Im Juni-kreuzer forderten Vertreter des Bundes Deutscher Architekten Sachsen mehr Wettbewerbe innerhalb der Leipziger Baukultur, um eine möglichst hohe Qualität zu sichern, und eine Vorbildfunktion der Stadt als Bauherrin. Kunst-Redakteurin Britt Schlehahn hat nun auch mit Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau und Kunsthistoriker Arnold Bartetzky darüber gesprochen.
»Zeit für Visionen« forderten die Vertreter des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Sachsen und der Regionalgruppe Leipzig – Uwe Brösdorf, Kai Irlerbusch und Wolf-Heiko Kuppardt – im Juni-kreuzer hinsichtlich der aktuellen und zukünftigen Baukultur in Leipzig. Ihrer Meinung nach fehlt innerhalb der Stadtgesellschaft eine Debatte zur Gestalt und Gestaltung der Stadt. Vielmehr konstatieren sie, dass die wachsende Stadt bisher zu keiner Qualität des Bauens führte. Daher fordern die Architektenvertreter mehr Wettbewerbe, um eine möglichst hohe Qualität zu sichern, und eine Vorbildfunktion der Stadt als Bauherrin.
Wie schätzt Dorothee Dubrau, seit August 2013 Bürgermeisterin und Beigeordnete für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig, die aktuelle Situation ein? Ist die Kritik berechtigt oder agiert die Stadt viel weitsichtiger als von der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Dubrau verweist im Gespräch mit dem kreuzer auf die Instrumente zur Förderung der Baukultur wie den Architekturpreis der Stadt. Er wird seit zwanzig Jahren vergeben, seit 2015 unter besonderer Berücksichtigung der Nachhaltigkeit. Die Preisträger – 2017 wurden etwa die Judohalle in Holzhausen oder die Grundschule Forum Thomanum prämiert – werden in einer Ausstellung der Bevölkerung vorgestellt. Dadurch erfüllt die Stadt eine Erziehungsaufgabe und stellt qualitätsvolles Bauen und Instandsetzung vor.
Stadtrat: Keine Wettbewerbe bei Schulbauten
Wie schätzt Frau Dubrau darüber hinaus die aktuelle Baukultur in Leipzig ein? Ihre Antwort mag als Amtsinhaberin nicht verwundern: »Leipzig gehört zu den Städten mit der höchsten Baukultur deutschlandweit.« Dazu zählen ihrer Meinung nach herausragende Architekturleistungen vom Mittelalter über den Historismus bis zu den zwanziger Jahren sowie »eine ganze Menge an DDR-Bauten und vieles von dem, was heute gebaut wird«.
Heute müssen vor allem Schulen und Kindertagesstätten gebaut werden, deren traditionelle Bauweise die Architekten kritisierten. Dubrau sieht die Kritik »nicht vordergründig als ein Thema der Architektur«, sondern im Bereich der Schulverwaltung. Daher plant sie eine »Exkursion nach München mit Vertretern des Schul- und Bauausschusses mit Mitarbeitern und ich hoffe, auch mit Vertretern aus der Politik«. Im Bezug auf Wettbewerbe hält sie fest: »Ich habe gerade die Schwierigkeit, dass sich der Stadtrat bei Schulbauten gegen große Wettbewerbe ausgesprochen hat.« Trotzdem gibt es ihrer Meinung nach genügend Wettbewerbe, in denen sich Architektenbüros einbringen können.
Bürgerbeteiligungsverfahren in Eutritzsch
[caption id="attachment_80594" align="alignleft" width="245"] Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau. Foto: Dave Tarassow[/caption]
Und die Kritik an den fehlenden Visionen? Auch in dieser Beziehung mag Frau Dubrau keinerlei Defizite feststellen: »Die Stadt hat sich schon vor vielen Jahren entschieden, wo sie hinwill: eine kompakte europäische nachhaltige Stadt zu bauen.« Zudem gibt es das Integrierte Stadtentwicklungskonzept 2030 als Zukunftsstrategie, an der die Stadtgesellschaft, Politik und Verwaltung gemeinsam arbeiteten. Angesichts dessen kommt die Baubürgermeisterin zu dem Schluss: »Da kann man nicht davon reden, dass es keine Visionen gibt.«
Zuversichtlich zeigt sich Dubrau gegenüber dem kreuzer im Hinblick auf die großen Bauvorhaben in privater Hand – wie den Quartieren Bayerischer Bahnhof, Freiladebahnhof Eutritzsch oder an der Westseite des Hauptbahnhofs. Letzteres ist am weitesten entwickelt und der Stadtrat wird sich nach der Sommerpause mit dem Areal beschäftigen, so Dubrau. Geplant sind Wettbewerbe – »nicht für jedes einzelne Haus, aber für besondere Häuser wird es große Wettbewerbe geben«. In Eutritzsch herrschen derzeit Probleme mit den Eigentumsverhältnissen. Aber die Baubürgermeisterin verweist auf das Bürgerbeteiligungsverfahren zur zukünftigen Gestaltung des Areals, das sie als ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt beschreibt. Nicht nur hinsichtlich der großen Quartieren ist sie zuversichtlich, sondern Dubrau freut sich auch über den ersten Hochhausneubau nach 1990 in Grünau, der derzeit errichtet wird.
