»Was haben wir jetzt eigentlich beschlossen?« Es ist die Frage, die in den von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) verordneten sieben Minuten Abkühlpause durch den Plenarsaal schwirrt. Sowas habe er noch nie erlebt, sagt Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne) der Presse. Lief ja alles wie geplant, freuen sich zwei BSW-Stadträte, während sie sich auf der Toilette die Hände waschen. Mit einem Änderungsantrag hat die CDU die Straßenplanung auf einem Abschnitt der Prager Straße zwischen An der Tabaksmühle und Friedhofsgärtnerei über den Haufen geworfen.
»Der Platz ist eng«, versucht Dienberg zuvor die Ende 2022 bereits im Stadtrat beschlossene Vorplanung in der Diskussion noch zu retten. »Und mit der gewählten Vorzugsvariante haben wir einen Kompromiss für die weitere Planung gefunden.« Dieser sah im Kern folgendes vor: Von der Straße abgetrennte Rasengleise für die von der LVB bereits bestellten XXL-Straßenbahnen, barrierefreie Haltestellen und die Verlegung des Radverkehrs vom Rad-Fuß-Weg auf eine zwei Meter breite Radspur. Für den Autoverkehr wären so jeweils eine Spur stadtein- und stadtauswärts geblieben.
»Was mich schon ein wenig verwundert hat«, sagt Dienberg in Richtung der »lieben« CDU-Fraktion, »dass es einen offensichtlich lange fertigen Änderungsantrag gegeben hat, der seit Wochen durch die Fraktionen waberte und einen Tag nach der letzten Behandlung im Fachausschuss dann eingereicht wurde.« Die CDU will die Zweispurigkeit für Autos in beiden Richtungen erhalten, vor allem um zu verhindern, dass es in den beiden Spitzenstunden an Vor- und Nachmittag zu Rückstaus kommt. An den breiteren Gleisen will die Fraktion zwar festhalten, alle anderen baulichen Maßnahmen – bis auf barrierefreie Bushaltestellen – sollen aber nicht kommen.
Dienberg bittet, sich ehrlich zu machen: »Wenn wir mit dem Bau des Abschnitts keinen separaten Radweg stadtauswärst einrichten, werden wir im Anschluss dazu gezwungen.« Die Straßenverkehrsbehörde kann die Einrichtung einer Fahrradspur zur Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmenden anordnen, wie es etwa vor dem Hauptbahnhof passiert ist.
Auch eine durchgängige zweispurige Markierung wird mit der Verbreiterung der Straßenbahnschienen nicht möglich sein. Die notwendige Rechnung dafür hat Linken-Fraktionschefin Franziska Riekewald parat: Man müsse den Fakt anerkennen, »dass wir auf 80 Prozent der Strecke weniger als 5,85 Meter zur Verfügung haben. Warum sage ich diesen Wert?« Weil 5,85 Meter das gesetzliche Mindestmaß für eine zweispurige Stadtstraße seien. »Die Pragerstraße wird nicht vierspurig bleiben, auch wenn sie es ihren Wählern versprechen«, sagt Grünen-Fraktionschefin Kristina Weyh zu CDU. »Ein unmarkiertes, ineinandergeschobenes, zweistreifiges Fahren in einer zu schmalen Fahrbahn ist für uns unverantwortlich.«
Für Falk Dossin (CDU) und seine Fraktion stellt sich das Ergebnis der ursprünglichen Planung anders dar: »Monatelange Sperrung, nach den Bauarbeiten das gleiche Angebot der LVB – na gut, dickere Straßenbahnen – dafür werden die Busse wohl etwas mehr Zeit brauchen.« Im Gegensatz zur Stadtverwaltung seien 330 Meter Rückstau auf einer der Haupteinfahrtstraßen der Stadt für die CDU nicht »vollkommen in Ordnung«, sondern »übelst«.
Dossin hat noch einen Rat für den Rat: »Wenn wir jede Verbreiterung der Schiene als Hauptziel nehmen würden, ohne gleich Fußweg, Radweg, Straße, Beleuchtung, Fahrradbügel im Umfeld zu planen, dann könnten die XXL-Bahnen 2026 überall in Leipzig fahren.« Einen Kompromiss hat Sven Morlok (Freie Fraktion): »Wenn wir die Zweispurigkeit anbieten wollen, dann müssen wir eine Alternative für den Radverkehr anbieten.« Dazu soll der bisherige Rad-Geh-Weg stadtauswärts verbreitert werden. Die dafür im Weg stehende Mauer des Südfriedhofs und die Hecke am Völkerschlachtdenkmal? Die sollen um 50 Zentimeter verschoben werden – wenn das Denkmalschutzamt mitmacht.
Morloks Änderungsantrag wird angenommen, ebenso der Antrag der CDU. Die knappe 33:31-Mehrheit dafür wird ausgerechnet in den Reihen der Linksfraktion entschieden: Weil Sören Pellmann sich enthält, Olga Naumov und Enrico Stange, das Abstimmgerät in der Hand haltend, erst gar nicht abstimmen. Geprüft werden soll auf Antrag der Linken, ob die Mitfahrt bei der LVB zwischen Haltestelle Meusdorf und Augustusplatz während der Bauarbeiten kostenlos sein kann und anliegende Park-and-Ride Kapazitäten erweitert werden können. Um den Radverkehr zu entlasten, soll zudem die parallel zur Prager verlaufende Naunhofer Straße für Radfahrende ausgebaut werden.