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Politik

Klopf, klopf! Hier ist Luisa

Warum machen Parteien Haustürwahlkampf? An zwei Tagen unterwegs im Leipziger Osten 

  Klopf, klopf! Hier ist Luisa | Warum machen Parteien Haustürwahlkampf? An zwei Tagen unterwegs im Leipziger Osten   Foto: Johanna Bernklau

Türklingeln, Stille. Türklingeln, Hundebellen. Türklingeln, Stille. Luisa steht mit Klemmbrett und roter Linken-Weste auf der Eisenbahnstraße. In ihrem Jutebeutel trägt sie Infomaterial in verschiedenen Sprachen mit sich. Sie will mit den Menschen im Viertel sprechen. Nur: Kaum jemand macht auf. »Am Anfang hatte ich mega Angst, an fremden Türen zu klingeln«, sagt Luisa. Da hat sie bei großen Häusern immer von oben angefangen zu klingeln, »damit der Rückzug leichter fällt.« Heute fängt Luisa im Erdgeschoss an. Die Angst ist mit jeder Tür weniger geworden.

Luisa ist 31 Jahre alt und eigentlich Ärztin. Ihren Job hat sie aufgegeben, um politisch aktiv sein zu können. Statt im Krankenhaus arbeitet sie an den Haustüren Leipzigs: Sie macht Haustürwahlkampf für den Direktkandidaten der Linken im Wahlkreis 25, Nam Duy Nguyen. Der 28-Jährige will im September für die Stadtteile Zentrum, Zentrum Süd, West und Ost, Neustadt-Neuschönefeld und Reudnitz-Thonberg in den Landtag einziehhen. Geld bekommt Luisa für ihre Wahlkampfhilfe nicht, sie macht das ehrenamtlich.

»Ich weiß, dass wir was verändern können. Deswegen mache ich das«

Luisas Motivation für ihr Engagement an Leipzigs Haustüren: Sie möchte die AfD schwächen. Je weniger Sitze die AfD bekommt, desto besser, findet sie. »Mir macht es Angst, dass da, wo die AfD stark geworden ist, mehr Gewalttaten stattfinden, zum Beispiel gegen Geflüchtete«, sagt sie. Ausschlaggebend für ihr Engagement sei aber die Erkenntnis gewesen, dass an jedem Sitz im Parlament viel Geld hänge. Neben ihrem Gehalt steht den Abgeordneten nämlich Geld für Angestellte und eine sogenannte »Kostenpauschale« zu. Damit können sie die Kosten zur Ausübung ihres Mandats decken, wie zum Beispiel für ihr Büro oder Reisen. Dieses Geld sollte statt der der AfD lieber die Linke bekommen, findet Luisa.

Luisa trat daher Anfang des Jahres in die Linke ein und engagiert sich jetzt im Haustürwahlkampf, sie gibt Workshops, leitet neue Mitglieder an und zieht selber von Tür zu Tür. »Ich weiß, dass wir was verändern können. Deswegen mache ich das«, sagt sie im Gespräch.

Die Linke ist nicht als einzige Partei auf Leipzigs Straßen unterwegs. Auch Grüne und CDU erzählen auf Anfrage, dass sie Haustürwahlkampf betreiben. Das Leipziger BSW verzichtet auf Haustürwahlkampf, heißt es per Mail. So wie die SPD, sagt deren Pressesprecherin Agnes Niemann.

38.000 Türen, 5.000 Gespräche

So aktiv wie die Linke ist gerade jedoch keine Partei an den Haustüren. Für sie geht es aber auch um alles: Bei Umfragen der Meinungsforschungsinstitute zur Landtagswahl kam die Linke in den letzten Monaten auf drei bis fünf Prozent. Sollte die Linke an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, würde sie nur erneut in den Landtag einziehen, wenn sie mindestens zwei Direktmandate gewinnt. Die besten Chancen auf die dafür notwendigen Erststimmen haben die Linken in den Wahlkreisen von Nguyen, Juliane Nagel im Süden und Marco Böhme im Westen ausgemacht.

Dementsprechend ambitioniert ist die Partei auf der Straße unterwegs: Bis zur Landtagswahl will die Partei an allen Haustüren im Wahlkreis 25 geklingelt haben, erklärt Marlen Borchardt, Pressesprecherin von Nguyen. Davon hätten sie bereits 38.000 geschafft, woraus sich 5.000 Gespräche ergeben hätten. Marlen Borchardt glaubt, dass das schon etwa 80 Prozent des gesamten Wahlkreises ist. Die Partei hat aufgerüstet: 150 Leute seien für die Linke im Haustürwahlkampf unterwegs, um Nguyen zu werben. Luisa ist eine von ihnen. 

