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Politik

»Beim Wort Work-Life-Balance bekomme ich Pickel im Gesicht«

Finanzbürgermeister Torsten Bonew über den städtischen Haushalt, Kürzungen im sozialen Bereich und die junge Generation

  »Beim Wort Work-Life-Balance bekomme ich Pickel im Gesicht« | Finanzbürgermeister Torsten Bonew über den städtischen Haushalt, Kürzungen im sozialen Bereich und die junge Generation  Foto: Torsten Bonew/Christiane Gundlach

Er habe nach unserem Interview noch drei weitere Termine, sagt Torsten Bonew. Da ist es schon 17 Uhr. Der Stress für den Finanzbürgermeister der CDU wird auch nach der Verabschiedung des Doppelhaushalts 2025/26 kaum weniger: 100 Millionen Euro muss er in den kommenden drei Jahren einsparen. Im Gespräch mit dem kreuzer plädiert er für Kürzungen im sozialen Bereich, kritisiert die junge Generation und sagt, am Ende werde schon alles gut gehen.  

Sie sind seit 2004 im Stadtrat und seit 2010 Beigeordneter für Finanzen. Wann war es zuletzt so schwierig, einen Haushalt aufzustellen? 

Zwischen 2015 und 2022 hatten wir, wenn wir die Coronakrise mal abziehen, relativ fette Jahre. Wir hatten 2014 einen schwierigen Haushalt. Der Haushalt 2010, als ich ins Amt gekommen bin, war nicht einfach. Der Doppelhaushalt 2024/25 wird als besonders schwierig eingeschätzt, weil wir durch die letzten fünf Krisenjahre mürbe sind. Man kann gar nicht mehr sagen, das ist jetzt Corona oder die Ukraine, sondern wir befinden uns in einer breiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Wer würde nicht gerne mal morgens aufwachen, ohne dass der Verrückte in den USA wieder einen Bock geschossen hat? 


Trumps Zölle, die auch die Leipziger Autoindustrie und damit Gewerbesteuereinnahmen gefährden, der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst – ist der eben erst beschlossene Haushalt schon wieder überholt? 

Nein. Wir wussten in etwa, was wir für den Tarifabschluss einpreisen mussten. 2,5 Prozent Lohnsteigerung waren bereits berücksichtigt, 2,8 Prozent haben sie für dieses Jahr beschlossen. Jetzt muss ich nicht Fan dieses Tarifabschlusses sein, insbesondere was die erhöhten Freizeitausgleiche angeht. Aber es ist zumindest ein moderaterer Abschluss als in den letzten Jahren. Der Tarifabschluss stürzt uns nicht in eine absolute Krise in Leipzig. Dasselbe trifft aktuell noch für die Zölle zu. Unsere Risiken liegen im Exportbereich. Das sind vor allem die Hersteller im Premium-Auto-Bereich und einige andere Weltmarktführer. Im Moment sehen wir da noch keine großen Verwerfungen, beobachten die Lage aber ganz intensiv.  


Da klangen Sie im Oktober aber noch pessimistischer. 

Ich habe die Risiken damals transparent aufgezeigt. Nicht jeder wollte das hören und glauben. Aktuell sehen wir, dass einige Große ihre Gewerbesteuer-Vorauszahlung aufgrund der Weltmarktlage reduziert haben, während der breite Mittelstand sehr robust ist und die Binnennachfrage momentan noch funktioniert. Vielleicht haben wir wieder Glück, dass es nicht ganz so scharf kommt wie befürchtet. 


Ist dieser Haushalt denn weiter genehmigungsfähig, wenn die Gewerbesteuereinnahmen nicht so steigen wie prognostiziert? 

Mir liegen jetzt die Zahlen für März vor: Stand heute hält es. Aber der Haushalt ist nicht nur genehmigungsfähig wegen der Gewerbesteuer, sondern auch, weil der Stadtrat beschlossen hat, dass wir ein freiwilliges Haushaltssicherungskonzept erstellen.  


100 Millionen Euro soll die Verwaltung bis 2027 einsparen.  

Genau, das ergibt sich aus dem Haushaltsdefizit der Jahre 2025/26 in Höhe von 61 Millionen Euro, das sich für 2027 fortschreiben wird. Die Landesdirektion sagt ganz deutlich: Euer Haushalt ist nur genehmigungsfähig, wenn ihr uns aufzeigen könnt, wie ihr dieses Loch innerhalb der nächsten drei Jahre wegbekommt. 


Und wie soll das gelingen? In den aktuellen Haushaltsverhandlungen wurde doch bereits um jeden Euro gerungen. 

