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Monumentale Leere

Leipzig bekommt sein zweites »Nationaldenkmal«: das Freiheits- und Einheitsdenkmal – zumindest gibt es jetzt einen Entwurf und ein Modell

  Monumentale Leere | Leipzig bekommt sein zweites »Nationaldenkmal«: das Freiheits- und Einheitsdenkmal – zumindest gibt es jetzt einen Entwurf und ein Modell  Foto: Christiane Gundlach

Wer beim Wort Nationaldenkmal (zu Recht!) zusammenzuckt, denkt wahrscheinlich an das Kyffhäuser- oder auch ans Völkerschlachtdenkmal, also Erinnerungsorte für die Idee eines Kultes der Nation, wie sie seit der Französischen Revolution in vielen Ländern entstanden sind. Auch das geplante Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal – Sie wissen schon: die Wippe – ist als Nationaldenkmal konzipiert – wie auch jenes, das nun doch noch in Leipzig entstehen soll. Beide Denkmäler sollen – und das ist wichtig – positive Erinnerungsorte an die Ereignisse 1989 und die Wiedervereinigung sein, »um damit an die wohl glücklichsten Momente unserer jüngeren deutschen Geschichte zu erinnern«, wie es im gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD im Bundestag von 2017 heißt. In Leipzig wie in Berlin sollen die Erinnerungen über die jeweils lokalen Ereignisse weit hinausgehen, was die Sache nicht einfacher macht. Aber der Reihe nach.

Wie kann überhaupt an die Ereignisse im Herbst 1989 erinnert werden? Darüber haben sich seit den neunziger Jahren schon viele den Kopf zerbrochen. Die Einen wollen dafür ein Denkmal, einen Ort in der Stadt – obwohl ja bereits welche vorhanden sind –, auch weil Berlin zuerst per Bundestagsbeschluss einen nationalen Gedenkort für 1989/90 zugesichert bekam. Die Anderen möchten das dafür von Bund und Freistaat bereitgestellte Geld nicht in ein Denkmal stecken, sondern in Bildungsarbeit und/oder die Bewahrung der Archive.

Als nun am 2. Oktober im Zeitgeschichtlichen Forum die Gewinnerentwürfe des (zweiten) Wettbewerbs für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig vorgestellt wurden, hingen im selben Haus die Fotografien von Martin Jehnichen aus der damaligen Zeit (sie tun es noch bis 25. Januar). Was dort in Schwarz-Weiß zu sehen ist, können keine Steine, Bäume und Metallträger vermitteln.

Bisher 150 Erinnerungsorte in Deutschland

Gerade erschien das von der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegebene Buch »Orte des Erinnerns an die Friedliche Revolution«. Auf dem Cover ist das neun Meter hohe Windobjekt »Spirale des Friedens« des Kasseler Künstlers Friedel Deventer auf dem Areal des Grenzmuseums Point Alpha in Rasdorf/Rhön aus dem Jahr 2004 zu sehen. Das Wort »Frieden« ist darauf in mehreren Sprachen zu lesen.

Die »Spirale des Friedens« steht für die rund 150 Denkmäler, die seit 1989 in Deutschland rund um das Thema Friedliche Revolution und Mauerfall entstanden sind. Das Buch selbst versteht sich als »Einladung«, um auf Spurensuche im Alltag zu gehen und Neues zu entdecken. In manchen westlichen Bundesländern ist es nur ein Stück Berliner Mauer, das an die Zeit 1989/90 erinnert – die Axel Springer GmbH schenkte anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls jedem Bundesland ein Mauerstück, natürlich mit einem Schild samt Bild-Logo; in Leipzig ist dieses am Ring vor der Runden Ecke zu bewundern.

Im Band erklärt Anna von Arnim-Rosenthal, Leiterin der East Side Gallery bei der Stiftung Berliner Mauer, dass die Ereignisse ab 1989 »in der Denkmalslandschaft einen vergleichsweise kleinen Raum« einnehmen. Von den 150 Denkmälern entstand der Großteil in den letzten zehn Jahren – viele 2019 zum 20. Jahrestag des Mauerfalls. In der Mehrzahl handelt es sich dabei um Gedenktafeln oder Markierungen im öffentlichen Raum – vor allem als Zeichen des sogenannten »negativen Erinnerns«, also bezogen auf Repression, Leid und Unterdrückung. Die Autorin hält weiter fest, dass bisher »vergleichsweise wenige positive Erinnerungszeichen« existieren.

