Am kommenden Samstag wollen zahlreiche Gegner der geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP bundesweit in sieben Städten auf die Straße gehen. Einige Organisatoren der Leipziger Demo stehen aber massiv in der Kritik.
Wenn zahlreiche Menschen am kommenden Samstag gegen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP auf die Straße gehen, soll auch der Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig einer der Schauplätze sein. Doch im lokalen Bündnis, das den Protest organisiert, gibt es einen unüberwindbaren Graben entlang der Frage: Wie anschlussfähig wird die Demonstration für rechtslastige Politikansätze und ihre Vertreter? Nach langen Auseinandersetzungen haben die sächsischen Grünen die Reißleine gezogen: Sie rufen dazu auf, sich lieber dem Aufzug in Berlin anzuschließen.
Der Ursprung des Streits liegt schon zwei Jahre zurück und ist eng mit dem Politaktivisten Mike Nagler verbunden. Ausgangspunkt sind die sogenannten Mahnwachen für den Frieden im Frühjahr 2014. Scheinbar unorganisiert breitete sich damals eine Bewegung von Berlin über Deutschland aus, die vordergründig gegen eine mögliche deutsche Beteiligung im Krieg in der Ukraine protestierte. Doch die Galionsfiguren – allen voran Youtuber Ken Jebsen und Lars Mährholz aus Berlin – offenbarten schnell einen Hang zur Verschwörungstheorie. Einmal hieß es, hinter der amerikanischen Notenbank stecke eine Familie jüdischer Bankiers, ein anderes Mal kritisierten Redner den Konzern Monsanto dafür, die Bevölkerung absichtlich vergiften zu wollen.
Nagler und seine politischen Freunde beteiligten sich damals an den Mahnwachen, um, wie sie gegenüber dem kreuzer (0615_s14-15) sagten, die unwissenden Mitläufer in die richtigen politischen Bahnen zu lenken. Dennoch ließen sie die Beteiligung von Personen wie Markus Johnke zu, der später Anführer von Legida wurde. Auch der frühere Bundespolizist Stephane Simone, der die Proteste gegen die geplante Moschee in Gohlis initiierte und immer wieder als Redner bei Pegida auftrat, wurde oftmals bei Demonstrationen gesehen, zu denen auch Nagler aufgerufen hat.
Trägt man die Verantwortung dafür, dass alle Teilnehmer einer Demo die richtige politische Analyse teilen? Sicher nicht – allerdings ist eine Auseinandersetzung mit Vereinnahmungsversuchen durch die neurechten Aktivisten wohl nötiger denn je. Ur-linke Themen wie Protest gegen Kriege, Umweltzerstörung oder neoliberale Wirtschaftsverträge sind durchaus von rechter Seite besetzbar. Engagement für Frieden etwa lässt sich in Antiamerikanismus umformen, der im Kern nationalistisch ist. Rechte Esoterik wiederum knüpft oft an ökologische Bewegungen an und versucht dort völkisches Denken zu etablieren, das Gebilden wie Nationen natürliche Wurzeln andichtet. Auch der Protest gegen TTIP kann von Leuten genutzt werden, die hinter dem Freihandel eine jüdische Weltverschwörung am Werk sehen, statt sich auf die mühevolle Analyse kapitalistischer Wirtschaftsweise und ihrer Zwänge einzulassen. Manche Neurechten wollen so eine Querfront von rechten und linken Aktivisten formen, um die Chancen zu verbessern, Staat und Gesellschaft aus den Angeln zu heben. Ob bei einer Strategie, die gemeinsame Sache mit autoritär eingestellten Akteuren macht, am Ende wirklich ein menschenfreundlicheres System steht, darf bezweifelt werden.
In einer Stellungnahme weist Mike Nagler den Vorwurf zurück, er sei offen für rechtes Denken. Doch er bleibt bei seiner Unterstützung von Mahnwachen und dem Anschlussprojekt Friedenswinter. Viele neue Aktivisten seien so zur Bewegung gestoßen. »Ich habe die Mahnwachen immer auch als Bildungsprojekt gesehen, um möglichst viele für ein differenziertes und emanzipatorisches politisches Bewusstsein und Engagement zu gewinnen. Ich finde, man muss mit den Menschen offen und ehrlich reden, diskutieren und widersprechen«, erklärt er und meint damit: Man könne Menschen im direkten Gespräch davon überzeugen, menschenfeindliche Einstellungen abzulegen. Kritikern wirft er vor, sinnvollen Protest gegen die gegenwärtigen Wirtschaftsstrukturen abzuwürgen.
Für Christin Melcher von den Leipziger Grünen ist die Sache klar. »In der Stellungnahme können wir keine Distanzierung von Querfront-Projekten wie den Mahnwachen und dem Friedenswinter erkennen. Stattdessen wird antifaschistischer Protest abgewertet.« Bei den vorangegangenen Treffen habe man sinnvoll darüber diskutiert, ob sich Parteien wie die Grünen überhaupt am Protest gegen TTIP beteiligen sollen. Als sie dann aber die Probleme mit Mike Nagler ansprach, sei die Diskussion augenblicklich eskaliert. »Da haben viele umgehend Solidarität mit Mike gefordert.« Eine Diskussion über eine nötige Abgrenzung von rechten Aktivisten habe nicht stattgefunden. »Es hieß: Wir sind doch gegen Nazis, das reicht doch.« Für die Kritik daran wurde Melcher später in Mails beleidigt und bedroht. Pauschal hieß es, sie spalte die Zivilgesellschaft und diffamiere Nagler.
Die sächsischen Grünen rufen nun zum Protest in Berlin auf. Man wisse ja nicht, ob man sonst plötzlich mit rechten Demonstranten auf einer Veranstaltung stehe, die von Linken aufgrund mangelnder Abgrenzung gemieden werde.
Der bundesweite Organisationskreis der Proteste hat beschlossen, dass Mike Nagler am Samstag nicht reden soll – weder in Berlin, noch in Leipzig. Das hiesige Bündnis »Vorsicht Freihandel« betont in einer Stellungnahme, man grenze sich klar von rechts ab. »Daher werden wir durch verschiedene Maßnahmen dafür sorgen, dass antisemitische, rassistische und nationalistische Personen und Transparente auf unserer Demonstration keinen Platz haben«, kündigt es an. Davon, dass das tatsächlich klappt, hängt wohl ab, ob Vertrauen zurückgewonnen werden kann.