Wir wollen die Verwaltung auf links drehen. Welche Aufgaben erfüllen wir aktuell und wie machen wir das? Gibt es Aufgaben, die wir künftig anders erfüllen, weniger oder gar nicht? Ich sehe da viele Potenziale, wie wir gemeinschaftlich in der Verwaltung effizienter arbeiten können und demzufolge automatisch Geld und Stellen sparen. Der Stadtrat hat uns aufgegeben, 500 Stellen ab 2027 zu kürzen. Das wird nicht einfach. Aber diese Verwaltung muss zukunftsfähiger werden, digitaler und effizienter.  


Wie viele Millionen kann man denn mit 500 Stellen weniger einsparen? 

Wir rechnen eine Stelle mit 70.000 Euro im Durchschnitt. Das ist der Durchschnittslohn plus Lohnnebenkosten. Hochgerechnet auf 500 Stellen bedeutet das 35 Millionen Euro, die wir einsparen.  


Vor zwei Jahren haben Sie uns gesagt, viele Aufgaben blieben auch deshalb liegen, weil die Verwaltungsmitarbeiter nicht hinterherkämen. Wie soll das denn mit 500 Stellen weniger besser werden?  

Was wir in den letzten Jahren investiv nicht geschafft haben, liegt nicht am Stellenmangel, sondern daran, dass wir vorhandene Stellen nicht besetzen konnten. Das ist jetzt ein bisschen besser geworden. Aber viele Berufseinsteiger wollen mir heute erklären, sie schaffen keine 40-Stunden-Woche mehr. Die würde ich dann eher zum Betriebsarzt schicken. Wir sind keine Leistungsgesellschaft mehr, verzocken aus meiner Sicht gerade den volkswirtschaftlichen Reichtum dieses Landes. Zudem tun wir uns schwer, große Projekte voran zu schieben, weil bei uns ganz viele ein Klagerecht haben, denen ich persönlich es nicht zugestehen würde. Wenn wir diese 500 Stellen einsparen, wird kein Projekt verlangsamt. Ganz im Gegenteil: Vielleicht erhöht das ein bisschen den Druck, an der einen oder anderen Stelle in der Digitalisierung und in der Abstimmung schneller zu werden. 


Hinzu kommt allerdings noch, dass allen Mitarbeitenden der Verwaltung laut Tarifabschluss ab 2027 ein zusätzlicher Urlaubstag zusteht. 

Diesen unsäglichen zusätzlichen Urlaubstag, den habe ich noch nicht verdaut. Ich schäme mich dafür, dass wir den jetzt im öffentlichen Tarif bekommen, weil ich das meinen Nachbarn, die hauptsächlich in der Privatwirtschaft selbstständig sind, nicht mehr erklären kann. Wir müssen gucken, wie wir damit umgehen.  


Aber dass Stellen im öffentlichen Dienst nicht besetzt werden, liegt ja auch an der Attraktivität des Berufs. Flexibilität, Work-Life-Balance – da hat die Verwaltung nachzuholen.  

Beim Wort Work-Life-Balance bekomme ich Pickel im Gesicht. Aber ja, das kann schon so sein, ich muss es ja nicht gut finden. Wir alle werden in diesem Land lernen müssen, mehr zu arbeiten, wenn wir in der Weltwirtschaft standhalten wollen. Und ich finde einen Job im öffentlichen Dienst attraktiv: mit einer 39-Stunden-Woche, einem relativ soliden Gehalt, das pünktlich kommt, einer ordentlichen Anzahl von Urlaubstagen und einer hohen Flexibilität, insbesondere durch Homeoffice. 


Zurück zu den notwendigen Einsparungen: Das Streichen von Stellen wird nicht reichen. Sie sprachen davon, dass es bei weiteren Kürzungen keine Tabus geben dürfe. 

Das Einzige, was ich ausschließen möchte, sind betriebsbedingte Kündigungen – das brauchen wir nicht. Wir haben immer etwa 350 unbesetzte Stellen. Und wir haben bei der Digitalisierung einen großen Hebel. Da muss der Bund jetzt helfen und ich hege große Hoffnung in die neue Koalition mit ihrem Digitalisierungsministerium. Alle anderen Ausgaben müssen auf den Prüfstand.  


Steht uns also eine zweite Haushaltsdebatte bevor? 

Ich gehe nicht davon aus, dass das Haushaltssicherungskonzept zur Profilierung oder Prioritätensetzung von einzelnen Fraktionen führen wird. Ich wünsche mir eine breite Mehrheit ohne profilierende Diskussionen, die nur für noch mehr Unsicherheit sorgen würden. Wahrscheinlich wird der Stadtrat uns Leitplanken auf den Weg geben: Wo darf gespart werden und wo nicht? 
 