Was bisher geschah

Am 17. Juni 1992 beschließt der Leipziger Stadtrat einen internationalen künstlerischen Ideenwettbewerb zum Nikolaikirchhof – mit dem Ziel, die Nikolaikirche und den Nikolaikirchhof als zentrale Orte der Friedlichen Revolution zu markieren. Aus 53 Einreichungen geht kein Sieger hervor. Nach nochmaliger Überarbeitung gewinnt Andreas Stötzer, der einen Brunnen und eine Säule vorschlägt. Am 9. Oktober 1999 wird die Säule mit der schlichten Bodentafel »9. Oktober 1989« als erstes vollplastisches Denkmal zur Friedlichen Revolution eingeweiht.

2003 gewinnt David Chipperfield den Wettbewerb um den Brunnen, Tilo Schulz und Kim Wortelkamp gewinnen mit der Installation »Public Light – öffentliches Licht« den Wettbewerb zur Lichtinszenierung auf dem Nikolaikirchhof.

Am 9. November 2007 beschließt der Bundestag ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin. Nach Protesten aus Leipzig folgt am 4. Dezember 2008 der Beschluss für ein weiteres solches Denkmal in Leipzig, an dem sich der Bund mit 5 Millionen und der Freistaat mit 1,5 Millionen Euro beteiligen wollen. Der Wettbewerb dazu 2011/12 fasst neben einem Denkmal auch die räumliche Entwicklung des Wilhelm-Leuschner-Platzes ins Auge. Der erste Platz geht an M+M aus München für »70.000«: bunte Würfel. Nach hitzigen Debatten in der Stadt gibt es 2013 eine erneute Beurteilung der überarbeiteten Entwürfe. Nun wird der zuerst als dritter Preis vorgesehene »Keine Gewalt – Herbstgarten« zur Realisierung bevorzugt. Im Februar 2014 klagt M+M erfolgreich vor dem Dresdner Oberlandesgericht. Im Juli 2014 fällt der Stadtrat den Beschluss, das Verfahren zu beenden. Die bisherigen Kosten für die Stadt liegen bei insgesamt 545.478 Euro, davon 415.000 Euro Fördergelder vom Bund, die zurückgezahlt werden müssen. OBM Burkhard Jung fordert eine »Atempause«. Im Jahr 2016 entscheidet sich der Stadtrat für ein neues Verfahren, 2017 erneuert der Bundestag seinen Beschluss für ein Denkmal in Leipzig. Die Stiftung Friedliche Revolution kümmert sich im Auftrag der Stadt darum und bekommt 2021 den Auftrag, mit Bürgerbeteiligung einen neuen Wettbewerb vorzubereiten. 2022 legt ein 35-köpfiger Bürgerrat den Leuschner-Platz als Denkmalsort fest, der Stadtrat schließt sich an. Im März 2024 startet der Wettbewerb, dessen Ergebnisse im Oktober präsentiert werden.

Eins davon ist das 2020 auf dem Luisenplatz in Potsdam eingeweihte Denkmal für die Potsdamer Demokratiebewegung von Mikos Meininger: in den Boden eingelassene Stahlplatten in Form von »4.11.1989«, auf denen Fußabdrücke von an dem Tag Demonstrierenden neben Slogans der damaligen Demo wie »Demokratie jetzt oder nie« zu sehen sind.

Losungen spielen auch beim ebenfalls 2020 eingeweihten Denkmal »Perspektiven zur Freiheit« von Dagmar Korintenberg und Wolf Kipper in Waren vor der St. Georgenkirche eine Rolle. Waren bildet den zentralen Erinnerungsort von Mecklenburg-Vorpommern, weil hier die erste Demo am 16. Oktober 1989 stattfand. Bei diesem Denkmal sind aus 17 Metallplatten Losungen wie »Die Zeit des Schweigens ist vorbei« ausgestanzt; die Platten stehen nicht aufrecht, sondern so, dass Sonnenlicht durch sie fällt und sich die Menschen schon ordentlich verbiegen müssen oder eine Nackenstarre riskieren, um sie lesen zu können.

