Piraten sind heutzutage nicht immer schwarz angezogen. Manche beschäftigen sich mit den Folgen des Internets für die Gesellschaft – und sie wollen in den Landtag
Piraten sind heutzutage nicht immer schwarz angezogen. Manche beschäftigen sich mit den Folgen des Internets für die Gesellschaft – und sie wollen in den Landtag.
Während allenthalben von Politik- und vor allem Parteienverdrossenheit gesprochen wird, gibt es eine Partei, die ihre Mitgliederzahlen in Sachsen binnen weniger Wochen verfünffacht: die Piratenpartei. Sie versteht sich als Bürgerrechtspartei im digitalen Zeitalter und scheint mit ihrem Slogan »Klarmachen zum Ändern!« gerade bei den jüngeren Wählern einen Nerv zu treffen. Sie befasst sich vor allem mit den Folgen des Internets für die Gesellschaft. Zentrale Aspekte des Programms sind daher die Stärkung der Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, besonders was Privatsphäre und Datenschutz betrifft, die Transparenz staatlicher Strukturen und staatlichen Handelns und die Fragen nach der Neugestaltung von Urheber- und Verwertungsrechten.
»Wir sind die Antwort auf die digitale Revolution«, sagt Mirco da Silva, Spitzenkandidat der Piraten für den Sächsischen Landtag. »Das Internet bietet gute Möglichkeiten, aber auch große Gefahren. Da wollen wir die Gesetzgebung nicht Leuten überlassen, die nichts davon verstehen.« »Internetausdrucker« heißen solche Leute übrigens im Piratenjargon.
Noch im März schien die Partei kaum existent: »Leipziger Piraten?« ist ein Thread im Forum des sächsischen Landesverbandes überschrieben. Ein Pirat von der Elbe will wissen, ob es in Leipzig Gleichgesinnte gibt. »Nun ja, in Leipzig gibt es Andreas, sonst würde mir nicht mehr viel einfallen«, lautet die ernüchternde Antwort.
Heute ist besagter Andreas, der Romeyke mit Nachnamen heißt, nicht mehr allein: »Bis zum März waren wir 20 sächsische Piraten, davon waren fünf aktiv. Inzwischen sind es 120 Piraten – in Leipzig 25 neue – und wir haben sehr viele Sympathisanten, die einfach so mitmachen wollen«, erzählt der Softwareentwickler, der Gründungsmitglied des sächsischen Landesverbandes ist und darüber hinaus im Bundesschiedsgericht seiner Partei sitzt. Einen Ortsverband Leipzig gibt es zwar immer noch nicht, aber das soll sich bald ändern. Die Vorgespräche für die Gründung laufen schon, auch ein Entwurf für eine Satzung existiert bereits.
Ausschlaggebend für diese Entwicklung war laut Romeyke der Erfolg der Piraten bei den Europawahlen. Immerhin 229.464 Stimmen entfielen auf die im September 2006 in Berlin gegründete Partei, das sind bundesweit 0,9 Prozent. In Leipzig überzeugten die Piraten bei der Europawahl gar 1,7 Prozent der Wähler. »Uns hat dieser Erfolg auch etwas überrascht«, gibt Romeyke zu.
Denn die Folgen der bis vor kurzem noch sehr dünnen Personaldecke sind immer noch zu spüren. So umfasst die Liste der Piraten für die Landtagswahl gerade mal vier Kandidaten, von denen einer noch nicht einmal Parteimitglied ist – um im Landtag eine Fraktion zu bilden, sind aber mindestens sechs Abgeordnete vonnöten. Zur Bundestagswahl treten die sächsischen Piraten gar nicht erst an. Es schien zum damaligen Zeitpunkt noch aussichtslos, zu fünft bis zum Stichtag die notwendigen 2.000 Unterstützerunterschriften zu sammeln.