Die größten Ausgaben hat die Stadt im sozialen Bereich. Drohen denn hier Kürzungen? 

Da muss ich einen Bogen machen. Machen wir wirklich das, was der Gesetzgeber uns vorgibt, oder haben wir in Leipzig individuelle Standards entwickelt? Die gibt es in der Jugendhilfe – beschlossen vom Jugendhilfeausschuss. Die gibt es in der Asyl-Unterbringung – beschlossen vom Stadtrat. Die könnte man auch zurückdrehen. Wir haben uns einen Betreuungsschlüssel in der Kita gegeben. Aber nicht jede Kita – so sehr ich da auch Verständnis für die Eltern habe – hat mit der gesetzlichen Pflichtleistung Kita zu tun. Das ist ein individueller Standard, den sich die Stadt Leipzig leistet. Und so kann man jedes Dezernat und dessen Pflichtleistungen durchgehen, wo es immer wieder ein bisschen Leipziger Sonderlocke gibt. 


Das klingt aber nicht gerade beruhigend für Familien in Leipzig, für Kultureinrichtungen, für geflüchtete Menschen. 

Es wird einige Dinge geben, die wir uns – anders als in den letzten zehn Jahren – nicht mehr leisten können. 


Sind Sie eigentlich froh über die neuen Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat? Kürzungen im Sozial- oder Kulturbereich sollten jetzt einfacher möglich sein, oder? 

Es ist anstrengender geworden, weil die Mehrheitsverhältnisse nie eindeutig sind. Am Morgen des 12. März war nicht klar, ob ich eine Mehrheit für den Haushalt kriege. Und auf der anderen Seite weiß ich gar nicht, ob der alte Stadtrat angesichts dieser Kassenlage nicht auch so gehandelt hätte.  


Es hat also gar keinen Unterschied gemacht, dass die CDU jetzt mitbeteiligt war? 

Als CDU-Mitglied finde ich es schön, dass wir jetzt stärkste Kraft sind. Aber am meisten hat mich eigentlich gefreut, dass wir diesen Haushalt in der parlamentarischen Mitte bekommen haben, dass Linke, Grüne, SPD, CDU – bei aller Polemik und allem Streit – am Ende des Tages gesagt haben: Wir dienen alle zusammen unserer Stadt und raufen uns zusammen.  


Dass die Linke zur parlamentarischen Mitte gehört, kann man als CDU-Politiker auch nur sagen, wenn man in Leipzig arbeitet. 

Ich habe mir mein Recht, meine Meinung zu sagen, unter Einsatz meines Lebens als 18-Jähriger auf dem Leipziger Innenstadtring erkämpft. Ich lasse mir nicht sagen, was ich zu sagen habe. 


Fast hätte Ihre CDU einem AfD-Antrag zur Mehrheit verholfen, dem Referat Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt Stellen zu streichen. Hätten Sie sich über solche Stellenkürzungen vom Stadtrat gefreut? 

Ich habe es mir längst abgewöhnt, mir Anträge dahingehend anzugucken, wer sie gestellt hat. Ich habe jedes demokratische Wahlergebnis in diesem Stadtrat zu akzeptieren. 


Sie hätten also keine Bauchschmerzen, einen AfD-Antrag umzusetzen?  

Das entspricht nicht meiner Stellenbeschreibung. Ich kann mir als Privatperson meine Gedanken machen. Aber als überparteilich agierender Bürgermeister dieser Stadt habe ich alle Beschlüsse umzusetzen. 


Wie haben Sie eigentlich auf die Kürzungsanträge in der freien Szene geblickt, die dazu beiträgt, dass Menschen nach Leipzig kommen und Ihre Kasse füllen? 

Ohne jetzt der einen oder anderen Institution ihre Existenz absprechen zu wollen: Ich habe noch keinen Experten gefunden, der mir exakt erklärt hat, warum Touristen nach Leipzig kommen. Ich bin mir nicht so sicher, ob die freie Kulturszene wirklich 4,3 Millionen Übernachtungen pro Jahr verursacht. Generell war ja die Diskussion: Können wir uns denn leisten, die krisenbedingte Sonderzahlung des letzten Haushalts aufrechtzuerhalten? Wenn es die Kasse nicht hergibt, müsste man eigentlich sagen: Nein, das war eine Sonderzahlung.  


Die Krise in der Kultur hält ja aber an: Gestiegene Kosten für Personal, Spielstätten und so weiter.  

Das trifft meinen Nachbarn, der Klempner ist, aber auch und der hat keine Lobby im Stadtrat. Wir müssen uns als Erstes um die kümmern, die das Geld erwirtschaften. 


Und das ist nicht die Kulturszene? 