Auf der Eisenbahnstraße öffnet sich vor Luisa endlich eine Tür. Ein Mann und eine Frau blicken skeptisch aus dem schmalen Türspalt. Zwei kleine Hunde drängeln hinter ihnen. »Wir wählen gar nicht«, sagt der Mann sofort. »Wir wollen gar nicht wählen gehen«, fügt die Frau hinzu. Sie hätten das Gefühl, es komme eh immer das gleiche bei rum. Außerdem seien sie erst ganz frisch hergezogen, aus Mockau kämen sie ursprünglich. »Ich wohne auch noch nicht so lange hier, trotzdem ist es ja auch unser Viertel«, sagt Luisa.

Drogen, Betrüger, Mobbing

Luisa stellt sich vor. Sie sei für die Linke auf der Suche nach Themen für die Landtagswahl. Auch in den Wochen danach sind die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer noch auf Themensuche im Viertel unterwegs. Auf einer Parteiveranstaltung Ende Juni wurden Ideen vorgestellt und ein Fokus für den Wahlkampf festgelegt.

Die beiden überlegen kurz. »Die Drogen müssen abgeschafft werden«, sagt der Mann dann. Drogen stören ihn, wenn er mit seinem Hund durch den Park läuft. Luisa kramt ihren Kugelschreiber aus der Tasche und schreibt mit. Das Gespräch nimmt Fahrt auf. Auch wenn sie nicht wählen möchten, die Anliegen der beiden sind politisch. Sie sprechen von Betrügern, die schon mal vor ihrer Haustür standen. In ihrer Arbeit habe die Frau Mobbingerfahrungen gemacht. Dem Mann falle es schwer, eine Arbeit zu finden.  

Luisa spricht ihn auf steigende Mieten an. »Ich frage mich, wer das bezahlen soll, wenn das so weitergeht«, sagt der Mann. Er klingt aufgebracht dabei. Auch die Lebensmittel würden immer teurer. »Die Cola kostet schon sechs Euro im Sechserpack«, fügt die Frau hinzu.

Blicke hinter die Wohnungstür

Mittlerweile steht die Wohnungstür weit offen. Die zwei kleinen Hunde kommen herausgerannt und springen an Luisa hoch. »Die sind ja süß!« Luisa gibt dem Paar noch Werbematerial von der Linken in die Hand und erklärt ihnen, mit welcher Straßenbahn sie zur anstehenden Wahlkampfveranstaltung kommen können. Sie würden kommen, versprechen die beiden. Dann verabschiedet sie sich voneinander.

Auf dem Weg zur nächsten Wohnung erzählt Luisa, es sei ihr wichtig, dass die Gespräche auf Augenhöhe stattfinden. Wenn sich eine Haustür öffnet, bekommt Luisa Einblicke in Leben, die Fremden sonst verschlossen bleiben. Krankheiten, Schicksalsschläge, Verzweiflung. Eine ältere Frau, die ihr im gleichen Haus die Tür öffnet, sagt, ihr Mann sei aktuell im Krankenhaus. Er müsse schon lange auf eine Behandlung warten. Luisa erzählt von ihrem Vater, der in einer ähnlichen Situation war. »Sonst habe ich das Gefühl, dass die Leute mir mega krasse Sachen über sich erzählen und sich voll verletzlich machen, während ich so ein Programm abspule«, sagt sie.

An den Türen trifft Luisa viele Menschen, die ihr sonst im Leben nicht so oft über den Weg laufen, sagt sie. Sie bewege sich auch sonst in einem politischen Umfeld, mit dem sie sich auch schon im Klima- und Umweltschutz engagiert hätte. Ihr sei es wichtig gewesen, aus ihrer »Bubble« rauszukommen. Viele der Menschen, die sie jetzt trifft, seien nicht so mobil und könnten deswegen am öffentlichen Leben nicht gut teilnehmen. Durch den Haustürwahlkampf sei es möglich zu erfahren, »was los ist im Viertel und was die Menschen beschäftigt«, sagt Marlen Borchard aus Nguyens Büro. »Natürlich ändern wir als Linke nicht unser Wahlprogramm. Aber um in den Forderungen einen Fokus zu wählen, waren die Gespräche für uns sehr ergiebig«, fügt sie hinzu.

»Und tschüss!«, eine Frau haut die Wohnungstür direkt vor Luisas Nase zu

Haustürwahlkampf zeichne sich dadurch aus, dass es einen »aufsuchenden Charakter« hat, sagt Marius Minas. Er ist Politikwissenschaftler an der Uni Trier und hat zu dem Thema geforscht. Politiker und Politikerinnen könnten dadurch »Nähe und Offenheit für Forderungen« zeigen. »Im besten Fall möchten die Politiker auch von den Erwartungen an die Politik lernen.«

Einige Wochen später ist Luisa erneut unterwegs, dieses Mal in Reudnitz in der Nähe vom Cäcilienpark. Hier stehen kleine Plattenbauten, die hat sie sich für die heutige Tour vorgenommen. An 24 Türen klingelt sie. Die meisten davon bleiben verschlossen. Manche verriegeln sogar ihre Tür noch extra, dann hört Luisa das Schloss im Treppenhaus klicken. Selbst wenn die Tür aufgeht, ist die Reaktion nicht immer freundlich: »Und tschüss!«, eine Frau haut die Wohnungstür direkt vor Luisas Nase zu, es knallt. Luisa kann sich ein leises Kichern nicht verkneifen und zeigt auf die Fußmatte. »Willkommen in der Dunkelheit« steht da drauf. Die Fußmatte ist Merchandise von der Band Rammstein. Sie habe erst überlegt, ob sie an dieser Tür überhaupt klingeln soll.