In Bonn steht eins der größten Denkmäler – im ehemaligen Regierungsviertel mit dem Titel »Arc ’89« von Bernar Venet. Der französische Bildhauer ist der Leib-und-Magen-Künstler der in Bonn ansässigen Stiftung Kunst und Kultur und ihres Vorsitzenden Walter Smerling. 17 Meter hoch ragen Venets 14 rostrote Stahlbögen, die um 89 (!) Grad gebogen gen Himmel ragen. Das Denkmal stehe fürs »Einlassen auf ungewohnte Blickwinkel«, für »die Offenheit gegenüber Neuem, für freie Fantasie und Kreativität«, heißt es vom Künstler. So entspreche es auch den Forderungen der Friedlichen Revolution.

Eine ganz besondere Geschichte kann das Denkmal in Frankfurt (Oder) nachweisen: 1978 erhielt der Künstler Christian Roehl den Vorvertrag mit der Stadt über eine Plastik. Der fünf Tonnen schwere Stahlring mit einem Durchmesser von fünf Metern sah das Zitat aus Lenins »Krieg und Revolution« vor: »Unser Ziel ist es, die sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten, die nach Aufhebung der Teilung der Menschheit in Klassen, nach Beseitigung jeder Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und einer Nation durch andere Nationen unbedingt jede Möglichkeit von Kriegen überhaupt beseitigen wird«. Die Bauarbeiten verzögerten sich, so dass die Stadt den Künstler schließlich im März 1990 bat, das Denkmal, vor allem das Zitat, zu überarbeiten. So sind seit der Aufstellung des Denkmals mit dem Namen »Revolution« nicht Lenins Worte, sondern Merkzahlen von Revolutionen in der Geschichte wie etwa 1789, 1848 und eben auch 1989 zu sehen.

Zentrales Gedenken an 1989 in Berlin und Leipzig

Weit über die lokale Perspektive hinausweisen sollen nun die beiden Nationaldenkmäler in Berlin und Leipzig. »Versehen mit einer umfassenden gesellschaftlichen und symbolischen Bedeutung stehen sie als nationale Erinnerungszeichen an zentralen Plätzen in Berlin und Leipzig«, so von Arnim-Rosenthal in ihrem Beitrag zum Buch »Orte des Erinnerns an die Friedliche Revolution« charakterisiert. Damit gehen sie »weit über lokalen Referenzraum hinaus« und stellen unter anderem den friedlichen Verlauf der Proteste »als einzigartige positive Ereignisse in der deutschen Geschichte« dar. Aber wie unterscheidet sich ein nationales von einem lokalen Denkmal?

Der neue Wettbewerb in Leipzig

Nach dem gescheiterten ersten Leipziger Wettbewerb für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal (siehe Infokasten) beschloss der Stadtrat 2021, dass sich die Stiftung Friedliche Revolution um einen neuen Wettbewerb kümmern soll.

Im März 2024 wurde dieser in der Denkmalswerkstatt im Hansahaus vorgestellt. Ebenfalls im März hatte das Landschaftskonzept »Ökotopia« des Berliner Freiflächenbüros Atelier Loidel den Freiflächenwettbewerb unter 23 Entwürfen gewonnen. Das Berliner Büro möchte am Leuschner-Platz »ein neuartiges städtisches Ökotop für Menschen, Tiere und Pflanzen« schaffen. Zu diesem muss sich das Freiheits- und Einheitsdenkmal mit einer Fläche von 7.390 Quadratmetern zwischen Stadtbibliothek und Ring verhalten.

