»Institut für Hebammenwissenschaft und interprofessionelle Perinatalmedizin« lautet der ganze Name der neuen Einrichtung. Sie ist an der medizinischen Fakultät der Uni angesiedelt, obwohl Schwangerschaften keine Krankheit sind. Was es mit dem Institut auf sich hat und was die Hebammenkunst ausmacht, erklären Institutsleiterin Henrike Todorow und Dozentin Claudia Löser, die von sich sagen: »Vom Herzen sind wir Hebammen, auch wenn wir noch etwas anderes studiert haben.«
Welche Funktion hat das Institut?
TODOROW: Es gab bisher nur den Studiengang Hebammenkunde, der an der medizinischen Fakultät angesiedelt ist und 2021 startete. Das Institut soll einen Rahmen für zukünftige Aufgaben und eine Schnittstelle zu den anderen Berufsgruppen schaffen. Damit wir in der Versorgung der Frauen und Familien zusammenarbeiten und gemeinsam Forschung betreiben können.
Schwangerschaft ist keine Krankheit, warum die Medizinfakultät?
TODOROW: Hebammen sind keine Mediziner. Aber natürlich gibt es Überschneidungen. Wir sind Expertinnen für die physiologischen Vorgänge für die normalen Lebensabschnitte Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Wir stärken die Ressourcen der Frauen. Die Mediziner kommen ins Spiel, wo die Verläufe von Pathologien, Abweichungen, gekennzeichnet sind.
LÖSER: Die Hebamme muss erkennen, wann es die Zusammenarbeit mit der Medizin braucht. Man kann uns als Gesundheitspersonal sehen, das vor allem mit Förderung und Prävention zu tun hat. Unser Beruf hat in den letzten Jahrzehnten neuen Anforderungen erhalten und die Versorgungsforschung steckte noch in den Kinderschuhen. Es geht darum zu schauen, ob effektiv ist, was wir tun. Hebammenkunde arbeitet viel mit Erfahrung, die bleibt wichtig. Wir wollen aber Dinge messbar machen.
Das Bild von Hebammen als weisen Frauen ist noch verbreitet...
TODOROW: Der geschützte Rahmen, den wir Familien geben, hat da ein Geheimnis um den Beruf gemacht. Wir agieren abseits von technischen Lösungen, stehen auf der Liste des immateriellen Kulturerbes, weil wir auch ohne Instrumente wirken können. Das darf man nicht verwechseln mit nicht durchschaubaren Praktiken.
LÖSER: Wir erwerben Intuition, aber auch umfangreiche Kompetenzen, kennen den Forschungsstand. Es ist ein duales Studium mit hohem Praxisanteil, auch zu Themen wie Mental Health, Organisation und Rechtliches. Man muss viel wissen, um wenig zu tun.
Wer ist Idealkandidat für den Beruf?
LÖSER: Man darf keine Berührungsängste haben zum gewaltigen Naturereignis Geburt. Das ist eine vulnerable Zeit, man muss mit nicht immer positiven Situationen umgehen können.
TODOROW: Nähe muss man ertragen und sich abgrenzen können von sozialen Situationen, die man nur begleiten kann, aber nicht verändern.
Gesetzlich wurde 2020 beschlossen, die Hebammenausbildung an die Hochschulen zu verlagern. Die ersten 25 Absolventinnen verlassen Ende September die Uni. Sind Sie zufrieden?
TODOROW: Wir sind zufrieden. Das war ein großer Umbruch, die Ausbildung zu akademisieren. Wir sind jeden Gang das erste Mal gegangen, also in der ganzen Profession. Das werden die Studierenden vielleicht etwas anders sehen, weil sie die ersten waren und wir Sachen ausprobierten. Aber wir haben ihnen Narrenfreiheit gelassen.
Studieren nur Frauen bei Ihnen?
TODOROW: Ja. Da Interesse bei Männern ist gestiegen, aber es hat noch kein Student begonnen.
LÖSER: In anderen europäischen Ländern ist der Anteil von Männern höher.
Was haben Sie künftig vor?
TODOROW: Wir haben die Hebammenkunde etabliert, den Studiengang verstetigt. Jetzt wollen wir Forschungsschwerpunkte setzen und Einfluss auf die Versorgungspraxis nehmen. Hebammen könnten in der Gesundheitsförderung viel machen. Die Vernetzung mit der Praxis ist wichtig, damit Wissen in beide Richtungen fließt. Das beginnt mit den Bachelorarbeiten, in denen die Studierenden Fragen aus der Praxis bearbeiten.