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Politik

»Es war langweilig«

Der Politikwissenschaftler Andreas Anter über den Wiedereinzug der NPD in den Landtag, die niedrige Wahlbeteiligung und die Misere der sächsischen SPD

  »Es war langweilig« | Der Politikwissenschaftler Andreas Anter über den Wiedereinzug der NPD in den Landtag, die niedrige Wahlbeteiligung und die Misere der sächsischen SPD

Sachsen hat gewählt – und es ist neben einer schwarz-gelben Regierung wenig Überraschendes dabei herausgekommen. Der Politikwissenschaftler Andreas Anter von der Uni Leipzig kommentiert im aktuellen kreuzer-Heft das Wahlergebnis. kreuzer online veröffentlicht das Gespräch in voller Länge.

Sachsen hat gewählt – und es ist neben einer schwarz-gelben Regierung wenig Überraschendes dabei herausgekommen. Der Politikwissenschaftler Andreas Anter von der Uni Leipzig kommentiert im aktuellen kreuzer-Heft das Wahlergebnis. kreuzer online veröffentlicht das Gespräch in voller Länge.

kreuzer: 52,2 Prozent Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen. Müssen wir uns Sorgen um unsere Demokratie machen?

ANDREAS ANTER: Das glaube ich nicht. Es kommt ja immer darauf an, was und wo gewählt wird, und ob das, was zur Wahl steht, interessant ist. Es gab Landtagswahlen in Thüringen und im Saarland, wo die Wahlbeteiligung – vor allem im Saarland – relativ hoch war. In Sachsen war sie niedrig. Da spielen landespolitische Gründe eine Rolle.

kreuzer: Sie meinen, die Wahl in Sachsen war nicht interessant genug?

ANTER: Es war langweilig. Die Ergebnisse waren sehr absehbar. Es war bereits klar, dass es für eine schwarz-gelbe Koalition reicht.

kreuzer: Stanislav Tillich scheint die Debatte um seine Blockflötenvergangenheit überhaupt nicht geschadet zu haben.

ANTER: Nein, gar nicht, weil es gar keine echte Debatte gab. Dazu muss es substanzielle Kritik geben, die in irgendeiner Weise ehrenrührig ist, wie es etwa bei Manfred Stolpe wohl der Fall war. Bei Tillich gab es Kontakte, aber er hat versucht, glaubhaft zu machen, dass sie durch seine dienstliche Tätigkeit unvermeidbar waren.

kreuzer: Warum bekommen die Sozialdemokraten in Sachsen kein Bein auf den Boden?

ANTER: Die Schwäche der SPD in Sachsen ist auch für die Parteienforschung ein Phänomen. Es gibt dafür nicht nur einen Grund, sondern eher ein Motivbündel: Da spielt sicherlich das Versäumnis der Bundes-SPD eine Rolle, ab 1990 die Partei nicht stark genug aufgebaut zu haben. Man hat sich personell schwer getan, während die CDU nichts hat anbrennen lassen. Die hatte mit Biedenkopf eine sehr populäre Figur. Das ist ein zweiter Grund: Mit seiner landesväterlichen Attitüde und seiner erfolgreichen Politik über 10 Jahre hinweg hat er die SPD marginalisiert. Dass sich jemand wie Wolfgang Tiefensee geweigert hat, als Kandidat bei den Landtagswahlen aufgestellt zu werden, ist ja ein Indiz dafür.

kreuzer: Hat die SPD Sachsen als CDU-Territorium akzeptiert?

ANTER: Offenbar ja. Es fehlt an engagierten, auch bundespolitisch unterstützten Aktionen, und es fehlt auch an einem Spitzenkandidaten, der das Potential hätte, Wähler mitzureißen oder Mitglieder zu motivieren. Thomas Jurk ist beispielsweise viel zu wenig mitreißend aufgetreten und hat viel zu wenig ausstrahlt, als dass sich Leute für ihn ins Zeug gelegt hätten.

kreuzer: Gerade im Westen versteht man oft nicht, warum jeder fünfte Sachse die SED-Nachfolgepartei gewählt hat.

