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Politik

»Prekäre, teils rechtswidrige Arbeitsbedingungen«

Auszubildende protestieren in Leipzig gegen die Arbeitsbedingungen im Handwerk

  »Prekäre, teils rechtswidrige Arbeitsbedingungen« | Auszubildende protestieren in Leipzig gegen die Arbeitsbedingungen im Handwerk  Foto: Pixabay

Am Samstag protestieren Auszubildende in Leipzig gegen die Arbeitsbedingungen im Handwerk und fordern Verbesserungen von den Handwerkskammern und der Politik. Anlässlich des deutschlandweiten Tags des Handwerks am Samstag veröffentlicht das 2022 gegründete »Azubihilfe Netzwerk« einen offenen Brief, adressiert an die Handwerkskammern und politischen Verantwortlichen. Das Schreiben soll am Samstagvormittag unter anderem auch vor der Leipziger Handwerkskammer in der Dresdner Straße vorgelesen und anschließend an die Institution übergeben werden.

Welche Kritikpunkte und Forderungen enthält der offene Brief?

Die vorherrschenden Strukturen in Handwerksberufen führten zu einem Umgang mit den Auszubildenden, den das Azubihilfe Netzwerk als Missstand betrachtet. Neben der »fehlender Wertschätzung« für die Azubis und dem »unfreundlichen Arbeitsklima« in den Betrieben kritisieren die Aktivistinnen und Aktivisten auch die Bezahlung der Auszubildenden.

Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2023 gehen die Ausbildungsvergütungen je nach Branche und Region stark auseinander. Die gesetzliche Mindestausbildungsvergütung lag damals bei 620 Euro im ersten Ausbildungsjahr, 2024 stieg sie auf 649 Euro an. Diese wird in Berufen gezahlt, für die es keine Tarifverträge gibt. Entsprechend liegen die tariflich vereinbarten Vergütungen höher. Mit 1.580 Euro im vierten Ausbildungsjahr verdienten die Azubis im westdeutschen Bauhauptgewerbe 2023 laut Stiftung am meisten.

»Trotz eines erheblichen Aufholprozesses ist das Niveau der Ausbildungsvergütung in einigen Tarifbranchen nach wie vor sehr niedrig«, erklärte Thorsten Schulten, Leiter des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts, in einer Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung. »Hinzu kommen die Branchen ohne Tarifvertrag, in denen Auszubildende lediglich Anspruch auf die gesetzliche Mindestausbildungsvergütung haben. Um die Attraktivität bestimmter Ausbildungsberufe zu erhöhen, ist deshalb eine Stärkung der Tarifbindung dringend geboten.« 

Sie selbst habe in ihrer Tischlerlehre nur etwa drei Euro pro Arbeitsstunde verdient, sagt Yantin Fleischhauer, Sprecherin des Netzwerks, im Gespräch mit dem kreuzer.  Ohne familiäre Unterstützung oder einen Nebenjob müssten viele Auszubildende so unterhalb der Armutsgrenze leben. Laut Statistischem Bundesamt galten 2023 Alleinlebende in Deutschland als armutsgefährdet, die weniger als 1.314 Euro im Monat verdienten. Insgesamt mahnt das Azubihilfe Netzwerk »prekäre, teils rechtswidrige Arbeitsbedingungen« in den Gewerken und Betrieben an – die bestehenden Regelungen zum Schutz von Azubis würden dabei nicht eingehalten und kontrolliert.

Neben der Beseitigung der ausgemachten Missstände fordert das Azubihilfe Netzwerk in seinem offenen Brief die Einrichtung »einer unabhängigen Beratungsstelle für Auszubildende im Handwerk«. Die existierenden Beratungsinstitutionen der Handwerkskammern verträten oftmals die Ausbildungsbetriebe, sagt Yantin Fleischhauer – eine azubigerechte Beratung und Unterstützung sei daher nicht gewährleistet. Das Azubihilfe Netzwerk selbst sei ein praktisches Beispiel für eine solche geforderte unabhängige Instanz. »Unsere Arbeit verläuft momentan allerdings noch ehrenamtlich und wir fordern, dass wir dafür bezahlt werden oder eine entsprechende Alternative eingerichtet wird«, sagt Fleischhauer.

Wer ist das Azubihilfe Netzwerk?

Der bundesweite und gewerkeübergreifende Zusammenschluss aus ehemaligen und aktuellen Auszubildenden versteht sich als Anlaufstelle für Azubis, die sich während ihrer Ausbildung mit Problemen konfrontiert sehen. Die Aktivistinnen und Aktivisten erlebten selbst »sehr viel Diskriminierung und Sexismus« im Rahmen ihrer Lehre, sagt Fleischhauer. Deshalb wolle man insbesondere Auszubildenden eine unabhängige Beratung und Unterstützung anbieten, die »marginalisierten Gruppen in den Handwerksberufen« angehören: BIPoC- und FLINTA*-Personen sowie Menschen mit Behinderung. Die 2022 gegründete Initiative verfüge mittlerweile über 150 Mitarbeitende im gesamten Bundesgebiet und will als externe Kraft die »veralteten Strukturen im Handwerk« aufbrechen – »damit wir jungen Menschen nicht mehr davon abraten müssen, eine Ausbildung im Handwerk anzufangen«, erklärt Fleischhauer.

Wie soll die Aktion des Azubihilfe Netzwerks in Leipzig aussehen?

Am Samstag um 10 Uhr soll der offene Brief des Azubihilfe vor der Leipziger Handwerkskammer verlesen und anschließend in den Briefkasten des Hauses in der Dresdner Straße eingeworfen werden. Yantin Fleischhauer rechnet mit bis zu 200 Teilnehmenden bei der Kundgebung. Von der Leipziger Handwerkskammer aus soll der Demonstrationszug zum Markplatz ziehen, wo die Handwerkskammer ihrerseits eine Veranstaltung zum Tag des Handwerks abhält. Netzwerk Sprecherin Fleischhauer stellt klar: »Letztlich sind wir auf einen offenen Dialog mit den Verantwortlichen aus. Bis jetzt haben wir allerdings das Gefühl, dass man unsere Forderungen ohne Konfrontation nicht ernst nimmt.«

 

 


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