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Politik

Schluss mit der Träumerei

Die Linke diskutiert über Strategien gegen den eigenen Bedeutungsverlust

  Schluss mit der Träumerei | Die Linke diskutiert über Strategien gegen den eigenen Bedeutungsverlust  Foto: Maximilian Bär

Marco Böhme hat es nicht eilig, die Bühne im Neuen Schauspiel zu betreten, auf der er an diesem Abend über die Zukunft in die Krise geratener linker Politik sprechen soll. »Seit gestern bin ich nicht mehr Mitglied des Landtags und genieße ein bisschen die entspanntere Zeit«, stellt sich der »Klimaaktivist und Linxxnet-Mitarbeiter« noch etwas ungewohnt vor. Den Bedeutungsverlust der Linken, der beim Auftritt in seinem alten Wahlkreis Lindenau heute immer wieder Thema ist, erlebt er gerade hautnah.

Neben ihm sitzt eine, die den parlamentarischen Wiedereinzug geschafft hat. Juliane Nagel sitzt im sächsischen Landtag jetzt Stuhl an Stuhl mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Neben »ehemaligen Linken-Mitgliedern und Unternehmern«, sagt Nagel. Dass die Linkspartei am Boden liege, habe mit dem BSW, aber auch dem autoritären Backlash des Neoliberalismus zu tun. Als Nagel am selben Ort vor einem Jahr über Wege aus der linken Krise diskutierte, hatte Sahra Wagenknecht wenige Stunden vorher ihre Abspaltung von der Linkspartei bekanntgegeben. Eine komische Stimmung sei das gewesen, erinnert sich Nagel. Damals hatte sich die Linke einen Neustart erhofft, wirklich gelungen ist der bisher nicht.

BSW ist kein Partner, Linke-Wähler waren nie so links wie die Partei

Noch immer geht es viel um das BSW. Darüber, dass man mit dem BSW auch sozialpolitisch wenig Gemeinsamkeiten habe, herrscht auf dem Podium weitgehend Einigkeit. Ohne Abgrenzung zur Wagenknecht-Partei scheint eine strategische Neuausrichtung der Linkspartei ohnehin nicht zu machen. »Eine Abgrenzung zum BSW ist wichtig, auch wenn es spannender wäre, über uns zu reden«, findet Politikwissenschafter und Parteistratege Jan Schlemermeyer. Das BSW sei nur so weit ein denkbarer Partner für die Linke, wie es auch die CDU sein könne, erstickt Schlemermeyer Hoffnungen auf Zusammenarbeit im Keim. Stattdessen sollte die Linke nicht glauben, nur »woke Aktivistenpartei« oder »BSW-light« sein zu können.

Die Jenaer Soziologin Silke van Dyk ist überzeugt, dass die jüngsten Wahlniederlagen auch auf das BSW zurückzuführen seien. Die Basis der Linken sei aber vorher nie so links gewesen, wie die Partei in der Öffentlichkeit auftrat. »Für viele, die das BSW gewählt haben, war das keine Wählerwanderung. Die haben das gewählt, was sie aus ihrer Sicht auch vorher schon gewählt haben.« Das größte Problem sieht van Dyk aber in einer gesamtgesellschaftlichen »antilinken Hegemonie«, die sich an den widersprüchlichen Vorwürfen gegen linke Politik zeige. Entweder werde Linkssein mit Politik von Gebildeten für Minderheiten verknüpft. Dieses Narrativ habe in einer breiten Koalition von Konservativen bis zu Marxisten innerhalb der Linken verfangen und die Linke in die Defensive gebracht. Oder aber linke Ideen wie eine höhere Vermögenssteuer würden schnell als ideologisch und weltfremd abgestempelt. »Es wird immer der Vorwurf aus der Tasche gezogen, der gerade passt«, sagt van Dyk.

Regierungswille, Einwanderung und Außenpolitik

Um das Narrativ der Alternativlosigkeit aufzubrechen, fordert van Dyk positive Erzählungen. Ihr Vorschlag: Statt Milliardäre abschaffen zu wollen, müsse man etwa eine »radikale Infrastrukturpolitik« fordern, von der alle profitieren. Gleichzeitig müsste dies »auf einer realen Finanzierungsgrundlage« stehen, damit es nicht wie eine Fantasieforderung wirkt. Wenn die Menschen veränderunsgmüde seien, müsse man »nicht die Veränderung bekämpfen, sondern die Müdigkeit«.

Zuerst sollte die Linkspartei wieder Stabilität und Sicherheit ausstrahlen, sind sich Nagel und Schlemermeyer einig. In einer Zeit globaler Verunsicherung müsse man die Menschen nicht nur verstehen wollen, sondern ihnen auch ein Angebot machen können. Hier macht Schlemermeyer drei konkrete Punkte. Erstens: ein Regierungswille auch auf Bundesebene, »so irre das klingt«. Zweitens: Ein linkes Einwanderungsgesetz, das vielleicht nicht alle linken Bewegungen zufrieden stelle, aber fortschrittlicher sei als die aktuellen Alternativen. Und drittens: Eine eigene Außen- und Sicherheitspolitik, die Friedenspolitik nicht aufgebe, aber »westlichen Imperialismus« nicht zum alleinigen Problem erklärt. Die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie sei ein Beispiel. »Was wir als Partei unterschätzen, sind Nichtwahlgründe wie die Außenpolitik«, erklärt Schlemermeyer seine Forderung nach einem Strategiewechsel. Begriffe wie »Israel« oder »Palästina« fallen an diesem Abend kein einziges Mal. Dass der Nahostkonflikt in Tagen einer weiteren Eskalation nicht thematisiert wird, scheint in der Linken nötig, um wieder in die geforderte Offensive zu kommen.

Insgesamt ist man sich auf dem Podium meist einig, Kontroverse kommt kaum auf. Die inzwischen zur Routine gewordene Übung, die Krise der Linkspartei zu analysieren, strahlt auch auf das Publikum aus. Besonders viel diskutiert wird an diesem Abend nicht, ab und zu gibt es Applaus. Als Böhme einmal zum Klatschen animieren will, antwortet ein Zuschauer: »Muss man aber nicht.«

Einzig ein Zwischenruf sorgt für Überraschung, gerade als Böhme nach der Stärke der AfD bei den Lohnabhängigen fragen will. »Vielleicht redet ihr erstmal mit denen«, ruft einer aufgebracht, der sich später als »linksradikaler Proletarier« vorstellt. Der Frust des Zuschauers entlädt sich, ihm gehe es »um alles«. »Wir reden ja auch über alles«, kontert Böhme, der die Zeit dafür nun zu haben scheint. Ob sie die Linke noch hat, ist nach diesem Abend mehr als fraglich.


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