Mit einer Propellermaschine flog Barbara Tóth bei ihrem letzten Leipzig-Besuch ein. Die Journalistin und Historikerin diskutierte im April mit Hans Demmel und Julian Reichelt über »Journalismus von außen« bei den Medientagen Mitteldeutschland. Wir haben die Politik- und Medienredakteurin der linksliberalen Wiener Wochenzeitung Falter nun kurz vor ihrem 50. Geburtstag zu den Parallelen zwischen AfD und FPÖ befragt.
In Sachsen und Thüringen ist der Schreck nach den Landtagswahlen und über 30 Prozent für die AfD groß. – Nehmen Sie das in Wien wahr und auch ernst?
Ja, natürlich, die Wahlergebnisse der beiden Landtagswahlen und auch die Wahl in Brandenburg werden in Österreich von den Medien sehr genau beobachtet. Dabei überwiegt das Gefühl, in die eigene Vergangenheit zu blicken. Weil, bei uns ist die FPÖ ja schon seit Ende der neunziger Jahre eine ernst zu nehmende Volkspartei mit Wahlergebnissen von Mitte-zwanzig Prozent. Sie regiert aktuell in drei Bundesländern mit und auch die Brandmauer-Debatte kennen wir gut. In Österreich hieß sie »Ausgrenzungspolitik« und wurde vom damaligen SPÖ-Bundeskanzler Franz Vranitzky ab 1986 gegen die FPÖ unter Jörg Haider praktiziert.
Wie lange stand die Brandmauer denn stabil?
Sie fiel nach den Nationalratswahlen 1999, als die ÖVP eine Koalition mit der FPÖ einging. Damals sorgte das für weltweite Empörung, die EU-Staaten starteten Sanktionen gegen die Regierung. Was damals ein Tabubruch war, ist heute Normalität.
Inwiefern sind AfD und FPÖ miteinander vergleichbar?
Sie sind Kinder der gleichen Geisteshaltung und beeinflussen sich auch gegenseitig. Sie kooperieren, vor allem über ihr Mediennetzwerk, über die Grenzen hinweg. Sie spielen mit ihren Themen Pingpong zwischen Österreich und Deutschland, das ist ein Teil ihrer Strategie, weil es sie relevanter wirken lässt. Die FPÖ wird vom Verfassungsschutz nicht als rechtsextrem eingestuft, aber einige ihrer Funktionäre und Aussagen durchaus.
Als das Compact-Magazin in Deutschland verboten wurde, trat Jürgen Elsässer bei österreichischen Rechtsaußen-Sendern auf. Eine wichtige Rolle spielt dabei AUF1 (seit 2021 bestehende rechtsextreme Website aus Linz: »Alternatives Unabhängiges Fernsehen, Kanal 1«, Anm. d. Red.).
Mit welcher Entwicklungsstufe der FPÖ würden Sie die jetzige Situation in Deutschland vergleichen? Und würden Sie eher sagen: die Kirche im Dorf lassen oder in den Glockenturm hochsteigen und Alarm schlagen?
In Österreich war das Jahr 1993 ein Wendepunkt. Jörg Haider hat damals ein »Österreich zuerst«-Volksbegehren initiiert, das im Grunde ein »Ausländer raus«-Volksbegehren war. Dagegen wendete sich die Zivilgesellschaft und mobilisierte 300.000 Menschen, die in Wien am Heldenplatz mit Kerzen gegen den Fremdenhass protestierten. Das prägte mehr als eine Generation. Der Kampf gegen den Faschismus ist seitdem fest im öffentlichen Bewusstsein verankert, gleichzeitig reicht die moralische Selbstvergewisserung nicht aus, wenn die FPÖ von Wahl zu Wahl größere Erfolge feiert. Wichtig ist, rückblickend, die FPÖ als Seismografen zu verstehen. Sie spürt Ängste, Wut, Verzweiflung vielleicht früher als andere Parteien und bauscht sie auf. Aber sie lebt nur von den Problemen und löst sie nicht. Deshalb braucht es nicht nur die Abgrenzung, sondern auch konkrete Antworten der anderen Parteien.
Hat das dazu geführt, dass diese anderen Parteien, nennen wir sie die demokratischen, enger zusammenarbeiten?
Leider nein. Die FPÖ ist in Österreich immer Plan B. Wenn die ÖVP mit der SPÖ nicht koalieren will, macht sie es mit der FPÖ – und erpresst damit die SPÖ.
Eine mächtige FPÖ ist publizistisch »interessant« für den Falter. Wie gefährlich ist sie aber, wirtschaftlich und im journalistischen Alltag?
Wirtschaftlich ist die FPÖ kein Faktor, sie schaltet keine Inserate im Falter, die sie uns entziehen könnte, um Druck auszuüben – was im Übrigen auch egal wäre: Wir finanzieren uns vor allem über unsere Abonnentinnen und Abonnenten. Journalistisch ist die FPÖ eine Herausforderung, weil sie mit etablierten Medien nur mehr in Ausnahmefällen zu tun haben will und voll auf ihre eigenen Medienkanäle vertraut. Das erschwert Recherche und Gegencheck. Wir berichten mit sehr viel Insight über die FPÖ, derzeit in einer eigenen Kolumne namens »Blauland«, und unsere Leserschaft schätzt das sehr. Als die FPÖ in der Regierung war, hat der Falter viele neue Abonnenten gewinnen können.
Kulturelle, soziale, demokratiefördernde Institutionen und Akteure, die ja in einem linken Magazin inhaltlich immer wieder vorkommen, leiden unter einer starken FPÖ oder AfD – wenn ihnen Gelder gestrichen werden oder versucht wird, Einfluss auf ihr Programm oder Agieren in der Öffentlichkeit zu nehmen. Wie erleben Sie das?
Natürlich kann die FPÖ, einmal an der Macht, Druck auf Förderungen ausüben. In den Ländern, in denen sie mitregiert, kürzte sie vor allem Sozialleistungen für Nicht-Österreicher und verschärfte Regeln. In Niederösterreich etwa wurde ein Genderverbot im Landesdienst eingeführt und eine Wirtshausförderung für österreichische Küche.
INTERVIEW: BENJAMIN HEINE