Von Juni 1944 bis zur Befreiung Leipzigs im April 1945 befand sich in der Kamenzer Straße 10 und 12 das größte Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Die 5000 Frauen, die auf dem Gelände inhaftiert waren, mussten für die HASAG, dem ehemals größten Rüstungsbetrieb Sachsens, Munition und Granaten herstellen. »Heute gehört der Komplex einem Neonazi«, sagt Juliane Nagel (Linke). »Des Öfteren fanden hier Rechtsrockkonzerte und Treffen von rechten Rockergruppen statt, auch eine extrem rechte Kampfsportgruppe nutzte den Ort als Trainingszentrum.«
Auch mit der Einrichtung einer offiziellen Gedenktafel 2022 sei ein Grundproblem geblieben: »Überlebende des Naziterrors und der Zwangsarbeit können den Ort ihrer Pein nicht besuchen, Erinnerungs- und Bildungsarbeit wird verhindert – aktiv vom Eigentümer.« Deshalb reichte die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig Anfang 2022 eine Petition ein, in der unter anderem der Ankauf des Geländes durch die Stadt gefordert wurde – erst zwei Jahre später liegt diese nun dem Stadtrat zur Abstimmung vor. Linke und CDU haben Änderungsanträge eingebracht.
Ein Ankauf der Kamenzer Straße 12 sei bisher an den überzogenen finanziellen Vorstellungen des Eigentümers gescheitert, berichtet Nagel im Stadtrat. Trotzdem solle die Stadt, die die Ankaufverhandlungen gern für beendet erklären würde, weiter in Gesprächen bleiben. Auch weil eine Begehung des Gebäudes bisher nicht stattgefunden habe, um zu bewerten, ob es unter Denkmalschutz gestellt werden könne. »Und das liegt nicht beim Kulturdezernat«, sagt Nagel in Richtung Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Linke), um sich schnell zu Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne) umzudrehen, »sondern beim Baudezernat. Da ist das verschlafen worden.«
»Es hat von der Denkmalpflege sowohl im Landesamt als auch auf unserer Seite eine klare Einschätzung gegeben, dass dieses gesamte Areal so überformt ist, dass eine Unterschutzstellung nicht infrage kommt«, antwortet Dienberg, der aber eine Begehung der Innenräume in Aussicht stellt.
»Schade ist, dass dieses Objekt derzeit nicht genutzt werden kann zum Gedenken an diese Taten, die wir damals als Gesellschaft dort getan haben«, sagt Falk Dossin (CDU), dessen Fraktion den Änderungsantrag der Linke größtenteils mitträgt. Er findet es beschämend, unter welchen Bedingungen die Gedenkstätte Zwangsarbeit, die auf dem ehemaligen Gelände des HASAG sitzt, ihre Arbeit machen müsse. »Diese Gedenkstätte sitzt im Pförtnerhäuschen des Umweltforschungszentrums – ich wiederhole: im Pförtnerhäuschen.“
Die CDU spricht sich für ein Vorkaufsrecht unter Denkmal- und Erinnerungsgesichtspunkten für die Kamenzer Straße 12 aus. »Das ist natürlich in Deutschland ein schweres Ding – und dann auch noch von der CDU«, sagt Dossin. »Aber auch wir müssen abwägen zwischen dem Thema Gedenken und Mahnen und dem Thema Eigentum.«
Somit besteht am Ende Einigkeit im Rat, die nur von Gegenstimmen und Enthaltungen aus Reihen der AfD und der Freien Sachsen gestört wird: Das Thema Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg soll im Rahmen der Schwerpunktsetzung des Konzepts Erinnerungskultur behandelt und ein Vorkaufsrecht für die Kamenzer Straße 12 geprüft werden. Eine erneute Begehung der Innenräume soll zudem Teil eines bauhistorischen Gutachtens werden, das 2025 zur erneuten Prüfung des Denkmalstatus erstellt werden soll. Außerdem soll ein Alternativstandort der Gedenkstätte für Zwangsarbeit geprüft werden – dagegen hatte sich die CDU erfolglos ausgesprochen, weil sie nur einen Ort nahe der Kamenzer Straße 12 für angemessen hält.