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Kultur

»Wenn RB auf demokratische Struktur trifft«

Das Kollektiv Zwangsbeglückt im Interview über den Verein und die Saison

  »Wenn RB auf demokratische Struktur trifft« | Das Kollektiv Zwangsbeglückt im Interview über den Verein und die Saison

Das Blogkollektiv Zwangsbeglückt begleitete den Bundesligisten RB Leipzig die vergangene Fußballsaison exklusiv für den kreuzer. Zum Abschluss haben wir dem Kollektiv ein paar Fragen gestellt. Ein Gespräch über Highlights der Saison, unsägliche Fanbetreuung und die Haltung des Vereins.

kreuzer: Seit wann gibt es den Blog?Zwangsbeglückt: Seit Sommer 2014 als RB in die 2. Bundesliga aufstieg. Es gibt einen Diskurs »Ist doch gut, dass die hier sind« mit so einem Identifikationsmoment »Lieber haben als nicht haben.« Kritik, das hat den falschen Unterton. So als würden wir das Haar in der Suppe suchen. Darum geht es nicht, sondern um einfache Fragen: Was soll das denn hier? Unter welchen Bedingungen findet es statt? Es gibt nach wie vor keine Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Das will RB auch nicht. Bei uns gab es relativ früh das Bild: RB ist wie ein Ufo, das in der Stadt landete. Das ist immer noch so. Sie sitzen in ihrem Ufo und es interessiert sie nicht,was hier eigentlich passiert.

kreuzer: Schaut Zwangsbeglückt Geisterspiele?Zwangsbeglückt: Wir denken, dass diese Geisterspielzeit auf den Punkt gebracht haben, was an RB komisch ist: ohne das Event Heimspiel wird klar wie wenig RB in der Stadt eine Rolle spielt. Das fing schon mit dem Hashtag »Stay away so we can play!« an.

kreuzer: Was war Ihr Saison-Highlight?Zwangsbeglückt: Wie muss es Oliver Mintzlaff (RB-Geschäftsführer, Anm. d. Red.) an dem Tag gegangen sein, als er erfahren hat, dass die 100 Millionen Euro doch kein marktübliches Darlehen waren, sondern einfach in dem Verein aufgehen. Da erzählt er uns seit zwei Jahren: »Das ist ein ganz normaler Vorgang – wir sind ein Verein wie jeder andere.« Dann kommt das raus. Er sagt jetzt gar nichts mehr. Aber sofort sind alle mit derselben Argumentation umgeschlagen.

kreuzer: Zum Herbstmeister RB gab es in einigen Tageszeitungen Kommentare, dass der »neue Klub« (RB) den »alten Haudegen« (Bayern und BVB) gezeigt hätte, wo es lang geht. Im Anschluss wurde gefordert, dass es mal gut sei mit der RB-Kritik. Stimmen Sie der Argumentation zu?Zwangsbeglückt: Dafür war die Saison ganz interessant, weil es gibt schon lang das Sprechen über Normalisierung – ist so mit Anschubfinanzierung und jetzt läuft es wie in jedem anderen Verein – abgesehen davon wie er zur Welt kam. Ein Teil der wohlwollenden Sympathie kommt daher, dass Bayern zum neunten Mal hintereinander Meister geworden ist. Davon profitiert RB. In dieser Saison ist es wieder klar geworden, dass das keineswegs ein normaler Verein ist. Wir hatten keine Mühe, ein Mal im Monat darüber zu schreiben – was besonders war. Daher finden wir es nach wie vor sinnvoll, Kritik zu äußern.

kreuzer: Die linken Ultras Red Aces lösten sich im März auf. Erkennen Sie an RB etwas, worüber Sie sich freuen?Zwangsbeglückt: Die Red Aces hatten wir ganz am Anfang persönlich kennengelernt und erlebt, in welchen Widersprüchen sie sich befanden. Deshalb haben wir genauer hingeschaut und es passierten interessante Aktionen. Zum Beispiel als sie sich in der sogenannten Flüchtlingskrise im Fanforum dafür engagierten, dass Geflüchtete zu den Spielen kommen. Viele Leute schrieben ganz viel Quatsch dagegen. Aber sie zogen das durch. Dass sie jetzt entnervt aufgeben, ist sehr traurig. Das war einer der Punkte, wo wir uns eine Normalisierung der Fankultur hätten vorstellen können. Aber es zeigt sich, dass die Strukturen und wie dieser Verein geführt wird, es nicht zulassen. Die Fanbetreuung ist eh unsäglich. Man erkennt an den Misserfolgen bei der Stellenbesetzung, dass man eigentlich gar nicht verstanden hat, was Fans sind und wofür Fanbetreuung gut ist. Man möchte keine selbstbestimmte, soziokulturell geprägte Fanszene in diesem Verein haben – zumindest nicht sichtbar im Stadion. Was die Vereinsführung angeht: also eine für außen vorbildliche Vereinskultur mit Allianzen zu unterschiedlichen Akteuren in der Stadt, das findet nach wie vor nicht statt.