Inzwischen träumen die Piraten davon, im Bund und im Land die Fünfprozenthürde zu nehmen – doch auch schon ein bis drei Prozent wären ein schöner Achtungserfolg für die junge Partei, zumal die Wahlbeteiligung bei den kommenden Wahlen höher sein wird, sagt Mirco da Silva. Er hat auch für den mangelnden Fraktionsstatus gleich eine Lösung parat, die seinem Namen als Pirat alle Ehre macht: Er will Abgeordnete von anderen Parteien abwerben, um das halbe Dutzend voll zu machen. Einige hätten auch schon von sich aus mit ihm Kontakt aufgenommen und Interesse gezeigt, so da Silva.
Kaum eine andere Partei ist derzeit so nah an den Themen dran, die mehr und mehr Blogs und Feuilletons bestimmen: eben allem, was mit der Digitalisierung zu tun hat. Vor allem die Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung und die Sperrung von Internetseiten sind den Piraten ein Dorn im Auge und werden als eine Gefahr für die Demokratie und Meinungsfreiheit wahrgenommen. Gerade Letzteres habe bei den Verwertungsgesellschaften bereits Begehrlichkeiten geweckt und würde der Zensur Tür und Tor öffnen. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, die für das Gesetz verantwortlich zeichnet, wird daher wenig liebevoll Zensursula genannt.
Die Piraten wehren sich aber heftig gegen den häufig geäußerten Vorwurf, sie wollten das Urheberrecht abschaffen und Künstler im Regen stehen lassen. »Uns geht es nicht um Urheberrechte, sondern um Verwertungsrechte«, sagt da Silva. Sie wollen neue Vermarktungsmodelle für Künstler finden, ohne dabei den User und die Privatkopie zu kriminalisieren. Eine – nicht besonders neue – Idee ist dabei, das Kopieren von Musik zu nicht-kommerziellen Zwecken freizugeben und als Gratiswerbung zu verstehen. Die Künstler könnten dann von ihren Konzerten oder vom Merchandise leben.
Die Stärke der Piraten ist die Schwäche der anderen Parteien, die die gesellschaftlichen Veränderungen, die das Internet mit sich bringt, immer noch nicht ausreichend thematisiert haben. Und die Piraten haben durchaus recht, wenn sie die Unkenntnis mancher Politiker kritisieren. Sie haben sich ein hochbrisantes Themenfeld zu eigen gemacht und versuchen, ihm in der Politik die Bedeutung beizumessen, die es verdient.
Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Umwelt- oder Sozialpolitik sucht man bei den Piraten allerdings vergeblich. Auf dem letzten Bundesparteitag, der Anfang Juli in Hamburg stattfand, wurde das Programm noch um ein paar bildungspolitische Punkte ergänzt, aber ansonsten bleibt es recht monothematisch.
Auch die Frage, ob die Konzentration auf einige wenige Punkte ein Vor- oder Nachteil ist, ist noch nicht abschließend diskutiert. Die einen möchten gerne das bestehende Programm langsam weiter ausbauen, andere halten gerade die Konzentration auf die Schwerpunkte für wichtig und alles andere für eine Verwässerung ihres Anliegens. Noch ist also nicht ganz klar, wohin sich die Partei entwickeln wird. Speziell dieser Punkt macht es dem Wähler nicht leicht, abzuschätzen, was er – abseits von den Piratenthemen – wirklich bekommt, wenn er einen Piraten wählt.
Damit sich aber die potenziellen Wähler dennoch ein Bild von ihnen machen können, soll in Sachsen demnächst für jeden Kandidaten ein eigenes Blog eingerichtet werden. Zum Beispiel für Michael Winkler. Er kandidiert auf dem zweiten Listenplatz und ist nach eigener Aussage ein »Pirat im Herzen«, hat aber derart schlechte Erfahrungen mit Vereinsmeierei gemacht, dass er sich der Partei nicht anschließen will. Doch besonders das Thema Transparenz liegt ihm sehr am Herzen. In Dresden ist Winkler kein Unbekannter. Der studierte Kartograf hatte sich im vergangenen Jahr bereits für das Amt des Oberbürgermeisters beworben, seine Kandidatur scheiterte letzten Endes jedoch daran, dass er die 300 Unterschriften von Unterstützern nicht zusammenbekam. Dennoch war die ganze Aktion eine lohnende Erfahrung, wie er findet. Ein weiteres Thema, das ihm sehr am Herzen liegt, ist das Grundeinkommen – und damit verlässt er ganz eindeutig Piratengewässer.
