Die Debatten um Asylbewerberheime und Moscheebau zeigen: Rassistische Ressentiments sind tief in der Gesellschaft verwurzelt.
Leipzig ist eine weltoffene Stadt. Behauptet zumindest der Oberbürgermeister immer wieder. Doch wer einmal dabei war, wenn die Stadt zu einem Informationsabend zum Bau einer Moschee oder auch einer Asylbewerberunterkunft einlädt, der kann an dieser Aussage schon Zweifel bekommen. Denn obwohl bei solchen Veranstaltungen die meisten Besucher mit verschränkten Armen dasitzen und sich mit mehr oder weniger großer Skepsis anhören, was Vertreter der Stadt und ihre Mitmenschen zu sagen haben, gelingt es einer Minderheit oft genug, den Saal in einen Hexenkessel zu verwandeln, durch den Wut und Hass schwappen. Dabei sind es gar nicht nur die dumpfen »Deutsche zuerst«-Sprüche der NPD oder die vollkommen absurden, aber altbekannten »Wir haben nichts gegen Ausländer, aber wollen sie nicht in unserem Viertel«-Phrasen, die erschrecken.
Buh-Rufe gegen moralische Pflicht
Es ist vielmehr die Tatsache, dass, wenn Sozialbürgermeister Fabian bei solchen Versammlungen von der moralischen Pflicht spricht, Menschen, die Hilfe brauchen, aufzunehmen, ein signifikanter Teil der Besucher anfängt zu buhen. Ernsthaft. Zu buhen. Sicherlich: Die NPD und andere ideologisch verfestigte Nazis tun ihr Möglichstes, um die Menge bei solchen Bürgerversammlungen aufzupeitschen. Aber man muss sich mal vor Augen führen, was ein Buh an dieser Stelle bedeutet: Es gibt offenbar Leute in dieser Stadt, die andere Menschen – Männer, Frauen und sogar Kinder – lieber Folter erleiden und einen gewaltsamen Tod sterben lassen wollen, als sie kurzzeitig in ihrer Nachbarschaft wohnen zu lassen. Und das zeigen sie ganz offen und fühlen sich im Recht. Diese Kaltherzigkeit ist es, die Angst macht. Unwillkürlich zieht man den Kopf ein, sinkt tiefer in seinen Stuhl und meint zu begreifen, wie Pogrome entstehen.
Daher ist das Auftauchen der NPD in solchen Fällen eigentlich wahnsinnig bequem. Man hat jemanden, gegen den man demonstrieren und auf den man zeigen kann, mit dem man aber gar nicht erst reden muss. Denn erstens ist deren Position ohnehin klar und zweitens sind das ideologisch gefestigte Nazis, denen man ihren Rassismus und ihre Menschenverachtung auch mit sehr vielen guten Worten nicht ausreden kann. Aber vor allem sind es gesellschaftliche Außenseiter. Indem man ihnen die Schuld gibt, kann man sich sparen, sich mit der Gesellschaft selbst auseinanderzusetzen. Doch genau darin liegt der Fehler.
Nun soll damit nicht gesagt sein, dass man nicht gegen die NPD demonstrieren soll – im Gegenteil.
Bürger sehen sich als Opfer
Es ist notwendig, sich den Nazis in den Weg zu stellen, wo immer sie sind, und ihnen deutlich zu machen, dass man ihre Meinungen und politischen Ziele für abscheulich hält. Mindestens genauso wichtig ist es, den Flüchtlingen, die nach Leipzig kommen – und auch jeder anderen Menschengruppe, die sich den Hass der Nazis zugezogen hat, weil sie nicht in ihre Welt passt –, zu zeigen, dass man sie mit den Hetzern nicht alleine lässt. Insofern war es ein schönes und wichtiges Signal, als am 7. Dezember in Schönefeld 500 Menschen verhindert haben, dass die NPD die frisch eingezogenen Flüchtlinge durch ihre schiere physische Anwesenheit bedroht.