Bartetzky: Mal bessere, mal schlechtere Bauten
[caption id="attachment_80593" align="alignright" width="151"] Arnold Bartetzky. Foto: Christian Hüller[/caption]
Kann die Zuversicht der Bürgermeisterin zur aktuellen Bau- und Architektursituation in der Stadt auch ein Kunsthistoriker und Architekturkritiker teilen? Der kreuzer fragte bei Arnold Bartetzky nach, Autor des Buches »Die gerettete Stadt. Architektur und Stadtentwicklung in Leipzig seit 1989 – Erfolge, Risiken, Verluste« (Leipzig 2015) und Fachkoordinator am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europas (GWZO). Auf die Frage, wie er die Baukultur in Leipzig einschätzt, gab es eine sehr umfassende Antwort: »Was die herausragenden Bauaufgaben angeht, sehe ich keine Unterschiede zu anderen Städten. Wie auch andernorts entstehen hier mal bessere, mal schlechtere Bauten. Das Hauptproblem in meinen Augen ist aber die Alltagsarchitektur, deren Qualität für das tägliche Erleben des Lebensumfelds von zentraler Bedeutung ist. Dazu gehören Lückenbauten und Eckhäuser oder auch größere Anlagen auf Brachen, die derzeit in allen Teilen der Stadt entstehen. Die flach verputzten Kisten mit gänzlich ungegliederten Fassaden aus Styropor, die keinen Fußtritt aushalten und dem Auge in ihrer Sterilität nicht den geringsten Reiz bieten, stehen für einen maximal nach unten geschraubten Standard, mit dem wir uns nicht abfinden sollten. Auch die häufig vorgesetzten Schubladenbalkons können das Elend nicht verdecken, weil sie selbst Teil dieses Elends sind.«
Erdgeschosse am Lindenauer Hafen: »Sittliche Verwahrlosung«
Bartetzky spricht gar von einer »Gestaltungsverweigerung« – wie sie seiner Meinung nach derzeit bei den Neubauten in der Querstraße anzutreffen ist. Das Prädikat »ausgesprochen deprimierend« vergibt er an die bisherige Bebauung am Lindenauer Hafen. Und es geht noch schlimmer – gleich einer »sittlichen Verwahrlosung« entwickelt sich laut Kunsthistoriker seit Jahren die Gestaltung der Erdgeschosse.Sie bildet für ihn eine besondere Pein, wie Bartetzky bereits in seinem Buch »Die gerettete Stadt« ausführte. »Mit gänzlich ungestalteten Mauern, die nur von Tiefgarageneinfahrten, blickdichten Türen vom Baumarkt und allenfalls an Schießscharten erinnernden Minifenstern unterbrochen sind, schirmen sich die Häuser festungsartig von der Stadtöffentlichkeit ab. Ich nenne das asoziale Architektur und meine dies ganz wörtlich. Hier ist die Balance zwischen privatem und öffentlichem Interesse verlorengegangen.«
Als ein herausragendes Beispiel für Baukultur benennt Bartetzky den neu eröffneten Hotelbau am Burgplatz oder die Büttnerstraße 8. Warum? »Beide überzeugen mit handwerklicher Solidität und fügen sich unaufgeregt in den Duktus der Umgebung ein. Das ist das, was Architektur soll: sich selbstverständlich mit dem Umfeld zu assoziieren, statt die Stadt durch Zwang zur Originalität und Lust am Bruch weiter zu fragmentieren.«
Wie sieht er die Rolle der Stadt als Bauherrin? Im Rahmen ihrer Möglichkeiten setzt sie sich »durchaus für Baukultur ein.« Er attestiert ihr auch, dass sie »nicht die schlechteste Bauherrin« ist. Aber ein echtes Lob klingt anders. Zudem beobachtete Bartetzky – wie auch die Architekten vom BDA –, dass die »architektonische Qualität bei den unter Hochdruck entwickelten Projekten allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt. Das ist nicht in Ordnung. Wir dürfen nicht die Stadt mit schlechten Bauten verstopfen und damit Zukunftschancen verbauen, nur weil wir es gerade furchtbar eilig haben.«
Ganz offensichtlich existieren einige Meinungen und vor allem Bedenken, wie die Zukunft in Leipzig aussehen sollte.