Karten. Aber hätten wir hier nicht losgelegt, hätte es uns genauso erwischt«, glaubt Nowak. Immer wieder bricht die Verbindung ab, während er bei Meißen durch ländliches sächsisches Gebiet fährt.
Die Direktmandate und die Liste hätten sich bei den Wahlen eh ständig verändert, erzählt Nowak. Er war schon 1999 dabei, als die CDU unter Kurt Biedenkopf 56,9 Prozent bekam. Abgesehen von der CSU in Bayern konnte kein anderer Landesverband der Union so ein hohes Ergebnis erzielen. »Da haben wir alle 60 Direktmandate gewonnen und über die Liste sind noch weitere 16 Leute in den Landtag gezogen«, berichtet Nowak. Bei den drei Landtagswahlen danach war die CDU nur über Direktmandate im Parlament vertreten. Erst 2019 kamen wieder vier Konservative über die Liste.
Der Leipziger hofft, dass die CDU auch in diesem Jahr versucht, so viele Direktmandate wie möglich zu ergattern. Trotzdem waren es vor allem Mitglieder aus seinem Stadtverband, die bei der Listenaufstellung im Januar mit sogenannten Kampfkandidaturen versuchten, auf weiter vorne liegende Plätze zu kommen.
Auffällig dabei: Erst wurde die 1994 geborene Bautznerin Elaine Jentsch angegriffen, dann die 34-jährige Jessica Steiner und dann Tina Trompter. Alle drei treten auch per Direktmandat an und würden neu in den Landtag einziehen. Die Freie Presse nannte das »plumpe Attacken auf vermeintlich unerfahrene junge Frauen«. Allerdings hatte keine davon Erfolg.
Was würde sich durch die neuen Gesichter bei der konservativen CDU ändern? Tina Trompter rührt mit dem Löffel in ihrem Milchkaffee und überlegt kurz. »Ich verwende das Wort konservativ nicht so häufig.« Bei einigen Personen sei der Begriff negativ besetzt. »Aber konservativ heißt für mich: das Rad nicht neu erfinden, sondern es weiterentwickeln.« Als junge Frau bringe sie eine neue Perspektive in den Landtag. Genau das brauche ihr Wahlkreis. »Wir haben hier den Flughafen, wir haben das Großforschungszentrum. Für mich ist es eine Zukunftsregion. Als junger Mensch habe ich darauf eine andere Perspektive. Was in 50 Jahren ist, werde ich wahrscheinlich noch miterleben.«
Als große Herausforderung für die Landtagswahl sieht sie den Themenfokus. »Wir müssen den Menschen klarmachen, dass es eine Sachsenwahl ist, bei der es nicht um die Bundesregierung geht.« Allerdings wirbt auch Trompter online für eine bundesweite Obergrenze von 60.000 Geflüchteten pro Jahr. Zur Einordnung: Vergangenes Jahr stellten etwa 350.000 Menschen einen Asylantrag in Deutschland.
Neu in den Landtag könnte auch Sven Eppinger einziehen, Chef der Heimatunion. Als ihn die CDU im vergangenen Jahr in Meißen als Direktkandidaten aufstellte, bezeichnete ihn die rechte Boulevardzeitung Bild als »AfD-Versteher«. Eppinger forderte unter anderem, die CDU Sachsen solle aus der Koalition mit den Grünen austreten und als Minderheit regieren. Dann wäre eine Tolerierung durch die AfD möglich gewesen. Außerdem ging von Eppingers Konto 2016 eine Spende an die AfD. Dem Dresdner News-Portal tag24 erklärte er, seine Frau habe das Geld aus Mitleid mit Frauke Petry überwiesen, die damals durch den rechtsextremen Flügel der Partei in Bedrängnis geriet. Dazu sagte Eppinger: »Frauen sind eben emotional, Männer rational.«
Doch selbst Eppinger sagt, dass er die Abgrenzung zur AfD als Vorsitzender der Heimatunion befürwortet. Deren Ziel sei, die Wählerinnen und Wähler von der AfD fernzuhalten. Der Verein versucht, rechte Themen in der CDU zu setzen, und war ursprünglich Teil der Werteunion. 2022 änderte der sächsische Ableger nach internem Streit seinen Namen.
Tina Trompter möchte eigentlich nicht über die AfD sprechen. Doch auch sie kann der Partei im Wahlkampf nicht aus dem Weg gehen. Am Abend vor dem Gespräch mit dem kreuzer hat sie Plakate aufgehängt. Dabei sei sie von Jugendlichen angesprochen worden. »Sie sagten, dass die Plakate gleich wieder abgerissen werden. Nur die AfD sei ganz toll.«
Trompter ist sich jedoch sicher: Die CDU-Fraktion werde nach der Wahl nicht in Richtung AfD kippen. »Dafür haben wir Michael Kretschmer, einen Ministerpräsidenten, der eine klare Position hat. Er ist die zentrale Zugkraft.«