Doch es ist nicht das kleine Häuflein an ideologisch gefestigten und parteilich organisierten Nazis, so unappetitlich die auch sind, das Sorge bereitet. Es sind vielmehr diejenigen Bürger der Stadt, die ihrer Angst- und Hasskampagne auf den Leim gehen. Menschen, die sich selbst als Opfer sehen, obwohl ihnen nichts weiter abverlangt wird, als Menschen anderer Herkunft oder Konfession mit der zivilisierten Indifferenz der Großstadt zu begegnen. Und die dann in vermeintlicher Notwehr umso enthemmter losschlagen – oder, was noch häufiger passiert, Aggressionen gegen die vermeintlich »Fremden« mehr oder weniger stillschweigend dulden. Leute, die den Schweinekopf-Anschlag für eine legitime Reaktion auf die angebliche Islamisierung von Gohlis halten. Das sind keine ideologisch gefestigten Nazis, keine politischen Aktivisten, sondern ganz normale Menschen, die sich selbst vielleicht als konservativ, liberal oder gar links beschreiben würden, die die NPD vermutlich ablehnen und doch ein riesiges Bündel rassistischer Ressentiments mit sich herumschleppen. Die ernsthaft der Überzeugung sind, dass sich ihr Leben nachteilig verändert, wenn in ihrer Nachbarschaft Muslime beten oder Flüchtlinge ein temporäres Zuhause finden. Und die dann zutiefst beleidigt sind und sich diffamiert fühlen, wenn man ihren Rassismus auch Rassismus nennt. Davon gibt es leider sehr viele. In dieser Opferkonstruktion kann man den Rassismus der Mitte der Gesellschaft, von dem man so viel liest, live und in Aktion beobachten.
Da geht dann auch ganz nebenbei jeglicher Sinn für Relationen verloren: Hier suchen Menschen Schutz, die Krieg und Folter erlebt haben, die ihr Zuhause und oft genug auch Familienmitglieder und Freunde verloren haben. Und dann gibt es Leute, die im vertrauten Komfort ihrer beschaulichen Reihenhaussiedlung in Leipzig der felsenfesten Überzeugung sind, hier die eigentlichen Opfer zu sein, weil die Verwaltung sie angeblich zwei Wochen zu spät über eine Notunterkunft in ihrem Viertel informiert hat.
Hinter der Angst steckt Rassismus
Wer hier einfach nur fordert, man müsse die Sorgen und Ängste der Anwohner ernst nehmen, wie es die CDU tut, der springt viel zu kurz. Schlimmer noch: Er verharmlost damit – ob absichtlich oder nicht – den Rassismus, der zumeist hinter diesen Ängsten steht. Doch gerade den gilt es besonders ernst zu nehmen und nach Kräften zu bekämpfen.
Klar ist nicht jeder Einwand, den man gegen eine Flüchtlingsunterkunft haben kann, gleich rassistisch. Alte Schulgebäude sind meist eher weniger geeignet, um viele Menschen adäquat zu beherbergen, und oft sind die Zustände in diesen Unterkünften – etwa in der Torgauer Straße – schlicht nicht zumutbar. Und sicher kann man auch kritische Fragen zur Bedarfsplanung und zur Kommunikationsstrategie der Stadt haben. Doch die meisten Argumente, die dieser Opferkonstruktion zugrunde liegen, sind glattweg rassistisch. Wenn Eltern mobil machen, weil eine Unterkunft für Asylbewerber – wie etwa die in Schönefeld – in direkter Nachbarschaft zu einer Schule entsteht, steckt darin die Annahme, dass sich Flüchtlinge durch ihre schiere Anwesen- heit nachteilig auf Kinder auswirken. Das Argument, dass Asylbewerber nur wegen der Sozialleistungen hierherkommen, und nicht etwa, weil sie verfolgt werden, unterstellt ihnen Faulheit und Betrug. Und die Angst vor einem Anstieg der Kriminalität im Umfeld solcher Unterkünfte impliziert, dass deren Bewohner krimineller sind als andere Bevölkerungsgruppen. Dafür gibt es allerdings keinen statistischen Beleg. Kurz: Die Flüchtlinge werden nicht als individuelle Menschen wahrgenommen. Stattdessen werden sie zu einer Gruppe zusammengefasst und dieser Gruppe allein aufgrund ihrer Herkunft (nicht aus Deutschland oder dem »guten« Ausland wie zum Beispiel Schweden) negative Eigenschaften zugesprochen. Das ist die Definition von Rassismus.