ANTER: Die Linkspartei hat es geschafft, sich selber als Anwältin der Ostdeutschen zu verkaufen. Die Abgrenzung gegenüber dem Westen und das Erzeugen von einem Wir-Gefühl spielt eine ganz starke Rolle. Der dauerhafte Erfolg der Linkspartei ist für die Parteienforschung überraschend, man hielt die PDS anfangs für ein Übergangsphänomen: Durch die Wendezeit gab es für viele eine große biographische Verunsicherung und wirtschaftliche Probleme. Das führte dazu, dass viele Wähler am Anfang einer Partei treu blieben, die sie kannten, selbst wenn sie von ihr drangsaliert worden waren. Die Annahme aber, dass die Partei verschwinden werde, hat sich als großer Irrtum herausgestellt.

kreuzer: Warum profitiert ausgerechnet die FDP, die sich immer gegen eine Kontrolle von Märkten ausgesprochen hat, von einer Wirtschaftskrise, die genau an dieser fehlenden Kontrolle hing?

ANTER: Das hat in erster Linie mit einem Wandel der FDP selber zu tun. Sie hatte sich zeitweise selbst marginalisiert. Von ihrem Erscheinungsbild her war sie eine West- und Spaßpartei – das passte nicht in ein Land, in dem es viele ernsthafte Probleme gab. Bei der sächsischen Landtagswahl 1994 erreichte sie 1,7 Prozent; der Tiefpunkt war 1999 mit 1,1 Prozent erreicht. Inzwischen hat sie auch in anderen ostdeutschen Ländern Erfolg. Sie hat auf eine bestimmte Wählerklientel gesetzt, die mit der Zeit auch entstanden ist: Selbstständige, Freiberufler, Leute, die politisch liberal gestimmt sind. Zudem hat sich die Bundespartei stark darum bemüht, das alte, »neoliberale« Erscheinungsbild abzustreifen und als ernsthaft und verantwortungsbewusst aufzutreten – ohne die Staatsfeindlichkeit und das marktradikale Konzept, das sie vor kurzem noch vertreten haben.

kreuzer: Wenn sich hier mit der Zeit eine Klientel für die FDP entwickelt hat, gilt ähnliches dann auch für die Grünen?

ANTER: Absolut. Diese Entwicklung bei den beiden Parteien zeigt eine Angleichung an den Westen – von den Parteipräferenzen und den Lebensverhältnissen her.

kreuzer: Kommen wir zur NPD. Die gehört zwar zu den Wahlverlierern, hat aber trotzdem zum ersten Mal in ihrer Geschichte Landtagsmandate verteidigt. Wie ist das zu bewerten? Hat sie jetzt eine Stammklientel?

ANTER: Davon kann man ausgehen. Bei den letzten Landtagswahlen hatte die NPD 9,2 Prozent geholt, da war ein großer Teil an Protestwählern dabei. Die haben vermutlich dieses mal nicht mehr NPD gewählt, da sich ihre absolute Stimmenzahl fast halbiert hat. Das ist natürlich eigentlich kein Erfolg. Wenn man an das Erscheinungsbild der NPD denkt, ist die Wiederwahl eigentlich erstaunlich. Sie hat sich im Landtag vollkommen blamiert und gezeigt, dass sie von ihrem Personal her nicht politikfähig ist. Das ist keine Fraktion, von der man erwarten kann, dass sie erfolgreiche parlamentarische Arbeit leisten kann – mal ganz unabhängig von den politischen Inhalten.

kreuzer: Der Fraktionsvorsitzende Holger Apfel betont immer wieder, die NPD sei eine Weltanschauungspartei. Ist das so?

ANTER: Ja. Es ist eine ganz klar ausländerfeindliche, ressentimentgeladene, national orientierte Weltanschauung, die ihr zugrunde liegt. Ein Großteil ihrer Wähler teilt diese Weltanschauung und die NPD trägt das ja auch mit einer bemerkenswerten Offenheit vor sich her. Damit versucht sie, Stimmen zu gewinnen.

kreuzer: Welche Konsequenzen hat der Wiedereinzug der NPD in den Landtag? Gibt es da irgendwelche Boni? Führt das zu einer Normalisierung?

ANTER: Nein, ich glaube, eine Normalisierung wird es nicht geben. Es hat sich jetzt auch unmittelbar nach den Landtagswahlen gezeigt, dass die NPD im Landtag isoliert ist. Entscheidend scheint mir der finanzielle Gesichtspunkt zu sein. Eine Partei, die einen Wiedereinzug in einen Landtag schafft, besonderes Anrecht auf Stiftungsmittel, und sie profitiert weiterhin von der Wahlkampfkostenerstattung. So erlebt die NPD nicht das finanzielle Desaster, das eingetreten wäre, wenn sie nicht wieder eingezogen wäre.

kreuzer: Warum ist die NPD ausgerechnet im Osten so erfolgreich?

