Ein älterer Mann steht mit dem Rücken zur Kamera und schaut durch ein großes Fenster nach draußen. Das Foto von 1968 zeigt den Vater von Barbara Klemm und bildet den Auftakt der Ausstellung »Barbara Klemm: Helldunkel. Fotografien aus Deutschland« in der ersten Etage des Altbaus der Galerie für Zeitgenössische Kunst.
Fritz Klemm studierte wie auch Barbara Klemms Mutter Antonia Gräfin von Westphalen an der Badischen Landeskunstschule in Karlsruhe, wo er ab den frühen fünfziger Jahren als Professor arbeitete. Die 1939 geborene Barbara Klemm absolvierte 1955–58 im Porträtatelier Julie Bauer eine Ausbildung zur Fotografin und arbeitete im Anschluss zunächst als Fotolaborantin und in der Klischeeherstellung (technisches Verfahren beim Zeitungsdrucken) bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ab 1970 bis zu ihrer Pensionierung 2005 als fest angestellte Redaktionsfotografin.
Klemms jetzt in der GfZK zu sehende Helldunkel-Ausstellung ist 2008 im Auftrag des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) entstanden. Ab 2009 wurde sie zuerst in Warschau und Danzig, später auch in Russland, China, Vietnam und Rumänien gezeigt. Leipzig ist jetzt die insgesamt 30. Station, nach dem Berliner Willy-Brandt-Haus im Jahr 2009/10 aber erst die zweite in Deutschland. Sie zeigt rund 120 Schwarz-Weiß-Fotografien (alle Abzüge auf Barytpapier, ca. 30 x 40 Zentimeter, gerahmt) in der gesamten ersten Etage des Galerie-Altbaus.
Der goldene Westen scheint vor allem auf den frühen Fotos sehr weit weg: Hier spielen Kinder vor zerquetschten Autos und einer Neubausiedlung in Offenbach, dort lachen Arbeiterinnen in Kittelschürze bei der Frankfurter Post. Traurig ist hingegen das Gesicht einer Schneiderin einige Wandmeter weiter an ihrem letzten Arbeitstag in einem Ost-Berliner Betrieb an der Greifswalder Straße.
Klemms wichtige frühe Aufnahmen – wie etwa die dicken NPD-Ordner im Bundestagswahlkampf aus dem Jahr 1969 – sind leider nicht zu sehen. Über das NPD-Foto habe der spätere Bundespräsident Walter Scheel gesagt, es habe verhindert, dass die NPD in den Bonner Bundestag einzog, wie Barbara Klemm in einem Interview 2005 erklärte. So viel zum Glauben an die Macht von Bildern und deren politische Wirkkraft. Wenn es doch so einfach wäre, Nazis aus den Parlamenten zu halten.
Von Beginn an war Barbara Klemm mit ihren Kameras – sie hatte anfangs meist zwei über der Schulter hängen, beide von Canon, eins mit Weitwinkel- und eins mit Halb-Teleobjektiv, später dann eine Leica M6 – viel unterwegs, wollte möglichst schnell und flexibel sein, fotografierte bei natürlichem Licht. Sich selbst versteht sie als Dokumentaristin, nicht als Fotokünstlerin. Schwarz-Weiß-Fotografien bilden ihr Arbeitsmaterial – damit Schrift und Foto in der Zeitung gleichberechtigt auftreten.
Unter den vielen Motiven stechen einige besonders hervor: etwa die Menschen mittleren Alters, die auf Bänken sitzen und lachen. Hinter ihnen steht auf einer Pappe geschrieben: »Für das Leben gegen den Profit!«. Es handelt sich bei diesen gesetzt wirkenden Personen um eine Bürgerinitiative gegen das Atomkraftwerk Wyhl aus dem Jahr 1975 – das nicht gebaut wurde.
Auf Fahrten in die DDR entstanden seit Beginn der Siebziger Aufnahmen von der Leipziger Messe und der Ostseewoche, einer 1958–75 existierenden Festveranstaltung in Rostock. Mit »freundlicher Penetranz« sei sie in der DDR an die gewünschten Motive gekommen – erklärte sie unter anderem in einem Interview im Jahr 2005. Darin sprach sie auch vom enormen Druck, der herrschte, wenn sie in der Fotografentraube bei politischen Ereignissen meist als einzige Frau stand. Allerdings merkte Klemm auch, dass die fast ausschließlich männlichen Politiker – etwa der sowjetische Staatschef Leonid Breschnew – wiederum »ganz gern mal eine nette junge Frau sehen wollten. Sie machten es mir vielleicht einen Hauch leichter, mit der Kamera an sie heranzukommen.« Was allerdings auch zutraf: »Meine Professionalität wurde immer etwas unterschätzt und ich fand das ganz wunderbar, weil man dann viel besser arbeiten kann. Im Ostblock bin ich herumgelaufen wie irgendein Amateur oder eine Reisende, die so guckt und mal irgendwo draufdrückt.«
Die Ausstellung zeigt Aufnahmen von Jugendlichen am Rande des Tagebaus kurz vor Leipzig. Die Bilder von Klemms verbotenen Ausflügen in die damalige Deutsche Hochschule für Körperkultur und die Aufnahme einer sehr jungen Turnerin am Reck mit sehr viel Schaumstoffklötzern darunter ist hier nicht zu sehen.
Neben Alltäglichkeiten und Besonderheiten – Ankunft von Gastarbeitern am Frankfurter Hauptbahnhof, Berlin-Kreuzberg im Schatten der Mauer – können hier Pelzhut tragende Damen aus dem Café Kranzler in West-Berlin (1973) beim Kännchen Kaffee ebenso studiert werden wie Momentaufnahmen von Rainer Werner Fassbinder oder Rudi Dutschke. Dazu Heiner Müller mit Zigarre und Lederhausschuhen auf seinem Sofa in der Neubauwohnung am Berliner Tierpark und Helmut Kohl, wie er im Deutschen Historischen Museum Berlin als Koloss auf Kleinplastiken von Ulbricht, Lenin und Luxemburg hinabschaut.
Manche Anordnungen in der Ausstellung irritieren – so etwa die Fotos vom Wave-Gotik-Treffen 2000 in Leipzig direkt neben dem zur Beerdigung von Heiner Müller auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof 1996 oder die Wandergesellen auf einer Bank am Bodensee neben dem auf einem Sofa thronenden Vorstand der Privatbank von Metzler.
Die Ausstellung endet mit Aufnahmen aus dem Jahr 2008 – dem Blick auf das Holocaustmahnmal und die Demontage des Palastes der Republik Berlin.
> »Barbara Klemm: Helldunkel. Fotografien aus Deutschland«: bis 23.3., Galerie für Zeitgenössische Kunst
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