Zur Erinnerung: Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht
Wenn die Unterkunftsgegner »Wir sind das Volk« schreien und Andersdenkende »Volksverräter« nennen, dann wollen sie nicht nur ihrer Forderung gegen »die da oben«, die sie angeblich schlecht behandeln, Nachdruck verleihen, sie wollen all jene ausschließen, die nicht in ihre Vorstellung eines homogenen Volkes passen. Dazu gehört auch die Forderung, dass die Stadt erst jedes Problem der deutschen Mehrheitsbevölkerung zu lösen habe, bevor sie über die Hilfe für Nichtdeutsche überhaupt nachdenken darf. Zur Erinnerung: Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht. Und viele der Flüchtlinge sind deshalb hier, weil sie in ihrer Heimat für Bürgerrechte gekämpft haben.
Wenn man also die Anwohner wirklich ernst nehmen will, dann muss man ihnen geradehe- raus sagen, dass ihre Ängste und Sorgen auf Vorurteilen basieren, die im Kern rassistisch sind. Dabei geht es nicht darum, zu suggerieren, dass jeder, der schon mal auf so ein Klischee hereingefallen ist, ein Unmensch ist und jeden hasst, der anders ist als er. Fakt ist, dass rassistische Vorstellungen tief in unsere Gesellschaft und Kultur eingebettet sind und es großer und dauerhafter Anstrengungen bedarf, um sie loszuwerden. Zur Abwechslung könnte man ja auch all jenen, die jeden Tag Rassismus erleben müssen, zuhören und deren Sorgen ernst nehmen.
Staat lässt keine Normalität zu
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Art und Weise, wie dieser Staat mit Asylbewerbern umgeht, den Abbau von Vorurteilen eher behindert als befördert. Die Unterbringung in Mas- senunterkünften ist, genau wie das Arbeitsverbot und die sogenannte Residenzpflicht, nicht nur unwürdig, sondern schafft zusätzliche Probleme. Sie isoliert die Flüchtlinge, sperrt sie hinter Zäune, verdammt sie zur Untätigkeit und verhindert genau das, was so bitter notwendig wäre: Normalität. Eine Normalität, in der sich Anwohner und Flüchtlinge unbelastet auf Augenhöhe begegnen und kennenlernen können.
Es geht also darum, mit jener Mehrheit ins Gespräch zu kommen, die ihre Vorurteile überdenken kann und will, und ihr klarzumachen, dass sie sich vor etwas fürchtet, das gar nicht existiert. Und dass niemand weniger hat, wenn in dieser Stadt Flüchtlingen geholfen wird – im Gegenteil. Es geht aber auch darum, der unbelehrbaren Minderheit sehr deutlich zu machen, dass Rassismus inakzeptabel ist. Das ist mühselige Kleinarbeit, hier ist wirklich jeder Einzelne gefragt. Denn erstens kann man den Nazis nicht das Feld überlassen und zweitens ist eine Unterkunft in einem Stadtteil, in dem die Stimmung derart feindselig ist, eine Zumutung für jeden Flüchtling. Deshalb verdienen die zahlreichen Hilfsangebote und Willkommensgrüße für die Asylbewerber, die durch die Bürger organisiert wurden, eine breite Unterstützung durch die Stadtgesellschaft.
Am 13. Dezember haben Vertreter von Parteien, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, Vereinen und Verbänden eine Flüchtlingsresolution verabschiedet, die genau das um Ziel hat. Bei dieser Gelegenheit sagte der OBM: »Leipzig ist weltoffen und tolerant.« Das stimmt aber nur, wenn wir dafür sorgen.