36 Positionen wurden für den zweiten Anlauf eingeladen, davon waren 12 bereits vor dem Start ausgewählt. Schlussendlich wurden 32 Modelle eingereicht. Die europäische Dimension des Wettbewerbs verkörperten Jeremy Keller (London), Šejla Kamerić (Sarajevo), Ivana Ivkovic (Belgrad), Catrin Bolt (Wien) und Zhana Radyrova (Kyjiw). Fünfzehn Ideen kamen aus Berlin, immerhin sechs aus Leipzig. Alle 32 eingereichten Modelle sind im November im Hansahaus zu sehen. Sie zeigen einige sehr interessante Aspekte im Umgang mit der Geschichte. Benjamin Hossbach vom Wettbewerbsbüro verkündete gar: »Alle 32 Entwürfe waren brillant. Das Jurygericht war geflasht.«

Berlin

Im Mai 1998 geht eine Gruppe um Lothar de Maizière – der letzte DDR-Ministerpräsident – mit der Initiative »Denkmal der deutschen Einheit« an die Öffentlichkeit. Ein »Bürgerdenkmal« soll in Berlins Mitte entstehen. Im April 2000 geht der Antrag in den Bundestag – und wird abgelehnt. Mehr Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit führen Jahre später zu einer parlamentarischen Mehrheit, so dass der Bundestag symbolträchtig am 9. November 2007 ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal für Berlin beschließt.

Zum Wettbewerb im Jahr 2009 werden 533 Entwürfe eingereicht. Es gibt keinen Gewinner. Stattdessen heißt es aus der Jury, kein geringer Teil der Entwürfe sei »kompletter Schrott«, »naiv« und »beschämend«.

Nach dem zweiten Wettbewerb 2010 steht »Bürger in Bewegung« von Milla und Partner mit Sasha Waltz fest, das auf dem Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals Kaiser Wilhelm I., das 1895–97 von Reinhold Begas und Gustav Halmhuber geschaffen und 1950 abgerissen wurde, errichtet werden soll. 2013 beginnen die Arbeiten, für 2018 ist die Einweihung vorgesehen. Im April 2016 stellte das Bundesfinanzministerium fest, dass die Kosten dafür von 10 auf 15 Millionen gestiegen sind. Daraufhin stoppt der Haushaltsausschuss des Bundestages den Bau. Es folgen Debatten – Monika Grütters (CDU), die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, fragt zum Beispiel, ob nicht vielleicht das Brandenburger Tor als Denkmal reichen würde. Mitte 2017 beschließt der Bundestag die Realisierung des Denkmals – nun mit 17,12 Millionen Kosten und einem jährlichen Unterhalt von rund 200.000 Euro. Der Spatenstich erfolgt im Frühjahr 2021. Die Eröffnung ist für den 3. Oktober 2022 geplant. Im Februar 2024 meldete der Stahlbauer für die Wippe Insolvenz an. Zur aktuellen Situation erklärt Jens Althoff, Sprecher von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, auf kreuzer-Anfrage: »Die Entscheidung über den Insolvenzplan wird im 4. Quartal dieses Jahres erwartet.«

Catrin Bolt aus Wien schlug »Gemeinsamer Luster« vor. Interessant an diesem Entwurf ist vor allem, dass sie sich auf die vom VEB Leuchtenbau Leipzig produzierten Kugelleuchten aus dem Palast der Republik bezog – was die Preisjury leider nicht bemerkt hat, wie aus ihrer Beurteilung hervorgeht. Die von Bolt vorgesehenen 200 Kugellampen sollten auf der Freifläche so verteilt werden, dass sie in den Umrissen der DDR dort stehen, wo im Herbst 1989 demonstriert wurde. Die Kugeln auf drei Meter hohen Stangen sollten montags von 20 bis 21 Uhr leuchten und so eine Lichtwolke entstehen lassen. Die Jury kritisierte hier den eher unattraktiven »Stangenwald«.

