Und dann war die Regenbogenfahne doch nicht geklaut worden. Über Nacht war das Banner des Christopher Street Days verschwunden, nachdem sie zuvor vom Oberbürgermeister gehisst worden war. Die Fahne tauchte schließlich wieder auf: Ein Rathausmitarbeiter hatte sie vorsorglich abgehängt, damit sie nicht gestohlen werden konnte und dann vergessen, sie wieder aufzuziehen. Ein kleines Vorkommnis, das aber symptomatisch dafür steht, warum es den CSD über seine Party-Komponente hinaus weiterhin geben muss und warum man eben auch anno 2014 an den Aufstand gegen Polizeiwillkür vor 35 Jahren in New York erinnern kann.
Es ist nämlich in puncto Gleichberechtigung längst nicht alles in Butter für nichtheterosexuell-orientierte Menschen. Rechtlich ist zum Beispiel die eingetragene Lebenspartnerschaft noch immer eine Ehe zweiter Klasse (Man kann natürlich fragen: Warum überhaupt ehelichen?) und die Entscheidungsfreiheit über die eigene geschlechtliche Identität – Stichworte: Inter- und Transsexualität – ist stark beschnitten. Noch immer kommt es von der Schmähung bis zur Gewalt zu Übergriffen auf Nicht-Heterosexuelle, weil sie in ihrer Liebe wie ihrem Begehren einer Mehrheitsnorm nicht entsprechen. Und wer immer noch an der anhaltenden Wichtigkeit einer CSD-Demo zweifelt, kann ja mal die Kommentarspalte unterm entsprechenden Bericht auf LVZ-Online zu Rate ziehen. Da ist von »degenerierter Gesellschaft« zu lesen und werden mal wieder Kinder, die zu schützen seien vor »so etwas«, vorgeschoben etc. Der normale Wahnsinn eben, den man sicher im globalen Vergleich der Verhältnisse als eher harmlose Ignoranz und Intoleranz abtun könnte.
Muss man aber nicht, nur weil anderswo Nichtheterosexuelle viel massiverer Diskriminierung und größeren Gefahren bis zum Tod ausgesetzt sind. Darum also bewegte sich die CSD-Demo – sie war der Höhepunkt der politisch-kulturellen Veranstaltungswoche in Leipzig – mit bis zu 4.000 Teilnehmern am Samstagnachmittag vom Markt über den Brühl und Augustplatz, Martin-Luther- und Dittrichring zum Markt zurück. Die Strecke wurde aufgrund der Hitze von den Veranstaltern etwas verkürzt – daraus erklärt sich auch die »viel nackte Haut«, die einige Pressevertreter ausgemacht haben. Vom Balkon des Uni-Rektorats grüßten winkend die Besetzer, die dort gegen die Schließung der Theaterwissenschaft mit einem längeren Besuch protestieren. Beim Passieren der Thomaskirche musste die Musik ausgestellt werden, um das Konzert dort nicht zu stören, was ein bisschen seltsam ist. Vorm Rathaus hielt der diesjährige CSD-Botschafter Robert Ehrlich eine gute Rede. Der Rektor der Hochschule für Musik und Theater schlug den Bogen von der ehemaligen, in Rathausnähe befindlichen Schwulenklappe »Bürgermeister« über die Schwierigkeiten des Coming-outs zu Diskriminierungen in aller Welt und den Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte. Dass zum Beispiel eine Kanzlerin Merkel nur noch auf ihr Gefühl verweisen kann, statt argumentativ zu begründen, warum sie Gleichstellung nicht bejaht, sei ja auch ein Zeichen der Zeit. Unter den auf dem CSD auftretenden Parteien befand sich übrigens auch die CDU. Auf dem Markt fand dann noch ein leicht klischiertes Tanz- und Singprogramm statt, das lahm statt kämpferisch wirkte. Dann verteilten sich die Teilnehmer – viele gingen zum Pride Ball ins Städtische Kaufhaus, um beim 0,33l-Bier für 3 Euro zu schwitzen oder ins Zoro, wo die Party ebenso warm, aber subkultureller ausfiel.