kreuzer: Schauen wir mal voraus: Ohne Timo Werner, was wird das für eine Saison? Zwangsbeglückt: Sportlich ist Timo Werner nicht zu ersetzen. Tatsächlich ist er auch für die negativen Seiten von RB eine Identifikationsfigur.

kreuzer: Warum?Zwangsbeglückt: Werner war ein typischer Stellvertreter-Spieler für das, was RB in den letzten drei bis vier Jahreen war: Bringt Leistung auf dem Platz und ist ansonsten vollkommen gesichtslos. Ehrgeiz ist noch das einzige, was an Emotionen möglich ist, aber keine gesellschaftliche Position. Es gab mal Andeutungen, dass er Schwächen besitzt, weil er wegen einer Kiefersperre Spiele verpasste. Das passt ein bisschen zu dem Verein. Wenn man mal etwas von denen bekommt, was nicht so roboterhaft ist, dann ist es, weil sie an sich selbst scheitern und zu angespannt sind.

kreuzer: Apropos Anspannung: Nach der Entscheidung des Stadtrats, dass RB den Stadionvorplatz in Erbpacht erwerben kann, gab es keine offizielle Verlautbarung von Oliver Mintzlaff. Möglicherweise sitzt der Schmerz dieser Zurückweisung tief?Zwangsbeglückt: Das ist RB einfach nicht gewohnt. Sie kommen aus einer Kultur, in der alles dem vermeintlichen Erfolg – der zudem sehr eng definiert ist – untergeordnet wird. Wenn RB-Eigner Mateschitz was will, dann baut er das. Wenn RB auf eine demokratische Struktur trifft, wo sich unterschiedliche Meinungen überlagern, wo es mit der Lösung eine Weile dauert, wo vielleicht nicht auf dem ersten Anhieb das Beste rauskommt, sondern ein Kompromiss, dann sind sie vollkommen unfähig. Sie sind ein gesellschaftlicher Akteur, der seiner Verantwortung nicht annähernd gerecht wird – nicht im Kinder- und Jugendbereich, nicht im Sozialbereich und nicht mal als Organisation, die in der Stadt etwas bewegen will.

kreuzer: Verändert Corona den Profifußball?Zwangsbeglückt: Im Gegenteil. Im zynischen Sinne – zumindest beobachten wir das in unserem Umfeld – beschleunigt Corona die schleichende Entfremdung vom Profifußball.

kreuzer: Der Chemieblogger sagt, dass die Regionalliga das höchste der Gefühle sei – damit die Ideale nicht flöten gehen. Glauben Sie, dass Fußballromantik nur bis zur 4. Liga möglich ist?Zwangsbeglückt: Wir lehnen den Begriff Fußballromantik ab, weil er diskreditierend gebraucht wird. Wenn man sich aber mal anguckt wie Union Berlin durch seine Debütantensaison gegangen ist, was Köln durchlebt hat, würden wir sagen: Es gibt im Profifußball Vereine, wo auf verschiedenen Ebenen – nicht nur innerhalb der Fanschaft abgekoppelt vom Verein – Haltung bewahrt und gezeigt wird. Wenn wir an den Vorsitzenden der Sportgemeinde Eintracht denken, wie der sich zu gesellschaftspolitischen Fragen äußert, nicht einfach einem Millionär die Hand schüttelt und bekräftigt, gegen Beleidigungen einzustehen wie das andere Vereine machen und dafür noch den Sportbild-Award für die Geste des Jahres gewinnen. Es gibt Vereine, die menschlich, charakterlich, kulturell und kommunikativ Züge an den Tag legen, die wir bei RB noch nicht gesehen haben und wir wagen die kühne Voraussage – auch nicht sehen werden.


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