Unter dem Titel »Boden-Bühne, Denkmal-Bühne« zeigte Suse Weber aus Leipzig unter Mitarbeit von Ludwig Koehne (Kirow-Werke) eine temporäre Bodenarbeit, die den Untergrund für ein mehrwöchiges Kulturprogramm beinhaltet. Bei der Denkmal-Bühne handelt es sich um einen sehr großen Bohrer, eine Edelstahl-Metallkonstruktion, die mit visuellen Zeichen – etwa Fotos von den Demonstrationen mit Transparenten – zwischen den Bohrrillen versehen ist und vertikal in den Boden versenkt werden kann, um immer zum Lichtfest wieder nach oben gedreht zu werden. Das erinnert an das »Monument gegen Faschismus, Krieg und Gewalt – für Frieden und Menschenrechte«, eine von 1986 bis 1993 schrittweise in den Boden abgesenkte Stele in Hamburg-Harburg von Esther Shalev-Gerz und Jochen Gerz. Während der Absenkung konnten die Menschen ihren Namen und ihre Position zum Denkmalsinhalt mit einen Stahlstift in die Stele einschreiben. Sie ruht nun unter der Erde wie ein Vermächtnis.

Ein Denkmal als therapeutischen Ort entwarf Julius von Bismarck mit einem Stuhlkreis aus fast 40 Stühlen auf beweglichen Scheiben – Jim Whiting lässt grüßen. Extrem kitschig wirkt das »Grüne Auditorium für Leipzig« von Alexandra Lotz und Tim Kellner aus Rostock – ein Redenplatz, an dem die Köpfe von Lenin und Stalin vom Hügel rollen – erinnert eher an den Bildersturm in den Neunzigern, wie etwa die Demontage des Lenin-Denkmals in Berlin.

Sehr pathetisch wirkt hingegen der Entwurf von Wilhelm Klotzek, der eine »Einheitskugel als Nationaldenkmal« auf abgeschrägtem Sockel vorschlug. Seine 252 Tonnen schwere Kugel mit einem Durchmesser von sieben Metern sollte aus recyceltem Brückenbeton gebaut werden und für eine »würdevolle Schwermut« sorgen. Die Kugel bietet ganz viele Assoziationen – an die Masse als treibende Kraft einerseits, an die zermatschte Masse andererseits, »wenn sich die Richtung mal ändert«, man denke an Sisyphos … Auf der Entwurfsskizze wirkt Klotzeks Idee zunächst wie die französische Revolutionsarchitektur von Etienne-Louis Boullée, der in den 1780er Jahren radiale Gebäude konzipierte. Die Jury sah es in ihrer Beurteilung nicht so, denn die Assoziation fehlte. Stattdessen assoziierte sie die »ambivalente Dimension der Angst« und konnte keinen Bezug zu den Geschehnissen in Leipzig 1989/90 herstellen. Zudem vermisste sie hier den Dialog mit der Landschaft.

Drei

Auf Platz 3 kam der Entwurf »Lichter – Oktober – Parolen des Widerstands« vom Leipziger Künstler Thomas Moecker, der beispielsweise die gelungene Installation »84 Matratzen aus Beton gegen das Vergessen« im Schloss Colditz schuf, die an frühe Euthanasieopfer in der dortigen Heil- und Pflegeanstalt erinnert.

Gemeinsam mit Werner Klotz und Anna Dilengite entwarf Moecker für den Wettbewerb eine typografische Landschaft mit den Schriftzügen »Wir wollen raus« und »Wir bleiben hier« auf hundert Metern Länge und vier Metern Höhe zwischen einem Kiosk mit Informationen und einem runden Tisch. Der Entwurf verbindet sowohl die traditionellen Slogans als auch die weitere Entwicklung der Demonstrationen hin zu Runden Tischen und dem Verhandeln von Alternativen in der Politik und Verwaltung – greift den damals zeittypischen Zwiespalt zwischen Flucht in den goldenen Westen und Bleiben im neu zu gestaltenden Osten auf. In den Augen der Jury wirkten die Schriftzüge zu unharmonisch mit der Landschaftsgestaltung drumherum.