Irgendwann hat Luisa dann doch Glück, eine Frau macht auf und schickt sie nicht direkt weg. »Ich wähle definitiv keine Linken«, sagt die Frau allerdings. Sie könne sich insgesamt gar keine gute Landesregierung vorstellen, zu viele Politiker und Politikerinnen würden alles falsch machen. Dennoch werde sie im September wählen. Wen? Das will sie nicht sagen. Keine Chance für Luisa. Auch als sich herausstellt, dass die Frau sich höhere Löhne für ihre Arbeit wünscht, bleibt das Gespräch stockend. Als die Tür wieder zufällt, ist Luisa frustriert. Sie vermutet, dass die Frau die AfD wählt. 

Menschen gewinnen ihre politischen Ansichten in ihrem direkten Umfeld

Stellt sich in einem Gespräch heraus, dass die Person die AfD wählt oder ein rechtsextremes Weltbild hat, verabschiedet sich Luisa meist schnell. Solche Gespräche führten zu nichts und seien sehr zeitintensiv, weiß sie aus Erfahrung. Marius Minas von der Uni Trier sieht das ähnlich: »Haustürwahlkampf hat eine ganz konkrete Zielgruppe und ist nicht das Mittel der Überzeugung.« Haustürwahlkampf richte sich an die eigene Wählerklientel. Auch Wechselwähler und Nichtwählerinnen, »die einem irgendwie zugeneigt sind«, könne man so erreichen. Jemanden zu überzeugen, der eigentlich eine andere Partei wählen möchte, gelinge an der Haustür meist nicht. 

Am Telefon geben die Mitarbeitenden von Grünen und CDU Einblick in ihre Wahlkämpfe. Martin Meißner ist Grünen Stadtrat und Mitarbeiter der Landtagsabgeordneten Christin Melcher, die im Wahlkreis 25 gegen Nam Duy Nguyen antritt. Er sagt, dass sie Haustürwahlkampf zur Aktivierung der eigenen Basis anwenden. Lange Gespräche führen sie dabei eigentlich nie. Die Leipziger CDU hofft hingegen, durch den Haustürwahlkampf auch die politische Meinungsbildung der Menschen anzuregen, sagt Pressesprecher Julian Schröder. Immer mehr verschiebe diese sich in die Online-Welt. Den Haustürwahlkampf sehe die CDU als eine Möglichkeit, offline neuen Leuten zu begegnen. Die CDU sei bisher in Einfamilien- und Kleingartensiedlungen unterwegs gewesen.

Neben der direkten Mobilisierung an der Tür wirke Haustürwahlkampf auch indirekt über den sogenannten Multiplikatoreneffekt, erklärt Marius Minas. »Wir gehen davon aus, dass Menschen ihre politischen Ansichten in ihrem direkten Umfeld gewinnen«, fügt er hinzu. Machen Menschen an der Haustür eine gute Erfahrung, tragen sie das in ihr Umfeld weiter. 

Luisa hat bald alle 24 Haustüren durch, der Tag ist fast geschafft. Bisher konnte sie von niemandem eine Wahlzusage bekommen. Luisa klingelt, die Tür wird geöffnet, sie stellt sich vor und dann die Themen, mit denen die Linke wirbt: Mieten, Lebensmittelkosten und Nahverkehr. »Was denken Sie zu den drei Themen?«, fragt sie ihr Gegenüber, einen Mann in seinen Dreißigern. Er erzählt, dass er mit der Miete noch Glück habe. Für ihn sei diese noch nicht so teuer. Aber die gestiegenen Preise machten auch ihm zu schaffen. Als Selbständiger merke er nun, dass er länger arbeiten müsse, um über die Runden zu kommen. »Wären Sie denn bereit unseren Kandidaten zu wählen, damit diese Themen in den Landtag kommen?«, fragt Luisa. Der Mann fängt an zu grinsen und sagt: »Ich bin tatsächlich letzte Woche in die Linke eingetreten.« Sahra Wagenknechts Parteimitgliedschaft habe ihn davor lange davon abgehalten. Luisa freut sich, einen Parteigenossen gefunden zu haben. Sie wechseln zum Du und tauschen Nummern aus. Luisa lädt ihn zu einem Workshop ein, sie hofft auf Verstärkung auf der Straße. 

Mitarbeit: Johanna Bernklau und Jonas Enke


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