Doch neben den Themen ist es vor allem die politische Kultur, die die Piratenpartei von anderen Parteien unterscheidet. Denn der Löwenanteil ihrer politischen Arbeit wird im Internet geleistet. Hier wird nicht in endlosen Versammlungen, sondern auf Mailinglisten, in Chats und Foren online diskutiert. Und das öffentlich: In die Mailinglisten kann sich jeder eintragen, der Interesse hat, auch das Wiki und die Foren sind frei zugänglich. Diese Offenheit soll Vertrauen schaffen und setzt voraus, dass die Mitleser mündig genug sind, sich selbst ein Urteil zu bilden. Gerade diese Offenheit, Transparenz und die Nutzung des Internet sind für viele junge, technik-affine Menschen Knackpunkte ihres sich mehr und mehr digitalisierenden Lebens.
»Ich denke, wir sprechen mit unseren Themen und unserer Diskussionskultur viele an, die vorher nicht gewählt haben«, sagt Andreas Romeyke. »Die sagen jetzt: Schön, dass sich mal einer unserer Bedürfnisse annimmt und die Transparenz auf die Agenda setzt.« Doch die Offenheit hat auch Nachteile: So spielen sich alle Streitereien, persönlichen Animositäten und Vereinsmeierei (die immer dann auftritt, wenn sich eine Gruppe Menschen zusammentut, um gemeinsam Kaninchen zu züchten oder die Welt zu verändern) ebenfalls öffentlich ab. So ist der sächsischen Mailingliste zu entnehmen, dass sich derzeit der Landesvorstand und der Spitzenkandidat Mirco da Silva derzeit nicht unbedingt grün sind. Und auch andere Themen werden sehr kontrovers diskutiert. Dementsprechend schroff ist der Tonfall mancher Mails und Postings.
Da Silva selbst möchte das aber nicht überbewertet wissen. Das gehöre eben zu einer so jungen Partei dazu, dass man ab und an mal unterschiedlicher Meinung sei, wie die Partei zu führen sei. Und: »Wir sind wahrscheinlich die transparenteste Partei der Parteiengeschichte Deutschlands. Diese Transparenz ist für mich eine vertrauensbildende Maßnahme dem Wähler gegenüber und war für mich ausschlaggebend, dass ich mich bei den Piraten engagiere.«
Bei den Vorbereitungstreffen begegnen sich dann diejenigen von Angesicht zu Angesicht, die sich bisher nur aus dem Netz kannten. So ganz ohne direkten Kontakt geht es ja dann doch nicht. Etwa zwanzig größtenteils junge Männer und immerhin eine Frau haben sich im Keller des U Fleku auf der Karli versammelt. Viele sind zum ersten Mal hier und wollen nur mal reinschauen, andere berichten stolz, nun auch offiziell Piraten zu sein. »Haben wir uns schon mal gelesen?«, ist der Satz des Abends.
Die Stimmung ist aufgeschlossen, und die Piraten zeigen, wie offen sie wirklich sind: Als erster Tagesordnungspunkt wird besprochen, ob bei dem Treffen die Presse anwesend sein darf – und zwar in Anwesenheit derselben. Gelebte Transparenz. Außerdem muss der Wahlkampf organisiert werden. Thomas Herzog, sächsischer Generalsekretär und frischgebackener Leipziger, beschwört die Runde: »Wir brauchen noch Leute für den Vorstand und das Schiedsgericht, also kandidiert!« Kein Zweifel: Die haben noch was vor.