Zwei

Richter Musikowski Architekten aus Berlin mit den Landschaftsarchitekten Grieger, Harzer, Dvorak und die Künstlerin Anna Talens gewannen mit ihrem Entwurf »Lichtermeer« den zweiten Platz. Die Jury sah darin eine »poetische Kraft, gestalterische Präzision, dauerhafte Gültigkeit und attraktive Ästhetik«. Geplant war eine große, nach unten gesenkte Fläche, auf deren Boden sich 70.000 reflektierende Scheiben befinden. Im Sommer sollte mit Wasser aufgefüllt ein See entstehen. Das auf Keramik- und Metallfliesen Namen von konkreten Personen graviert werden sollten, wirkt sehr aufgesetzt. Hier überzeugt neben der angenehm unaufgeregten Parksituation vor allem das Spiegelmotiv, das durch die reflektierenden Materialien entsteht. Es konfrontiert das Selbst mit sich – eine eindringliche Selbstbefragung. Der Juryvorsitzende – Architekt Kjetil Thorsen – sah es eher als Geste, um »den Himmel auf die Erde zu bringen«, um so »einen Anziehungspunkt durch Stille und Poesie« herzustellen, wie Thorsen auf der Pressekonferenz zu den Wettbewerbspreisträgern erklärte.

Eins

»Banner, Fahnen, Transparente« der Leipziger Zila-Architekten mit Bea Meyer und Michael Grzesiak sowie unter anderem Anna Lena von Helldorff als Beraterin für Typografie hat den Wettbewerb gewonnen, weil ihr Entwurf die »abstrakte und zugleich konkrete Würdigung eines zentralen Elements von Protestbewegungen im Allgemeinen und der Friedlichen Revolution von 1989 im Besonderen« zeige, so die Jury. Die Idee: 50 leere Banner, Fahnen, Transparente über den Platz verteilt, Richtung Ring dichter gesetzt als am südlichen Ende gen Stadtbibliothek. Die leeren 2,70 bis 3,20 Meter hohen Banner sollen aus weiß lackiertem Edelstahl gefertigt werden. In diesen »nahbaren Objekten« sieht die Jury einen »Raum für Assoziation, Aneignung und Partizipation«. Das Weiß verkörpere zudem die friedliche Gesinnung der Herbstdemonstrationen.

Apropos weiße, also leere Flächen: »Kontrovers diskutierte das Preisgericht die Frage der aktiven Partizipation, die sich im schlechten Fall in Form von Vandalismus ausdrückt.« Sowohl Ministerpräsident Michael Kretschmer als auch OBM Burkhard Jung hatten sich bei der Präsentation erstaunlich begeistert darüber gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger die Banner, Fahnen, Transparente mit eigenen, zeitgemäßen Losungen immer wieder neu beschreiben könnten. Dem widersprach Bea Meyer später im Monopol-Interview: »Es sind Skulpturen! Das weiße Transparent steht textlos für das ›unbeschriebene Blatt‹, für die Möglichkeit der Meinungsäußerung. Unser Konzept sieht vor, dass diese gefalteten Flächen weiß sind und weiß bleiben.« Und wenn sie doch beschrieben werden? Michael Grzesiak argumentierte bei der Pressekonferenz zum Wettbewerb, das dann metaphorisch zu sehen: »Demokratie ist verletzlich.«

Die Verwendung von Edelstahl für die Transparente begründet Bea Meyer damit, dass der Werkstoff »früher den öffentlichen Raum sehr geprägt« habe – sie erinnert an die Fassade der »Blechbüchse«, die vom Leipziger Bildhauer Harry Müller stammt, genau wie die von ihm entworfenen Brunnenplastiken auf dem Richard-Wagner-Platz.

Auf dem Boden ergänzen 16 Daten aus Aluminiumguss die Banner des Freiheits- und Einheitsdenkmals – in Gert Wunderlichs Maxima, der meistverbreiteten Schrift in der DDR. Sie stehen für die sogenannten »irregulären Tage« – nach dem Buch von Michael Schade, das 2013 bei Spector Books in Leipzig erschien und sich mit der Zeit vor und nach 1989 beschäftigt – beginnend bei der Beatdemo am 31. Oktober 1965 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz über den 24. September 1983 und die Aktion »Schwerter zu Pflugscharen« in Wittenberg bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Informationen dazu soll es auf einer Website zum Denkmal geben – wobei die Jury dies zu überdenken empfahl und in Frage stellte, ob es als Begleitung fürs Publikum reiche.