ANTER: Es wird ja nicht nur in Ostdeutschland rechts gewählt. Überall haben rechte Parteien im Landtag gesessen, sind aber bei der nächsten Wahl immer wieder rausgeflogen. Das ist jetzt in Sachsen zum ersten Mal anders. Man kann ganz klar sehen, dass die NPD hier eine im rechten Parteienspektrum neue Strategie fährt: Ihre Leute treten wie Sozialarbeiter auf und machen in strukturschwachen Gegenden wie der Sächsischen Schweiz Jugendarbeit, stehen für Hilfsleistungen bereit und sind Ansprechpartner. Auf diese Weise versucht die NPD, sich in der Bevölkerung zu verankern, sich als wählbar hinzustellen. Das trägt offenbar Früchte. Sie nutzt hier eine Lücke, die die anderen Parteien lassen.

kreuzer: Nach der Wahl kam prompt wieder die Forderung nach einem Verbot auf. Ist das sinnvoll?

ANTER: Das ist ein Reflex. Es kostet ja auch nichts, ein Parteiverbot zu fordern. Niemand verlangt eine Rechenschaft darüber, wie die Folgekosten sind. Indem man eine Partei verbietet, löst man aber bestenfalls den finanziellen und den publikumswirksamen Teil des Problems. Die Partei hat dann nicht mehr diese Öffentlichkeit, die sie sonst bei Wahlen hätte. Aber die politischen Einstellungen, die ihrer Wahl zugrunde liegen, lösen sich nicht auf – und das ist das eigentliche Problem. Hier müsste die Arbeit eigentlich ansetzen. Aber auch das sagt sich natürlich sehr leicht. In den meisten europäischen Ländern gibt es einen relativ konstanten Anteil der Wahlberechtigten, die von ihrer Einstellung her ein Potential für rechte Parteien bieten. Die Frage ist nur: Wie geht man damit um, welche Rolle spielt dieses Publikum in der Öffentlichkeit, wie gefährlich sind die jeweiligen Inhalte, die verbreitet werden? Und in dieser Hinsicht ist das Parteiverbot eher nicht sehr geeignet. Das Scheitern des letzten Versuchs im Jahre 2001 zeigt ziemlich klar, wie ungeeignet das ist.

kreuzer: Kommen wir zu einer erfreulicheren Partei: Die Piraten haben aus dem Stand 1,9 Prozent der Stimmen geholt. Was ist das für ein Phänomen?

ANTER: Das ist das Pendant zur neuen Ernsthaftigkeit. Es gibt eine ganze Reihe von Parteien, die bewusst darauf setzen, die Ernsthaftigkeit der Politik vorzuführen und als anarchische Partei aufzutreten, wie auch z.B. die Partei von Martin Sonneborn von der Titanic, die nur »Die Partei« heißt.

kreuzer: Aber haben die Piraten nicht auch ein echtes Anliegen? Ist die Frage, wie wir als Gesellschaft auf die digitale Revolution reagieren, nicht legitim?

ANTER: Ich glaube ja, aber als Wahlprogramm ist das ja doch ein sehr schmaler Ausschnitt.

kreuzer: Nach der Landtagswahl kommen immer die Bundespolitiker an und deuten die Wahlergebnisse aus. Wie aufschlussreich sind die denn für den Bund?

ANTER: Schon allein, weil durch den Bundesrat die Landtagswahlen eine Rolle für die Bundespolitik spielen, sind sie wichtig und werden immer sehr stark beachtet. Gerade nach den letzten Wahlen gab es eine vergleichsweise lustige Konstellation, weil alle Parteien sich hingestellt und gesagt haben: Wir haben gewonnen. Das ist in dieser Klarheit selten der Fall. Die Wahlergebnisse sind immer vielseitig interpretierbar. Frank-Walter Steinmeier hat direkt nach diesen drei Landtagswahlen gesagt, dass diese zeigen würden, dass der Wähler schwarz-gelb nicht will. Die Tatsache, dass »der Wähler« in Sachsen gerade schwarz-gelb gewählt hat, interessiert ihn nicht, weil er ins Saarland oder nach Thüringen schaut. Angela Merkel wird daraus völlig andere Schlüsse ziehen.


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