Wenn sie Steuergelder bekommt: nein. Dann ist es zuerst die Wirtschaft, die Steuern zahlt. 


Die grundlegenden Vorgaben für diesen Haushalt hat Ihnen OBM Jung gemacht. Wäre es ohne diese Vorgaben eigentlich leichter für Sie? 

Gehen Sie mal davon aus, dass ein Oberbürgermeister und sein Kämmerer ein relativ gutes Verhältnis miteinander haben. Da gibt es keine Diskrepanz. Vielleicht bei einzelnen Themen, aber dafür ist er der Oberbürgermeister und ich wollte es nicht sein.  


Was erhoffen Sie sich denn von den noch ausstehenden Haushalten in Berlin und Dresden? 

Ich erhoffe mir insbesondere von der neuen Bundesregierung das, was sie versprochen hat: dass ein Investitionspaket kommt. Aber es ist weniger das Geld, auf das ich hoffe, sondern eher verkürzte Planungszeiten, eingeschränktes Verbandsklagerecht, mehr Digitalisierung und mehr Flexibilisierung. Generell die Staatsmodernisierung in unserem Land. Das könnte der richtige Booster werden. Und im Doppelhaushalt 25/26 des Freistaates sind die Eckpunkte bekannt. Daran hängt nicht Wohl und Wehe der sächsischen Kommunen.  


Aber es gäbe ja eigentlich noch Spielraum. Leipzig nimmt jährlich mehrere hundert Millionen Euro an Schulden auf. Sachsen dürfte jetzt auch wieder Schulden machen nach der Schuldenbremsen-Reform – das will die CDU aber nicht. Ist das nicht ungerecht? 

Wäre es gerechter, jetzt Schulden aufzunehmen, die mein 8-jähriger Sohn in 30 Jahren abzahlen muss? 


Das könnten wir Sie als Finanzbürgermeister ja auch fragen, der für Leipzig Schulden aufnimmt. 

Also, ich habe vor dem 500-Milliarden-Paket große Achtung, weil: Das sind ja Kredite, die nachfolgende Generation zurückzahlen müssen. Entweder durch höhere Steuern oder durch niedrigere Staatsleistungen. Wenn es uns nicht gelingt, das Ganze in Wirtschaftswachstum umzumünzen, haben wir ein Problem. Ich denke, dass der Freistaat mit seiner soliden Finanzpolitik bewiesen hat, wie man es besser macht. 


Ihr 8-jähriger Sohn möchte aber auch über Brücken laufen können, egal ob in Leipzig oder in Dresden. 

Es ist ja immer die Frage: Was leisten wir uns in diesem Land? Ist es die Entscheidung zwischen Schulden und Brücken oder ist es die Entscheidung zwischen Schulden, Brücken und konsumtiven Ausgaben? Müssen wir akzeptieren, dass es in diesem Land 25-Jährige gibt, die keinen Job suchen bzw. wollen und von Bürgergeld gut leben? 


Aber der Freistaat würde keine Schulden aufnehmen, um das Bürgergeld zu bezahlen. 

Wir haben aber andere konsumtive Ausgaben in diesem Haushalt, die man zurücknehmen könnte. Beispiel: Wir haben drei unterschiedliche Fachförderrichtlinien für Bürgerbeteiligung. Mitbekommen hat das der Bürger im Freistaat überhaupt nicht. Die kann man alle drei ersatzlos streichen und das Geld bitte schön in Schulen stecken.  


Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass auch in anderthalb Jahren der jetzt beschlossene Haushalt noch steht? 

Was kann uns denn passieren? Das Haushaltsvolumen sind 2,8 Milliarden Euro pro Jahr. Der größte Posten ist die Gewerbesteuer, die uns die Füße weghauen könnte. Da rechnen wir aktuell mit 650 Millionen Euro in diesem und 690 Millionen im nächsten Jahr. Wenn uns da am Ende 100 Millionen fehlen, dann sind das trotzdem nur 3,6 Prozent vom Haushaltsgesamtvolumen. Am Ende des Jahres 2026 wird der Haushalt schon stehen. Die Frage ist, ob wir 50 Millionen drüber oder 50 Millionen drunter liegen. Meine Aufgabe ist, das so halbwegs auszugleichen.  
 

Wollen Sie den nächsten Doppelhaushalt eigentlich als OBM verabschieden? 

Nein. 


Und mit einem CDU-Oberbürgermeister Sebastian Gemkow? 

Der Oberbürgermeister wird aller Voraussicht nach am ersten März-Wochenende 2027 im zweiten Wahlgang gewählt. Der Demokrat Torsten Bonew sagt: Mit dem, der dort gewählt wird, arbeite ich gern zusammen. 


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