Dennoch stellte der Juryvorsitzende Kjetil Thorsen bereits vor dem Bau fest, dass das Denkmal »im globalen Kontext einen Maßstab setzen wird«. Worin dieser bestehen wird, erklärte Thorsen nicht – und es erschließt sich auch nicht.

Die Reaktionen

Ministerpräsident Michael Kretschmer nannte den Wettbewerbssieger »einen Entwurf für die Zukunft«, für Burkhard Jung zeige der Entwurf die Macht der Straße und die Macht der Menschen, die auch in die Zukunft weise. In sehr naher Zukunft – am liebsten zum 9. Oktober 2025 – möchte Jung die ersten Banner, Fahnen oder Transparente auf dem Leuschner-Platz sehen. Natürlich weiß er, dass das einfacher klingt und gedacht ist als gemacht. Wichtig sei ihm, dass es sich hierbei nicht um ein Denkmal auf einem Sockel handele, sondern um einen Begegnungsort. Sollten verfassungsfeindliche Sprüche auf den Bannern landen, würden sie selbstverständlich entfernt. Darüber hinaus könne er sich vorstellen, dass einmal im Jahr – vorm Lichtfest – eine Bürgerinitiative die Banner, Fahnen und Transparente reinige.

Zum diesjährigen Lichtfest und zur Eröffnung der Ausstellung zum Einheitsdenkmalwettbewerb sagte der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, dass ein Denkmal von Gesine Oltmanns – wie sie das Banner »Für ein offenes Land mit freien Menschen« auf dem Nikolaikirchhof hält – und hinter ihr eine Menschengruppe in Beton gegossen auch ein Denkmal wäre. Im Siegerentwurf sieht Gauck allerdings »eine Ermutigung für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen«.

Der Leipziger Kunsthistoriker Arnold Bartetzky zeigte sich in der FAZ sehr versöhnlich mit dem Gewinnerentwurf, auch wenn die Banner sehr nahe lägen. Meinhard Michael nennt den Entwurf in seinem MDR-Artour-Beitrag »Edelstahlorigami«. Der Tagesspiegel urteilt den Siegerentwurf als Leipziger Allerlei ab und kritisiert »das Missverhältnis in Sachen Kompetenz und Ost-Hintergrund in den Entscheidungsgremien«.

Rainer Eckert, der langjährige Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums und Verfasser des Buches »Umkämpfte Vergangenheit. Die SED-Diktatur in der aktuellen Geschichtspolitik der Bundesrepublik Deutschland«, zeigt sich gegenüber dem kreuzer zufrieden mit dem Denkmal: Es war »ein sehr langer, sehr komplizierter Prozess mit Höhen und Tiefen«. Der Siegerentwurf sei »zu Recht ausgewählt«, er verkörpere eine gute Idee. Eckert gibt jedoch zu bedenken, dass im Vorfeld geklärt werden müsse, wie die Banner vor Beschmutzung geschützt werden.

Im Anblick der Modelle – zumal die Jury offensichtlich Humor wie bei der überdimensionalen Kugel nicht gelten ließ – scheint es keine inhaltliche und keine formale Lösung für ein materialisiertes »glücklichstes Geschichtserlebnis« zu geben. Das einzusehen wäre im Angesicht von Nationaldenkmälern und im Sinne von Nachhaltigkeit wichtig gewesen. Und wenn das Parlament in Berlin schon nicht in der Lage ist, die fürs Denkmal vorgesehenen Millionen – fünf für Leipzig – in Bildung, Kultur und Sport zu verteilen, was die Demokratie mehr stärken würde, als ein Denkmal es kann, so könnte ja der Leipziger Stadtrat noch mal abwägen. Die 7.390 Quadratmeter am Leuschner-Platz könne dann von »Ökotopia« vollständig übernommen werden.


> Anna Kaminsky: Orte des Erinnerns an die Friedliche Revolution. Berlin: Metropol 2024, 232 S., 24 €

> Ausstellung zum Wettbewerb: 4.–15.11., Denkmalwerkstatt, Hansahaus, www.freiheitsdenkmal-leipzig.de


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